Sie sehen aus wie Fahrräder, sind rechtlich Kleinkrafträder und gehen ab wie Raketen: Speed-Pedelecs sind die Ferraris unter den Fahrzeugen, die mit Pedalen getreten werden. Ihre gesetzliche Sonderstellung ist mit zahlreichen Vorschriften verbunden. Manche in der Fahrradszene meinen, der Gesetzgeber möchte diese Art der Fahrzeuge vom Verkehr ausschließen; dabei könnten sie eine Alternative zum Auto sein, vor allem auf Pendlerstrecken um die 20 Kilometer. Was also genau sind S-Pedelecs? Und was müssen Nutzerinnen und Nutzer alles beachten? Die wichtigsten Fragen und Antworten kurz zusammengefasst:
Was ist ein S-Pedelec?
Pedelec bedeutet "Pedal Electric Cycle". Das heißt: Sobald Radfahrende in die Pedale treten, unterstützt ein Elektromotor den Antrieb. Bei einem normalen Pedelec schaltet die Unterstützung allerdings bei einem Tempo von etwa 25 Kilometer pro Stunde ab. Im Sinne des Gesetzes sind sie ein Fahrrad, obwohl sie einen Motor haben. Beim S-Pedelec ist das anders: Das S steht für "Speed". Und Speed-Pedelecs unterstützen den kurbelnden Fahrer bis zu einem Tempo von 45 km/h. Nach dem Gesetz sind S-Pedelecs deshalb auch keine Fahrräder mehr, sondern Kleinkrafträder. Somit gelten für die schnellen Pedelecs Gesetze, die für gewöhnliche Pedelecs und Fahrräder nicht gelten. Wer sich ein S-Pedelec kaufen möchte, sollte deshalb genau prüfen, ob ein solches Fahrzeug sinnvoll ist.
Wer darf ein S-Pedelec fahren?
Für ein S-Pedelec ist einen Führerschein mindestens der Klasse AM notwendig. Umgangssprachlich wird dieser "Rollerführerschein" genannt. Den kann man seit Mitte 2021 in allen Bundesländern bereits ab 15 Jahren machen. Wer einen Auto- oder Motorradführerschein hat, darf auch Speed-Pedelecs fahren, denn die decken die Klasse AM mit ab. Eine Kennzeichenpflicht besteht nicht, auch von der Steuer und der Hauptuntersuchung sind S-Pedelecs befreit. Eine Haftpflichtversicherung ist jedoch Pflicht - eine entsprechende Versicherungsplakette ist am S-Pedelec anzubringen.
Wie viel kostet die Versicherung?
Die Jahresprämie beträgt beispielsweise für 16-Jährige bei der Allianz 78 Euro. Mit zunehmendem Alter sinkt die Prämie in der Regel, weil erfahrene Verkehrsteilnehmer statistisch weniger häufig in Unfälle verwickelt sind als Anfänger. Für günstige oder gebrauchte S-Pedelecs reicht eine Haftpflichtversicherung. Wer ein neues und hochwertiges Speed-Pedelec hat, sollte sich überlegen, ob er nicht zusätzlich eine Teilkaskoversicherung abschließt. Die ist freiwillig und deckt beispielswiese einen Diebstahl ab.
Gibt es eine Helmpflicht?
Ja. Im Gegensatz zu Fahrrädern und gewöhnlichen Pedelecs hat der Gesetzgeber für Speed-Pedelecs eine Helmpflicht vorgesehen. Kurioserweise schreibt das Gesetz aber nicht vor, ob ein Fahrradhelm genügt oder ob es ein Motorradhelm sein muss. "Der Gesetzgeber hat das Thema nie angepackt, nur um den Wandel hin zur Elektromobilität nicht zu stören", sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Er geht davon aus, dass S-Pedelec-Fahrende, die mit einem Fahrradhelm unterwegs sind, keinen Ärger mit der Polizei bekommen und im Versicherungsfall glimpflich davonkommen dürften.
Wo darf man S-Pedelecs fahren? Und wo nicht?
