Süddeutsche Zeitung

Schnellfähren in Nord- und Ostsee:Kraftlose Muskelprotze

Bis zu 480 Tonnen Gasöl verbrennt eine Schnellfähre pro Tag - kein Wunder, dass sich das die Redereien nicht mehr leisten können.

Frank Behling

Nicht alles, was technisch möglich ist, hat eine große Zukunft. Das gilt zurzeit besonders für Dinge, die viel Energie benötigen - und zu denen gehören die Schnellfähren in Nord- und Ostsee, deren Zahl derzeit rapide sinkt. Noch vor gut zehn Jahren gab es kaum eine Reederei, die nicht mit einem der in Australien, Norwegen oder Finnland gebauten und meist sehr futuristischen Aluminium-Konstruktionen experimentierte: Doppelrümpfe, spitze Vorschiffe und flache Aufbauten mit kleinen Nischen an Deck, in denen allenfalls versprengte Raucher kurz Schutz suchten.

Turbinen von der Boeing

Gipfel der Entwicklung war der Einbau von Gasturbinen des Typs LM 2500 von General Electric - Aggregate, die normalerweise als CF6-Turbinen unter den Tragflächen der Boeing 747 hingen. Eine finnische Werft baute sie für die Stena Line in Schnellfähren der HSS-Serie ein. Mit der Kraft von vier dieser Turbinen mit zusammen 108000 PS fegte die Stena Discovery mit ihrem Water-Jetantrieb in weniger als drei Stunden von Hoek van Holland nach Harwich über die Nordsee.

Die Schattenseite war die Tankanzeige: Bis zu 480 Tonnen Gasöl verbrannte der Koloss am Tag. Das zehnjährige Dienstjubiläum erlebt dieses Wunderwerk der Schiffbaukunst jetzt als arbeitsloser Auflieger in Belfast. Und den Schwesterschiffen Stena Explorer und Stena Voyager wurde reedereiintern ein Tempolimit für die Irische See auferlegt. Der ehemaligen Express-Fähre Delphin der Hamburger TT-Line erging es ähnlich; bereits 2006 riss der Reederei der Geduldsfaden. Seitdem fährt die Delphin Pilger mit 30 Knoten über das Rote Meer nach Saudi-Arabien - dort ist der Treibstoff für Pilgerfahrten verbilligt.

Nur in der Hochsaison

Auch die Reedereien Scandlines, Color Line, Silja Line, P&O und Brittany Ferries trennten sich von ihren Schnellfähren. Wirtschaftlich rentabel fahren auf der Ostsee inzwischen nur noch Schnellfähren in der Hochsaison auf einigen Routen zu den Inseln Bornholm, Seeland und Gotland, wie die dänischen Mols Linien. Auch auf der wohl bekanntesten Fährkurzstrecke über den Ärmelkanal ist mit der SpeedOne nur noch eine Schnellfähre übrig. Und die Hovercraft-Fähren warten auf einen Platz im Museum oder den Schrottplatz.

Aber trotz aller Probleme boomt das Fährgeschäft. Weltweit nutzten 2007 1,68 Milliarden Menschen eine Hochseefähre; das sind nach Mitteilung des Informationsdienstes Shippax im schwedischen Halmstad immerhin 52 Millionen Passagiere mehr als 2006. Zu dem Wachstum beigetragen haben danach neben den Linien in Asien auch die Fähren auf der Ostsee. Auf der Ostsee nutzten 2007 226 Millionen Passagiere mit 83 Millionen Autos die Fährrouten - ein Plus von 14 Millionen Passagieren gegenüber 2006. Rund um England waren es 106 Millionen Passagiere mit 20 Millionen Autos.

Kein "Hebel on the Table"

Der Slogan "Hebel on the Table", also "voll voraus", ist aber auch bei den Kapitänen konventioneller Fährschiffe nicht mehr angesagt. Immer mehr Reedereien verordnen ihren Schiffsführungen einen langsameren Fahrstil - was durchaus auch Vorteile für die Passagiere hat. Beispiel Color Line: Die Passage von Dröback im Oslofjord ist einer der Höhepunkte auf dieser Reise mit Kurs Oslo.

Wer den Ausblick genießen wollte, musste sich bislang zwischen Frühstück und frischer Luft entscheiden, weil die Zeit bis zur Ankunft in der norwegischen Hauptstadt für den Restaurantbesuch zu knapp war. Am 1. Januar änderte Color Line den Fahrplan und verschob die Ankunft um 30 Minuten auf zehn Uhr. Die Stena Line macht es umgekehrt: Statt um 19.30 Uhr legen die Stena Scandinavica und Stena Germanica jetzt schon um 19 Uhr in Kiel und Göteborg ab.

720 Dollar für eine Tonne Schweröl

Durch die Tempo-Reduzierung können bei einer Großfähre zwischen vier und sechs Tonnen Treibstoff pro Rundreise gespart werden - pro Schiff macht das im Jahr bis zu einer Million Dollar aus. Möglich ist, dass es zu weiterer Verlangsamung kommt, denn die Treibstoffpreise klettern weiter: Eine Tonne Schweröl kostete in der letzten Woche in Rotterdam 720 Dollar, das schwefelärmere Marine Gas Oil 1300 Dollar.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.591630
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.07.2008/jw
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.