Es sind noch nicht viele Kilometer absolviert bei der Sachsen Classic, und man fühlt sich bereits wie die Queen. Das Volk winkt, man winkt zurück. So oft und so lange, bis die Arme schwer sind. Zwar nicht aus einer Pferdekutsche wie Elizabeth II. bei ihrer Geburtstagsparade. Dafür vom Beifahrersitz eines alten Autos aus. Mit einem Horch 930 V fahren wir bei der Sachsen Classic mit. Am Steuer sitzt Robert Mayerhöfer von Audis Traditionsabteilung. Mayerhöfer war schon oft dabei. Zwar noch nie als Teilnehmer, aber als schraubender Begleiter. Deshalb ist es hilfreich, als er dem Neuling sagt: "Bild' dir nichts drauf ein. Sie winken nicht uns, sondern dem Auto." Unserem Horch-Cabriolet, gebaut im Jahr 1939 in Zwickau, winken sie aber enthusiastischer und herzlicher als den anderen Modellen.
Das hat mehrere Gründe. Der wichtigste ist der Sachverstand des Publikums: Die Sachsen wissen, welche der 184 Autos und 40 Motorräder aus ihrer Heimat stammen. Die Menschen hier sind sich der großen sächsischen Tradition im Autobau bewusst. Sicher schwingt Stolz mit, weil sie mit diesem Horch einem Wagen begegnen, der zu seiner Zeit zur internationalen Elite im Automobilbau zählte.
Ein paar Wochen zuvor steht kaum jemand am Straßenrand. Und wenn doch, winken diese Menschen nicht, sondern warten auf den Bus oder trimmen ihre Hecken. Dabei sind wir hier ebenfalls bei einer Oldtimer-Rallye unterwegs, noch dazu in einem Autoland. In Oberbayern, Heimat von BMW und Audi. Doch selbst Klassiker dieser Marken bekommen kaum Aufmerksamkeit. Geschweige denn der Mercedes 500 SEC, Baujahr 1983, der zusammen mit fast 100 anderen Old- und Youngtimern die Espresso Rallye absolviert. Der Auto-Pulk wird von den Menschen ignoriert.
Wie der fast 80 Jahre alte Horch und das dagegen moderne Mercedes-Coupé bilden die Sachsen Classic und die Espresso Rallye zwei Enden des Spektrums. Hier das High-End-Event über drei Tage, mit Übernachtung und Essen im Fünf-Sterne-Hotel. Dort die Kurz-und-knapp-Version, bei der die Teilnehmer morgens an- und abends abreisen und im bayerischen Wirtshaus speisen. Die Sachsen Classic wird ausgerichtet von einem großen Fachverlag und unterstützt vom VW-Konzern als Haupt- und unzähligen anderen Firmen als Nebensponsoren. Eine kleine Agentur veranstaltet, co-finanziert von lokalen Firmen, die Espresso Rallye. Einerseits das fast schon internationale Spektakel, deren Macher wissen, wie man mit umfangreicher Pressearbeit die Menschen vor Ort aktiviert. Andererseits die Zusammenkunft einiger Oldtimer-Enthusiasten, die nur Insider kennen. Enthusiasten, die den Eindruck machen, gerne unter sich zu bleiben - und 269 Euro pro Auto gezahlt haben.
Es geht um schnelles genussvolles Vorankommen
Selbst wer bereit ist, 1690 Euro für die Teilnahme an der Sachsen Classic zu bezahlen, ist nicht sicher dabei. Es gibt viel mehr Interessenten als Startplätze, von denen die Sponsoren und die Klassikabteilungen der Autohersteller bereits einen beträchtlichen Teil besetzen. Dann siebt der Veranstalter aus: Ist das Auto, das genannt werden soll, schon im Starterfeld vertreten? Ist sein Zustand gut genug? Kann es eine spannende Historie vorweisen - und sein Besitzer womöglich einen gewissen Grad an Prominenz? Bei der Espresso Rallye sind die Schwellen niedriger: Wer das Nenngeld zahlt, sich rechtzeitig anmeldet und ein Auto besitzt, das alt genug ist und ausreichend TÜV hat, ist dabei. So passiert es, dass ein großer Teil des Feldes aus diversen Generationen von VW-Käfern, Porsche 911 und Mercedes SL besteht.