Die mit den bekannten blauen Schildern markierten Fahrradwege sind für S-Pedelec-Nutzer tabu. Ebenso Feld- und Waldwege, die mit Verbotsschildern für Motorfahrzeuge ausgewiesen sind. Damit fallen schon mal viele der Wege flach, auf denen üblicherweise mit Fahrrädern geradelt wird. Speed-Pedelecs dürfen auch nicht auf dem Gehweg abgestellt werden, sondern müssen auf einen Pkw-Parkplatz geparkt werden - gegebenenfalls sogar mit Parkscheibe oder Parkausweis. Für Reifen gilt eine Mindestprofiltiefe, und S-Pedelecs dürfen keinen Anhänger ziehen und auch nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln mitfahren. Vorgeschrieben sind neben dem beleuchteten Versicherungskennzeichen eine Betriebserlaubnis, Rückspiegel, Hupe und Seitenständer.
Wie genau fährt sich ein S-Pedelec?
Für diesen Artikel hat der Schweizer Hersteller Stromer der SZ ein S-Pedelec, Modell ST3, zu Testzwecken zur Verfügung gestellt. Dabei stellte sich rasch heraus: Wer meint, ein S-Pedelec sei einfach nur ein doppelt so schnelles Pedelec, verkennt die Situation völlig. Speed-Pedelecs bieten eine andere Art der Fortbewegung: Radfahren mit der Dynamik eines kleinen Motorrads. Innerorts klebt man mit dem S-Pedelec manch vorausfahrendem Auto an der Stoßstange. Auf dem S-Pedelec radelt man nicht mehr so schnell wie man kann, sondern wie es der Verkehr erlaubt. Von einer zur anderen Ampel geht es so schnell wie mit dem Auto. In Tempo-30-Zonen muss man sich zusammenreißen, um nicht zu schnell zu sein. Wenn der Verkehr fließt und es keine Tempobegrenzung gibt, bedeutet das: Tour-de-France-Modus. Auf der Straße außerorts sieht es anders aus: Da ist man zu langsam, um mit den Autos mithalten zu können. Mitunter gerät man so auch in (lebens)gefährliche Situationen. Und das Ausweichen auf einen parallel verlaufenden Radweg ist ja verboten. Auf jeden Fall sollte man seinen Fahrstil der höheren Geschwindigkeit anpassen. Dazu zählt unter anderem: früher bremsen, an unübersichtlichen Stellen das Tempo drosseln und stärker Rücksicht nehmen auf andere Verkehrsteilnehmer. Das Umgewöhnen dauert etwas, danach ist es Radfahren im Raketenstil.
Was kosten S-Pedelecs?
S-Pedelecs sind nicht billig. Das ST3 von Stromer kostet 8600 Euro; es ist allerdings der Porsche unter den S-Pedelecs. Der Hersteller Cube mit Sitz in der Oberpfalz bietet Einstiegsmodelle ab 4000 Euro an. Bis 6000 Euro geht die Mittelklasse. Der Hinterradnabenmotor am Stromer leistet 820 Watt, hat ein Drehmoment von 44 Newtonmeter und ist sehr leise. Die Kapazität des Akkus beträgt 814 Wattstunden, was im Test für bis zu 130 Kilometer reichte. Geladen ist die Batterie in vier Stunden und 45 Minuten. Im Vergleich zu Pedelecs haben Speed-Pedelecs einen stärkeren Motor, einen größeren Akku und einen stabileren Rahmen. Das macht sie nicht nur teurer, sondern vor allem auch schwerer: Das Stromer ST3 wiegt 33 Kilogramm und damit bis zu zehn Kilogramm mehr als ein gewöhnliches Pedelec.
Für welchen Zweck eignet sich ein S-Pedelec?
Vor allem für Pendlerinnen und Pendler mit längeren Wegen zur Arbeit. Die größte Stärke von S-Pedelecs liegt in ihrer Geschwindigkeit, damit könnten sie im nahen Pendlerverkehr problemlos Autos ersetzen, findet Anika Meenken, Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung beim ökologischen Verkehrsclub (VCD). Auch der ADAC sagt, dass S-Pedelecs "vor allem für Pendelstrecken bis 20 Kilometer (einfach) gut geeignet sind". Diese Distanz lasse sich ohne übermäßige körperliche Anstrengung bewältigen. "Bei längeren Strecken kann aber eine Ladepause nötig sein", erklärt der ADAC. Auf seiner Internetseite www.adac.de hat der Automobilclub einen ausführlichen Test von neun S-Pedelec-Typen veröffentlicht. Im SZ-Test mit dem Stromer zeigte sich: Morgens zur Arbeit geht es im Vergleich zum Pedelec in der Hälfte der Zeit. Man kommt an, als wäre man mit einem Motorrad unterwegs gewesen. Das macht schon Spaß und gute Laune.
