Süddeutsche Zeitung

Rügen:Land unter

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Weil sich der Ausbau der Straßen auf der Insel Rügen verzögert, führt die neue Brücke geradewegs in den Stau.

Arne Boecker

Am vergangenen Donnerstag war es so weit: Schon am Morgen standen die Autofahrer, die Ostern auf Rügen ausspannen wollen, im Stau. Denn ungeachtet dessen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2007 die elegante, neue Brücke, die die Hansestadt Stralsund mit der Ostseeinsel verbindet, feierlich eröffnet hat, bleiben Rügenreisende im Stau stecken.

Das Problem heißt B 96

Denn im Unterschied zu früher ballen sich die Autos nicht mehr vor, sondern hinter der "Strelasundquerung", wie Verkehrsexperten das neue Bauwerk nennen. Der Grund: Man rollt jetzt zwar schneller auf Deutschlands größte Insel, aber dann fehlt das, was die Polizei "eine leistungsfähige Weiterführung" nennt.

Auch weil der Tourismus zu den raren Erfolgsgeschichten zählt, die Mecklenburg-Vorpommern seit der Wiedervereinigung geschrieben hat, wurde die Infrastruktur in der Vergangenheit erheblich modernisiert.

Seit mehr als zwei Jahren können Touristen bei Lübeck auf die A 20 einbiegen, um erst Ferienorte wie Boltenhagen oder Kühlungsborn in Mecklenburg und dann die auf Rügen oder Usedom in Vorpommern abzuklappern. Bei Stralsund zweigt ein Zubringer ab, der an der neuen Rügenbrücke endet. Dann allerdings beginnt das Dilemma - und das heißt B 96.

Die Bundesstraße 96 durchzieht fast ganz Ostdeutschland. Sie beginnt in Zittau-Sachsen und endet in Sassnitz/Mecklenburg-Vorpommern, dem Fährhafen der Insel Rügen. Nach der Brücke führt sie zweispurig über fast 20 Kilometer in die Kreisstadt Bergen, wohin die meisten Rügenreisenden fahren, um dann Küstenorte wie Binz und Sellin im Osten, Naturschönheiten wie den Königsstuhl und das Kap Arkona im Norden zu besuchen oder nach Schaprode im Westen abzubiegen, von wo aus sie auf die Insel Hiddensee übersetzen können.

Naturschützer versuchen, den Ausbau zu verhindern

Damit sich der Stau nicht einfach nur ein paar Kilometer nach Norden, also auf die Insel verschiebt, sollte die B 96 eigentlich bis zur Fertigstellung der Rügenbrücke modernisiert sein. Aus zwei Gründen hat dies nicht funktioniert. Zum einen hat es die Landesregierung verpasst, gegenüber der Europäischen Union im ausreichendem Maß Vogelschutzgebiete auszuweisen, sodass sie jetzt nacharbeiten muss; der Abschnitt "befindet sich in der Umplanung", heißt es im Verkehrsministerium.

Man hoffe, in diesem Jahr "das Planfeststellungsverfahren wieder aufnehmen zu können". Die B 96n - n wie neu - stelle für Wirtschaftsunternehmen wie den Fährhafen Sassnitz sowie für Pendler und Urlauber "eine erhebliche Verbesserung des Verkehrsweges dar". Darauf dass die B 96n endlich gebaut werden kann, hofft Mecklenburg-Vorpommerns Politik allerdings seit mindestens vier Jahren. Schon damals, so hieß es, stehe die Planfeststellung kurz bevor.

Zum anderen versuchen Naturschützer, den Ausbau der B 96, so wie jetzt vorgesehen, zu verhindern. Marlies Preller vom Naturschutzbund (Nabu) sagt: "Rügen ist eine Sackgasse, in die immer mehr Autos hineindrängen - mit schlimmen Folgen für die Natur." Zusammen mit anderen Natur- und Umweltschutzorganisationen fordert der Nabu, Rügen ein Verkehrskonzept zu verordnen, in dem der öffentliche Nahverkehr an erster Stelle steht. Bei Samtens, etwa auf halber Strecke zwischen der Rügenbrücke und der Inselhauptstadt Bergen, haben Aktivisten zahlreiche Alleebäume mit weißen Kreuzen markiert; wenn die B 96n wie geplant gebaut wird, müssen diese Bäume fallen.

Die Pläne der Landesregierung sehen vor, die B 96n dreispurig anzulegen - also mit einer Mittelspur, die je nach Verkehrsaufkommen für die eine oder andere Richtung freigeschaltet wird. Bezahlen muss den Neubau der Bund; ursprünglich hatte man damit gerechnet, EU-Mittel zu bekommen. "Weil die Baumaßnahme nicht in dem bewilligten Förderzeitraum realisiert werden konnte", wie es im Verkehrsministerium Mecklenburg-Vorpommern heißt, entfallen nun diese Mittel aus Brüssel.

Kostenlose Busfahrten als Alternative?

Die Verwaltung des Landkreises Rügen arbeitet derzeit an einem "Integrativen Verkehrskonzept" für die Insel. Es soll alle Verkehrsträger zusammenbinden und durch intelligentes Management verhindern, dass sich allzu viele Staus bilden. Nach Auskunft von Landrätin Kerstin Kassner (Linkspartei) befindet sich das Konzept gerade in der "heißen Phase", demnächst wolle man es dem Verkehrsministerium in Schwerin vorlegen. Landrätin Kassner kann sich vorstellen, kostenfreie Busfahrten anzubieten, die über Kurtaxe und Fremdenverkehrsabgabe gegenfinanziert werden. Hier befinde man sich in der Abstimmung mit allen Beteiligten, weswegen sich derartige Ideen auch noch nicht im integrierten Verkehrskonzept wiederfinden.

Die Insel Rügen hat nach der Wiedervereinigung eine steile Karriere hingelegt; es gibt keine Region in Deutschland, die, auf die Zahl ihrer Bewohner gerechnet, mehr Besucher anlockt, wie ein Vergleich der Statistischen Landesämter zeigt. Im Schnitt rollen etwa 17.000 Autos pro Tag über die Rügenbrücke; und Experten rechnen damit, dass sich diese Zahl in den kommenden acht Jahren verdoppeln wird.

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SZ vom 22.3.2008/gf
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