Eins eint die gegensätzlichen Rallyes jedoch: Es geht nicht um möglichst schnelles, sondern um genussvolles Vorankommen. Ob ein Team sein Auto schneller ins Ziel bringt als ein anderes, ist irrelevant. Hier geht es um gleichmäßiges Tempo. Es gibt zwar Zeitvorgaben, aber die sind großzügig bemessen und locker einzuhalten - wenn man sich nicht verfährt. Mit den Angaben im Roadbook, dem Heiligtum einer jeden Klassiker-Rallye, hangeln sich die Teilnehmer von Wegpunkt zu Wegpunkt. Stets bestrebt, die Distanz- und die Richtungsangaben (von Eingeweihten Chinesenzeichen genannt) richtig zu lesen.
Je genauer und eindeutiger das Roadbook, umso leichter fällt das. Bei der Sachsen Classic ist es sehr exakt. Bei der Espresso Rallye lässt es dem Navigator Interpretationsspielraum, da gerät bei den Angaben schon mal etwas durcheinander. Mühsam rangierte Oldtimer, ahnungslos blickende Fahrer und hektisch blätternde Beifahrer sind die Folge. Ins Ziel schafft es trotzdem jeder, irgendwann.
Potenzial, das Stresslevel im Cockpit zu heben, haben vor allem die Wertungsprüfungen. Sie bestimmen, wie man im Gesamtklassement abschneidet. Hier ist Präzision gefragt, vom Fahrer an Lenkrad und Pedalerie, vom Beifahrer an der Stoppuhr. Meist geht es darum, eine Strecke möglichst genau in der vorgegebenen Zeit zu absolvieren, zum Beispiel 200 Meter in 15 Sekunden. Das klingt einfach und wäre es auch, wenn es dabei nicht durch einen Slalomparcours, enge Schikanen oder rund um den dicken Stamm einer Marktplatz-Eiche gehen würde, um die sich Dutzende Zuschauer gruppieren - die wiederum den Blick auf die Ziellinie versperren. Immer gilt: Je weiter man die Zielzeit verfehlt, umso mehr Strafpunkte hagelt es - und umso tiefer landet man in der Ergebnisliste.
Kameras am Oldtimer
Anfängern bleibt da nur, sich heranzutasten und gelassen zu bleiben. Es sollen schon Beziehungen, ja sogar Ehen während Oldtimer-Rallyes zerbrochen sein. Besonders anfällig für derartige Dramen sind diejenigen, die das Ganze sehr, womöglich zu ernst nehmen. Die nicht nur mindestens drei Stoppuhren und separate, mit dem Tacho des Autos verbundene Wegstreckenzähler verbauen. Sondern die ihren Klassiker auch mit Kameras ausrüsten, um genau zu sehen, wann der vordere Punkt des Autos die Lichtschranke durchfährt oder die Räder über den Schlauch fahren, der die Zeit stoppt. So wird Oldtimerfahren zum Hightech-Sport.
Diese Spezies findet sich übrigens da wie dort unter den Teilnehmern. Natürlich sind am Ende die Ehrgeizigen vorn in der Tabelle. Jene Mannschaften, die nach drei Tagen Sachsen Classic mit 342 Strafpunkten Platz eins belegen wie das Porsche-Duo Dieter und Tina Horn - während die Horch-Besatzung mit 5588 Punkten auf Rang 163 auftaucht.
Im Ziel warten interessante Benzingespräche
Was auch am zwischenzeitlichen Wechsel des Beifahrers auf den Fahrersitz liegt. Es bedarf nur weniger Kilometer, bis die anfängliche Nervosität der Erkenntnis weicht, dass sich Autofahren in den vergangenen 80 Jahren so gut wie nicht verändert hat. Kupplungs-, Brems- und Gaspedal, Lenkrad und Schalthebel, alles befindet sich dort, wo es auch in modernen Autos ist. Es will nur mit mehr Kraft bedient werden oder erfordert, wie die Schaltung, weitere Wege. Solange die Landstraßen leer und übersichtlich sind, steigt der Spaß. Kribbelig wird es bei langsamem Tempo. Herunterschalten ist mit dem alten Getriebe nämlich nicht so einfach, und Mayerhöfers Fuß-Choreografie beim Zwischengasgeben fällt beim Kurzzeit-Piloten wenig souverän aus.
Dennoch erreicht der Horch wohlbehalten das Ziel: An der Gläsernen Manufaktur in Dresden wartet, natürlich, eine Menschenmenge auf den Konvoi. Bei der Espresso Rallye warten nur der Wirt des Gasthofes und seine Bedienungen. Und einige interessante Benzingespräche mit den anderen Teilnehmern, die gespickt sind mit Geschichten und Anekdoten, die meist, aber nicht immer, von Autos handeln. Auch hierin unterscheiden sich die Sachsen Classic und die Espresso Rallye kaum.
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