Schon gefahren:Doppelspitze

Der Volvo XC 40, technisch ein Zwilling des Polestar 2, fährt jetzt voll elektrisch. Und er hat das Zeug dazu, Tesla Kunden abzujagen.

Von Peter Fahrenholz

Im Automobilbau müssen sich Zwillinge nicht zwangsläufig ähnlich sehen, sogar dann nicht, wenn es im Grunde eineiige Zwillinge sind. Als der schwedische Hersteller im Mai 2016 seine neue Plattform für die kleineren Autos vorstellte, gab es dazu zwei Modellstudien. Aus der einen wurde dann der XC 40, der kleinste SUV der Marke, mit verschiedenen Benzin- und Dieselmotoren und später dann auch als Plug-in-Hybrid (PHEV). Aus der anderen Studie wurde das erste Elektroauto der von Volvo ausgegliederten Elektromobilitäts-Tochter Polestar. Der Polestar 2 ist kein SUV, sondern eine Fließhecklimousine.

Jetzt bilden die Zwillinge eine Doppelspitze im ständig wachsenden Segment der Elektroautos. Denn auch den XC 40 gibt es jetzt vollelektrisch. Technisch sind beide Autos praktisch identisch. Die gleiche Plattform, die gleiche Batterie, der gleiche Antriebsstrang, das gleiche, auf einer Vollintegration von Google Android basierende Infotainmentsystem. Nur beim Fahrwerk gibt es Unterschiede. Und natürlich bei der Karosserie.

Die anderen Premium-Hersteller, vor allem die deutschen, werden sich womöglich die Augen reiben. Denn während Mercedes, Audi und BMW in den teueren bis sehr teuren Segmenten angefangen haben, E-Autos zu bauen, und VW lange gebraucht hat, um den ID 3 fehlerfrei auf den Markt zu bringen, haben die Schweden auf einmal zwei attraktive Modelle im besonders wichtigen Mittelklassebereich. Und damit gleich zwei starke Rivalen zum populären Model 3 von Tesla.

Immense Beschleunigung

Die ersten Fahreindrücke mit dem elektrischen XC 40 P8 AWD, wie das Modell vollständig heißt, zeigen, dass der Wagen das Zeug hat, wichtige Marktanteile zu erobern und Tesla Kunden abzujagen. Der 78-kWh-Lithium-Ionen-Akku treibt je einen Elektromotor an Vorder- und Hinterachse an, die Gesamtleistung liegt bei 408 PS, das maximale Drehmoment bei enormen 660 Newtonmeter (Nm). Das führt zu Fahrleistungen und einer Fahrdynamik, von der man nur träumen kann, wenn man in irgendeinem Turbo-Dingsbums aus der alten Verbrenner-Welt sitzt. Die ansatzlose und ruckfreie Beschleunigung ist immens, stabil und mit ausreichend straffer Lenkung zieht der XC 40 durch die Kurven, lediglich auf Querfugen reagiert das Fahrwerk etwas empfindlich. "Wer einmal elektrisch fährt, will nicht mehr zurückkehren", sagt Volvo-Vorstandsmitglied Henrik Green, der nach der Testrunde im Würzburger Umland in einer Video-Konferenz zugeschaltet war. Der Mann hat leicht reden. Er hat erst den Polestar 2 als Dienstwagen gefahren und jetzt den elektrischen XC 40. Ums Laden braucht er sich vermutlich auch keine Sorgen zu machen.

Der neue vollelektrischen Volvo XC 40

Der Volvo XC40 ist der kleinste SUV der schwedischen Marke.

(Foto: Volvo)

Die maximale Reichweite gibt Volvo mit 418 Kilometer an, im Stadtverkehr sollen es mehr als 500 sein. Wer eine aufpreispflichtige Wärmepumpe ordert, die beim Heizen hilft, Strom zu sparen, kann die Reichweite laut Volvo noch steigern. Ob die Werte in der Praxis auch erreicht werden, kann man leider nicht nachprüfen. Denn die Volvo-Ingenieure haben sich eine skurrile Lösung ausgedacht, auf die wohl nur Techniker kommen können, in deren Gedankenwelt der Praxisnutzen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Weil die Reichweitenangaben bei Elektroautos je nach Fahrweise und Topografie stark schwanken und damit nur eine begrenzte Aussagekraft haben, hat man bei Volvo kurzerhand ganz darauf verzichtet, die Reichweite in Kilometer anzugeben. Stattdessen zeigt das Display den Ladezustand des Akkus in Prozent an. Wer eine Strecke ins Navi eingibt, dem prognostiziert das System ziemlich zuverlässig, wie voll die Batterie am Zielort noch sein wird.

