Schiffsverschrottung:Harte Schnitte

Wegen sinkender Frachtraten werden immer mehr Schiffe verschrottet - neue Regelungen sollen dabei international die Umwelt schützen.

Frank Behling

Ein letzter derber Schubser durch die Schlepper, dann gräbt sich der Bug knirschend in das flache Ufer - das Ende eines Schiffslebens. Die Plätze, an denen die allerletzte Position ins Schiffstagebuch eingetragen werden, liegen weitab der schillernden Hafenmetropolen. Meist sind es unheilvolle Namen, verbunden mit massiver Umweltverschmutzung und knallharter Ausbeutung - wie beispielsweise die Küstenstadt Alang im indischen Bundesstaat Gujarat, dem Zentrum der weltweiten Schiffsverschrottungsindustrie.

Schiffsverschrottung: Strand-Gut: In Aliaga in der Türkei verdienen etwa 1800 Arbeiter ihr Geld damit, Schiffe in kleine Stücke zu schneiden.

Strand-Gut: In Aliaga in der Türkei verdienen etwa 1800 Arbeiter ihr Geld damit, Schiffe in kleine Stücke zu schneiden.

Seit Januar traten weltweit bisher 276 Seeschiffe ihre letzte Reise an

Mit Alang will man in Aliaga nichts zu tun haben - auch wenn der Name ähnlich klingt. Aliaga liegt in der Türkei und ist heute eine der ersten Adressen für das Abwracken von Schiffen in Europa. Der Hafen liegt knapp 200 Kilometer südlich der Dardanellen an der Europastraße 87; die von hügeligen Landzungen umgebene Ägäisbucht entdeckten türkische Schrotthändler 1974 aus Istanbul. Staub, Lärm und Gestank ihres Gewerbes kollidierten zu Beginn der siebziger Jahre mit der städtebaulichen Entwicklung der Bosporusmetropole; die seichte Bucht von Aliaga war ideal für die 21 Unternehmen. Jedes hat heute einen etwa 50 Meter breiten Streifen, der sich vom Strand hangaufwärts bis zur 200 Meter entfernten Straße zieht.

1800 Menschen leben in und um Aliaga von der Schiffsverschrottung. "Wir nennen unsere Arbeit Recycling von wertvollem Material", stellt einer der Vorarbeiter, den sie Kaptan nennen, klar. Früher sei der Job wirklich schlimm gewesen, erzählt er, heute aber gehörten Helm, Schutzanzüge und Gefahrgutausrüstung genauso dazu wie moderne Ölbekämpfungsschiffe. Denn wer Schiffe verschrottet, erlebt Überraschungen - immer muss zum Beispiel mit einer verborgenen Rohrleitung gerechnet werden, aus der plötzlich Altöl sprudelt.

"Unfälle sind aber sehr, sehr selten geworden", sagt Kaptan, während sein Blick zum von Schneidbrennern zerfransten Rumpf des einstigen italienischen Supertankers Vega Oil geht: "Das größte Schiff, das wir hier bisher hatten." Der 300.000-Tonnen-Tanker, 348 Meter lang, lag fast 22 Jahre als schwimmendes Öllager vor der Küste Siziliens. Direkt neben dem Riesenrumpf liegen ein Fischdampfer von den Färöer-Inseln, alte Frachter aus Sowjetzeiten und das ausrangierte Missionsschiff Logos II, das zuletzt von der Operation Mobilisation betrieben wurde und dazu diente, christliche Literatur in die Häfen der Westhalbkugel zu bringen.

Harte Schnitte

Schiffe, die zur Verschrottung gehen, gibt es seit wenigen Wochen wieder in großen Mengen. Der Preis pro Tonne Schiffsschrott ist zwar von mehr als 500 auf derzeit nur noch 200 Dollar gesunken, aber: Seit die Finanzkrise die Frachtraten drückt, kommt für immer mehr Schiffe das betriebswirtschaftliche Aus; viele Reeder trennen sich von ihrer Alttonnage. Seit Januar traten weltweit bisher 276 Seeschiffe mit einem Gewicht von zusammen zwei Millionen Tonnen ihre letzte Reise an; allein im dritten Quartal waren es weltweit 118 Schiffe mit 940.000 Tonnen. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2007 wurde 289 Schiffe mit nur 1,7 Millionen Tonnen verschrottet, wie die französische Agentur Robin des Bois in Paris ermittelte.

Mehr als 80 Prozent dieser Schiffe gehen an Abwracker in Indien, Bangladesch oder China, den Rest teilen sich Werften in USA und Europa. Aliaga ist dabei der wichtigste Schiffsrecyclingbetriebe innerhalb der OECD-Staaten - 2007 wurde die türkische Bucht für 76 Schiffe mit einem Gewicht von 135.912 Tonnen zur Endstation. Eine Stahlwinde zieht die Rümpfe an der Ankerkette aus dem Meer, dann brechen Raupenbagger und Schneidbrenner Stück für Stück aus dem Rumpf. Lastwagen übernehmen danach den letzten Transport des zerkleinerten Schrotts in ein benachbartes Stahlwerk.

Schiffsrecycling will gut vorbereitet sein. Nur saubere Schiffe bringen den höchsten Gewinn. Giftstoffe sorgen für Abschläge und Ärger. Spätestens seit türkische Abbrecher den mit Asbest vollgestopften Tanker Otapan an die holländischen Auftraggeber nach Amsterdam zurückschickten, wissen die Schiffseigner, was passiert, wenn sie unzureichende Angaben machen. Damit die Schweißer in Aliaga ihren Job möglichst sicher erledigen können, müssen Reeder bald Vorsorge treffen. Das Zauberwort ist die zertifizierte Schadstoffliste - offiziell: Inventory of Hazadous Materials (IHM). Diese Liste ist Teil einer neuen Konvention, die das sichere und umweltverträgliche Abwracken von Schiffen von 2013 an international regeln soll.

Die Weichen dafür hat das Umweltkomitee der International Maritime Organization - kurz: Imo - Anfang Oktober auf ihrer 58. Sitzung in London gestellt; Anfang Mai 2009 soll die Konvention dann von der diplomatischen Konferenz der Imo in Hongkong verabschiedet werden. "Betroffen sind davon mittelfristig 50.000 Schiffe. Wir bieten den Reedern deshalb jetzt Unterstützung bei der praktischen Umsetzung der neuen Regelungen an", sagt Stefanie Norman vom Germanischen Lloyd. Denn neben der Vermeidung gefährlicher Stoffe wie Asbest oder Schwermetallen bereits beim Neubau eines Schiffes steht die Erfassung der vorhandenen Schadstoffe im Vordergrund.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: