Wäre man aus dem Verkehrsministerium von Andreas Scheuer nicht so viele Pannen gewohnt, könnte man fast an Vorsatz glauben. Der neue Bußgeldkatalog, der erst seit Ende April in Kraft ist und unter anderem schärfere Strafen für Raser vorsieht, ist wegen eines Formfehlers vermutlich rechtswidrig; eine Reihe von Bundesländern ist deswegen bereits zur alten Verordnung zurückgekehrt. Weil die Regierungsbürokratien von Bund und Ländern jedes Jahr unzählige Rechtsvorschriften produzieren und es dafür eine eingeübte Routine gibt, ist Schlamperei als Fehlerquelle eigentlich nur schwer vorstellbar. Aber wie gesagt, es handelt sich um das Ministerium von Andreas Scheuer.
Politisch passt Scheuer die neueste Panne ausnahmsweise gut ins Konzept. Denn der CSU-Minister wollte die Verschärfungen für Temposünder in dieser Form von Anfang an nicht, sie sind ihm vom Bundesrat in seine Novelle hineingeschrieben worden. Kaum war diese zwei Wochen in Kraft, wollte Scheuer sie schon wieder abmildern. Es sei unverhältnismäßig, jammerte der Minister, bereits bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 Kilometern in der Stunde innerorts und von 26 km/h außerhalb von Ortschaften ein Fahrverbot von einem Monat zu verhängen. Die Autolobby, vor allem der ADAC, hatte mächtig Druck gemacht, und Scheuer knickte prompt ein, wieder einmal.
In der Sache ist das Gezeter von ADAC und Co. unverantwortlich. Überhöhte Geschwindigkeit gehört zu den größten Risikofaktoren im Straßenverkehr. Wer notorisch zu schnell fährt, begeht damit kein Kavaliersdelikt, sondern gefährdet vorsätzlich andere Menschen. Und das kann eben auch nicht einfach aus Versehen passieren, wie es jene gerne behaupten, die erwischt werden. Weil es eine Messtoleranz von drei Kilometern in der Stunde gibt und auch der Tacho in der Regel etwas mehr anzeigt, muss dieser schon 75 km/h anzeigen, damit man in Gefahr gerät, innerorts ein Fahrverbot zu kassieren. Da kann sich keiner darauf herausreden, er habe gar nicht bemerkt, dass er zu schnell gefahren sei. Zumal immer mehr Autos digitale Tachoanzeigen oder gar Head-up-Displays haben, bei denen das Tempo dem Fahrer entgegenleuchtet.
Exklusiv Verkehrsministerium:Schiedsverfahren um geplatzte Pkw-Maut soll Millionen kosten
Allein der Spitzenanwalt, der den Bund vertritt, berechnet 675 Euro - pro Stunde. Andreas Scheuers Ministerium erwartet unabhängig vom Ausgang hohe Kosten. Fachleute sehen das neuerliche Verfahren vor dem Schiedsgericht nicht nur deshalb kritisch.
Bisher hat die CSU den Pannen-Minister immer geschützt
Wer die Fahrverbote des neuen Bußgeldkatalogs für eine unverhältnismäßige Strafe hält, sollte sich mit Fahrphysik beschäftigen. Denn mit dem Bremsweg ist es ein bisschen so wie mit dem Coronavirus: Er erhöht sich nicht linear, sondern die Bewegungsenergie eines Fahrzeugs steigt quadratisch zur gefahrenen Geschwindigkeit. Wer bei Tempo 50 eine plötzliche Vollbremsung hinlegt, weil vor ihm ein Fußgänger auftaucht, kommt nach knapp 28 Metern zum Stehen - wenn er sofort reagiert. Bei Tempo 75 sind es schon mehr als 50 Meter, also fast doppelt so viel. Das kann für ein potenzielles Unfallopfer den Unterschied bedeuten zwischen Unversehrtheit und schweren Verletzungen, im schlimmsten Fall zwischen Leben und Tod.
Für Andreas Scheuer ist es nach dem Zögern beim Dieselskandal und dem Desaster bei der Pkw-Maut die nächste Blamage. Bisher hat die CSU ihren Pannenminister immer geschützt. Das könnte sich ändern. Sollte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder tatsächlich Kanzlerambitionen haben, wäre es durchaus sinnvoll für ihn, sein Berliner Personal neu aufzustellen, um nicht mit unnötigem Ballast in den Wahlkampf zu ziehen.