Scheunenfund:Ente gut, gar nichts gut

Lesezeit: 4 min

In einem Holzschuppen im Schwarzwald finden Arbeiter einen fabrikneuen Citroën 2CV. Ein Glücksfall für die Gemeinde Oberwolfach - bis sich die Schwester der ehemaligen Besitzerin meldet.

Von Felix Reek

Scheunenfund - allein das Wort lässt die Augen von Oldtimer-Fans leuchten. Einmal die Tore eines verlassenen Bauernhofes öffnen und einen vergessenen Porsche Speedster finden. Oder einen VW Bulli Samba mit 23 Fenstern. Die Wahrheit aber ist: Das kommt nur äußerst selten vor. Die meisten Scheunenfunde entpuppen sich als reine Werbefloskel der großen Auktionshäuser. Es sind gehegte und gepflegte Oldtimer, deren Besitzer irgendwann sterben. Das Schlagwort Scheunenfund sorgt für mehr Aufmerksamkeit - und für einen höheren Preis.

Ganz anders im Dezember 2017 in Oberwolfach, mitten im Schwarzwald. Die kleine Gemeinde südöstlich von Offenburg hat von der Ehefrau eines ehemaligen Bürgers nach dessen Tod mehrere Grundstücke gekauft. Auf einem davon steht das Haus seiner Eltern, das er als Feriendomizil nutzte. Die Arbeiter brauchen Tage, um all die Zeitungsartikel und Autoteile im Inneren herauszuschaffen. Nebenan ein klappriger Schuppen, dem sie zuerst nicht viel Aufmerksamkeit widmen. An dessen Außenwand stapelt sich Feuerholz bis unters Dach. Nachdem das abgetragen ist, die große Überraschung: Im Inneren steht ein Auto. Dick überzogen mit einer Schicht aus Staub und Dreck. Ein roter Citroën 2 CV, besser bekannt unter seinem Spitznamen "Ente". Die Überraschung ist noch größer, als der Blick in den Innenraum fällt. Die Sitze sind mit Plastikhüllen überzogen, der Tachostand: 15 Kilometer.

Nach einer näheren Untersuchung zeigt sich: Es ist eine fabrikneue Ente. Die letzte Serie aus dem Jahr 1990, Modell "Club", mit 28 PS. Praktisch ohne Alterserscheinungen, nur an den Felgen findet sich ein wenig Rost. Denn auch unter dem Auto stapelte sich das Feuerholz, weswegen der Unterboden gut konserviert ist. Die Vermutung: Der verstorbene Besitzer des Gebäudes hat sich die Ente "auf Vorrat" gekauft, ist damit vom Autohaus bis zum Schuppen gefahren, hat den Citroën dort eingelagert - und nie wieder angerührt. Genau weiß das allerdings niemand, es gibt keine Papiere für den 2 CV. Doch zumindest ein paar Indizien sprechen dafür: Der im Jahr 2016 verstorbene Besitzer des Schuppens fuhr seit 1975 immer wieder Ente. Zuletzt einen heruntergekommen 2 CV in Rot - Modell "Club".

Für die Gemeinde Oberwolfach ein unerwarteter Glücksfall. Bürgermeister Matthias Bauernfeind entschließt sich kurz vor Weihnachten, den Citroën zu versteigern. Interessierte Bürger können schriftlich ein Gebot abgeben. Den Zuschlag erhält Fridolin Bonath, übrigens nicht verwandt mit dem mutmaßlichen früheren Besitzer. Ihm liegt die Marke im Blut: Der Kfz-Meister ist der Sohn des örtlichen Citroën-Händlers. Er zahlt 24 500 Euro für den 2 CV im Neuzustand. Ente gut, alles gut. So könnte man zumindest meinen. Bis sich die Schwägerin des verstorbenen mutmaßlichen Besitzers meldet: "Ich finde, meiner Schwester gehört das Auto", so ihre Ansicht.