Sind S-Pedelecs eine Gefährdung für die Verkehrssicherheit?
Die bergige Schweiz gilt als Vorreiterland für diese Fahrzeugart, dort liegt der Anteil der S-Pedelecs am Markt der elektrisch unterstützten Fahrräder bei zwölf Prozent. In Deutschland sind Speed-Pedelecs indes mit einem Marktanteil von 0,5 Prozent bislang Exoten. Und weil es nur so wenige S-Pedelecs hierzulande gibt, "lassen sich keine wissenschaftlich validen Aussagen darüber treffen, ob diese Fahrzeuge andere Verkehrsteilnehmer oder die Fahrenden sich selbst gefährden", sagt Unfallforscher Brockmann. Nach seiner Einschätzung ist die Anzahl an Speed-Pedelecs in Deutschland so gering, weil die Menschen nicht so schnell fahren wollen. Den allermeisten reiche die Pedelec-Geschwindigkeit: "Nur eine bestimmte und kleine Zielgruppe will mehr Speed, und die ist sicher nicht 70 plus", meint Brockmann. Jüngere, sportliche Fahrer könnten das Tempo beherrschen, deshalb ist er beim Thema Verkehrssicherheit auch aufgrund der sehr geringen Stückzahlen entspannt.
Könnten sich die Regeln für S-Pedelecs in Zukunft ändern?
Vielleicht. Diverse Verbände üben aktuell entsprechend Druck aus. So sieht der VCD in ihnen "eine sinnvolle und wirksame Ergänzung für einen klima- und gesundheitsfreundlichen Mobilitätsmix - sofern die Politik die passenden Rahmenbedingungen schafft", sagt VCD-Expertin Meenken. Sie glaubt: Würde der Gesetzgeber die Regeln ändern, könnten viele Autofahrer und -fahrerinnen zum Umstieg bewegt werden. So ist zum Beispiel das Verbot von Rad-, Wald- und Feldwegen für S-Pedelecs weder für den VCD noch für andere Verbände aus der Fahrradbranche nachvollziehbar. Sie fordern eine Reform der starren Autostraßenbenutzungspflicht. Alexander Rosenthal vom Bundesverband Zukunft Fahrrad sagt, S-Pedelecs sollten "in der Geschwindigkeit gedrosselt auf Radwegen zugelassen sein, voll ausgefahren können sie im Verkehrsfluss auf der Straße mitschwimmen".
Gibt es auch Kritiker einer möglichen Lockerung?
Ja. Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR), steht einer möglichen Lockerung der Regelungen für S-Pedelecs skeptisch gegenüber. Für ihn hat der Gesetzgeber die schnellen Pedelecs nicht ohne Grund als Kraftfahrzeuge eingestuft: "Die Geschwindigkeiten, die mit einem S-Pedelec erreicht werden können, vertragen sich nicht mit den Geschwindigkeiten von Zu-Fuß-Gehenden und Fahrradfahrenden und können insbesondere für ältere Menschen oder Kinder eine Gefahr darstellen", sagt er. Aus Sicht des Radfahrverband ADFC passen Speed-Pedelecs als Fahrzeuge so recht in keine Kategorie: "S-Pedelecs gehören als Kraftfahrzeuge auf die Fahrbahn oder auf speziell dafür freigegebene Radwege außerorts", sagt ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. Der Club fordert für alle Fahrzeuge Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, damit Radfahrende und Fußgänger sicherer unterwegs sein können.
In Tübingen hat die Stadtverwaltung vor einigen Jahren ein Wegenetz speziell für S-Pedelecs ausgewiesen. Alle zentralen Ziele in der Innenstadt sollen mit den schnellen Pedelecs erreichbar sein. Das Netz ist etwa 150 Kilometer lang, verläuft jedoch nur zur Hälfte auf Radwegen, der Rest über Straßen. An engen und gefährlichen Stellen wie Unterführungen wurde für S-Pedelecs ein Höchsttempo von 30 km/h eingeführt und entsprechend ausgeschildert. Bislang, so heißt es aus der Stadt, sei es kaum zu Konflikten gekommen.
Hinweis der Redaktion: Ein Teil der im "Mobilen Leben" vorgestellten Produkte wurde der Redaktion von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und/oder auf Reisen präsentiert, zu denen Journalisten eingeladen wurden.