Das nützt aber nur wenig, denn wer zu einer längeren Fahrt aufbricht, bei der er genau weiß, dass er zwischendurch neuen Strom zapfen muss, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich mühsam auszurechnen, für wie viele Restkilometer die angezeigten Prozente der Batteriekapazität noch gut sein werden. Das verspricht einigen Nervenkitzel für die Kunden, die wissen wollen, wann sie die nächste Ladesäule ansteuern müssen. Volvo-Vorstand Green deutete auf entsprechende Fragen immerhin an, dass Volvo hier noch einmal nachdenken wird.

Der neue vollelektrischen Volvo XC 40

Wo bei anderen Autos der Motor sitzt, lässt sich bei dem Stromer die Tasche mit den beiden Ladkabeln verstauen.

(Foto: Volvo)

Zu den größten Umstellungen beim Fahren mit einem Elektroauto gehört, sich an die Rekuperation zu gewöhnen, bei der der E-Motor gewissermaßen als Bremse fungiert und damit Energie für den Akku zurückgewinnt. Die Hersteller gehen da unterschiedliche Wege. Manche bieten unterschiedliche Rekuperationsstärken an, die der Fahrer selbst bestimmen kann. Bei Volvo gibt es nur zwei Modi: einen mit und einen ohne Rekuperation, wenn man den Fuß vom Gas nimmt. Beim Rekuperationsmodus des XC 40 ist die Bremswirkung sehr stark und ermöglicht das sogenannte "One Pedal Driving", bei dem man das Auto mit dem Gaspedal steuern kann und die Bremse in vielen Situationen gar nicht braucht. Nimmt man den Fuß vom Gas, bremst das Auto bis zum Stillstand. Daran muss man sich gewöhnen, und das gefällt nicht jedem.

Aber es wirkt, wie der SZ-Test gezeigt hat. Denn während der SZ-Testwagen auf der Testrunde 21,2 kWh auf 100 Kilometer verbrauchte, zeigte das Display eines Testkollegen, der den Modus deaktiviert hatte, weil ihn die starke Bremswirkung nervte, auf der identischen Strecke am Ende 23,2 kWh je 100 Kilometer an. Das sind immerhin fast zehn Prozent Mehrverbrauch. Volvo gibt für den Stromverbrauch eine Spanne von 23,8 bis 25 kWh je 100 km an.

Wie schnell sich ein leerer Akku laden lässt, hängt ganz von den Lademöglichkeiten ab. An einer 150-kW-Gleichstromladesäule ist eine leere Batterie in 40 Minuten zu 80 Prozent geladen. Wer dagegen etwa in einer Ferienwohnung in Südeuropa sitzt, wo Haushaltssteckdosen mitunter nur mit Sechs-Ampere-Sicherungen geschützt sind, muss drei Tage warten, bis der Akku voll ist, wenn er keine andere Lademöglichkeit hat.

Der neue vollelektrischen Volvo XC 40

Beim Infotainmentsystem hat Volvo keine Angst vor den US-Techgiganten: Es basiert auf einer Vollintegration von Google Android.

(Foto: Volvo)

Den elektrischen XC 40 gibt es nur in einer Ausstattungslinie, die schon serienmäßig eine ganze Armada von Assistenzsystemen beinhaltet. So gibt es zum Beispiel gar keinen Startknopf mehr. Das Auto entriegelt sich von selbst, wenn man sich mit dem Schlüssel nähert. Nimmt man auf dem Fahrersitz Platz, betätigt die Bremse und legt den Vorwärts- oder Rückwärtsgang ein, startet der Motor automatisch.

Wie üblich lässt sich der Preis des XC 40 durch diverse Zusatzpakete weiter in die Höhe treiben. Er beginnt wegen der Mehrwertsteuersenkung im Moment bei knapp über 60 000 Euro. Der XC 40 kann deshalb nur den geringeren Elektrobonus in Höhe von 7 500 Euro in Anspruch nehmen, der vom Nettopreis abgezogen wird. Auf der Basis der Serienausstattung kostet der Wagen knapp 52 000 Euro.

Dass der Volvo damit gut 3000 Euro teurer ist als sein Zwilling Polestar 2, hat mit den unterschiedlichen Verkaufswegen zu tun. Der Polestar wird wie Tesla nur online vertrieben, während der XC 40 über das Händlernetz läuft. Und die Händler wollen eben auch mitverdienen. Die Kunden stört das offenbar nicht, das Produktionsvolumen für dieses Jahr ist bereits ausverkauft, Ende des Jahres kommen die ersten Fahrzeuge nach Deutschland. Wer jetzt einen elektrischen XC 40 bestellt, bekommt das Auto im April - außer er hat Glück und findet einen Händler, der rechtzeitig eine Reihe von Fahrzeugen vorbestellt hat.

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