Bereits kurz vor der Versteigerung schreibt sie dem Bürgermeister von Oberwolfach. Ihre Schwester ist dazu nicht mehr in der Lage, sie leidet an Chorea Huntington, einer Krankheit, die grundlegende Bereiche des Gehirns zerstört. Sie kann seit Jahren nicht mehr sprechen, den Verkauf der Grundstücke samt Schuppen und Ente hat ihre gesetzlich bestimmte Betreuerin veranlasst. Doch die Gemeinde verweist darauf, dass der Holzschuppen ungeräumt samt Inhalt verkauft wurde. Weswegen beide Parteien jetzt mehr als zwei Jahre später vor Gericht stehen.

Im April 2018 übernahm die Klägerin die Betreuung ihrer Schwester, erst als Vormund darf sie in deren Namen vor Gericht ziehen. Für das Verhalten der Gemeinde hat sie wenig Verständnis: "Sie finden ein Auto, sie wissen nicht, wie lange es da drin steht, sie wissen nicht, wem es gehört, und sie verkaufen es einfach weiter", sagt sie. Mit ihrer Kritik steht sie nicht allein: Auch in einigen 2 CV-Foren im Internet sorgte der Scheunenfund für Diskussionen. Vielen der Nutzer waren die Besitzverhältnisse nicht eindeutig genug geklärt, um ein Gebot für die rote Ente abzugeben.

Für Bürgermeister Matthias Bauernfeind stellt sich der Fall anders dar. Er zitiert aus dem Kaufvertrag: "Ich teile Ihnen mit, dass das Eigentum der im Holzlager befindlichen Gegenstände auf Sie mit übergegangen ist." Den Vorschlag des Landgerichts Offenburg, den Kaufpreis zu teilen, lehnte die Gemeinde im März ab. "Wenn ich etwas verkaufe, muss ich mir auch mal 15 Minuten Zeit nehmen, um nachzusehen, was ich da eigentlich verkaufe", wirft Bauernfeind ein. "Machen wir mal den anderen Fall auf: Wir hätten dort kein Auto gefunden, sondern ein ausgelaufenes Fass Schweröl. Sanierungskosten 30 000 Euro. Da hätte die Gegenseite auch nicht gesagt, wir zahlen die Hälfte der Kosten." Zumal sich aufgrund der fehlenden Papiere niemand sicher sein kann, ob die Schwester der Klägerin beziehungsweise ihr verstorbener Mann überhaupt die Besitzer sind. "Wenn wir Pech haben, kommt in zwei Jahren der Onkel Heinz aus Alaska zurück, der dort seit 40 Jahren abgeschieden gelebt hat, und will sein Auto abholen", scherzt er. Wenngleich er das offensichtlich gar nicht lustig findet.

Genauso wenig wie der jetzige Besitzer Fridolin Bonath, dessen Ente mehr als zwei Jahre nach dem Verkauf wieder durch die Lokalpresse geistert. Selbst der SWR berichtete in der "Landesschau". Auf Nachfrage heißt es im Autohaus seines Vaters nur: "Der will des alles net", dann wird das Gespräch abrupt beendet. Auf die Kontaktaufnahme per Facebook antwortet Bonath erst gar nicht. Im Juli 2018 berichtete er noch in der Welt stolz von seiner neuen Ente, die Kurvenlage wäre "brutal". Viel fahren wolle er den 2 CV aber nicht, er habe "das Auto als Wertanlage gekauft". Was heißt, dass der Citroën, der im Juli offiziell ein Oldtimer wird, auch in Zukunft vor allem wieder in der Garage stehen dürfte. Was mit den 24 500 Euro passiert, die Bonath für die knallrote Ente gezahlt hat, entscheidet sich voraussichtlich am 13. Mai. Dann will Richter Werner Kadel am Landgericht Offenburg sein Urteil verkünden. Im März hatte er die erste Sitzung mit den Worten eröffnet: "Wir verhandeln heute über Glück." Aber des einen Glück ist ja bekanntlich des anderen Leid.

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: