Automuseum in Russland:Roste in Frieden

Im russischen Hinterland betreibt ein ehemaliger Rennfahrer ein Museum für historische Sowjetautos - darunter echte Raritäten. Vom perfekten Sammlerzustand sind die Oldtimer allerdings weit entfernt.

Von Jens Malling und Oliver Will

Die Farbe bröckelt von der Karosserie, die abgeblätterten Überreste bilden Muster. Der Pobeda vom Typ GAZ-M-20 hat einen zerschlagenen Scheinwerfer. Die Stoßstange des Autos ist in glänzendem Chrom gehalten und geschwungen wie ein fülliges Lippenpaar. Es scheint, als verberge sich hinter dem Scheinwerferglas ein Funken Leben. Als ob das Licht jeden Augenblick wieder angemacht werden könnte und der Motor noch einmal starten würde. Als hätte das Auto eine Seele und würde sich an seine Fahrgäste erinnern, die es im sowjetischen Imperium herumgefahren hat, zu den Zeiten, als Stalin noch herrschte. Mehr als ein halbes Jahrhundert verging, bevor das Fahrzeug hier auf dem Feld von Michail Krasinez seine ewige Ruhe fand.

Dieses Modell wurde seit 1946 ein Jahrzehnt lang im Gorkowski Awtomobilny Sawod, dem Automobilwerk in Gorki, produziert. "Pobeda" heißt "Sieg" auf Russisch und ist eine Anspielung auf den Ausgang des Zweiten Weltkrieges. Die runden Formen, die das Design definieren, orientierten sich an den ästhetischen Idealen dieser Epoche. Das Auto wurde zum Symbol des Lebens in der Nachkriegszeit der UdSSR.

Freilichtmuseum mit 300 ausrangierten Autos

Autofriedhof Russland

Geschwungene Formen, cremefarbene Armaturen - der Inbegriff sowjetischen Komforts.

(Foto: Jens Malling)

Egal, wo man sich auf Krasinez' weitläufigem Autofriedhof umsieht, begegnet man dem Blick der Fahrzeugfronten. Krasinez besitzt mehr als 300 ausrangierte Autos. Die Sammlung befindet sich südlich von Moskau am Rand des Dorfes Tschern, tief im russischen Hinterland, irgendwo zwischen den Städten Tula und Orjol. Sie ist offiziell ein Freilichtmuseum.

Die Abteilung für Moskwitsch-Modelle ist besonderes groß, aber Krasinez hat auch eine beträchtliche Anzahl von Wolgas, ZAZs und Izh-Kombis - Automarken, die meist unbekannt im Westen sind, Nationalgut der ehemaligen Sowjetunion. "Hier ist er, ein Tschaika, auch GAZ-13 genannt", sagt Michail Krasinez und zeigt stolz das Hauptstück seiner Sammlung. Einzelheiten in der Gestaltung des stromlinienförmigen Hecks erinnern an die Flügel eines Vogels - "Tschaika" ist das russische Wort für Möwe. Mattschwarzer Lack, silberne Paneele entlang der Seiten - das Modell war für die höheren Mitglieder der Nomenklatura bestimmt und repräsentiert den ultimativen Komfort der 1960er-Jahre. Das Auto war der Favorit des damaligen Generalsekretärs Nikita Chruschtschow, und es ist leicht vorstellbar, wie er, vielleicht von der Kubakrise gestresst, auf dem Rücksitz Platz nahm.

"Dieses Modell ist von 1961", sagt der Gründer des Museums, lässt sich in den Fahrersitz fallen und legt die Hände auf das cremefarbene Lenkrad. In der Mitte prangt ein rotes GAZ-Logo. Die Zahlen auf dem Tacho sind goldfarben. Fast kommt es einem so vor, wenn man das Radio einschalten würde, spielte es die alten Balladen von Wladimir Wyssozki und Bulat Okudschawa. Durchschnittliche Sowjetbürger hatten keine Chance, einen solchen Tschaika zu erwerben, konnten das Auto aber für Hochzeiten mieten. Insgesamt wurden nur rund 3000 "Möwen" hergestellt, sie sind heute begehrte Raritäten.

Autofriedhof Russland

Für Patina sorgen Wind und Wetter.

(Foto: Jens Malling)
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: