Rückkehr der Kabinenroller:Aufstand der Zwerge

Audi, Audi Urban Future, Kleinkabinenroller

Stadtplaner träumen von Ordnung im urbanen Chaos der Megacities.

(Foto: Abdruck fuer Pressezwecke honora)

Heutige Megacities sind groß, laut und überfüllt. Wir bewegen uns in den Metropolen so mühsam vorwärts wie vor hundert Jahren. Das ist die Chance für Kabinenroller. Können moderne Kleinstfahrzeuge mit hohem Spaßfaktor den Verkehrskollaps verhindern?

Von Joachim Becker

Laut, überfüllt und hässlich: "Die moderne Stadt ist wahrscheinlich der am wenigsten liebliche und künstlichste Platz auf diesem Planeten", beklagte Henry Ford schon 1922 und erklärte kategorisch: "Wir werden das Stadtproblem lösen, indem wir die Stadt verlassen." Das Auto wurde nicht nur zum Fluchtmittel Nummer eins, um dem Moloch in grünere Vorstädte zu entkommen. Es lieferte auch die Blaupause für eine neue Form der Stadtplanung: Nach dem Vorbild des Fließbands das Ford vor hundert Jahren in der Autofertigung eingeführt hatte, sollte auch die Stadt wie am Schnürchen funktionieren.

Seit langem träumen Stadtplaner von Ordnung im urbanen Chaos. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts beklagten sie unisono den Schmutz und das Kriechtempo in den verschachtelten Altstädten. "Im Namen des Flugzeugs und des Autos fordern wir das Recht auf Gesundheit, Logik, Harmonie und Perfektion", schrieb der einflussreiche Architekt und Designer Le Corbusier, "wir lehnen auch kleinste Konzessionen gegenüber der Unordnung ab, in der wir uns momentan befinden."

Einen zweifelhaften Ausweg hatten Paris, London oder Berlin bereits eingeschlagen: Ohne Rücksicht auf gewachsene Strukturen ließen sie im 19. Jahrhundert Prachtboulevards quer durch die Altstadtquartiere planieren. Charles Montgomery beschreibt in seinem gerade erschienen Buch "Happy City" wie schnell und nachdrücklich die wachsende Zahl der Autofahrer diese Straßen für sich beanspruchten.

Stadtviertel für Arbeiten, Schlafen und Freizeit

Was lag näher als die Beschleunigung des Straßenverkehrs zum Ausgangspunkt einer neuen Stadtplanung zu machen? Wie riesige Maschinen sollten moderne Metropolen in räumlich klar getrennte Funktionen aufgegliedert werden: Eigene Stadtviertel für Arbeiten, Schlafen und Freizeit wurden jeweils nach Fließbandkriterien auf maximale Effizienz getrimmt. Die Transportbänder zwischen diesen Unterzentren waren breite (Ring-)Straßen.

Selbst der Stadtskeptiker Frank Lloyd Wright entwarf seit den Dreißiger Jahren autogerechte Ballungsgebiete mit vereinzelten Hochhauskathedralen. Auch die ersten deutschen Autobahnen galten vielerorts als Sinnbild einer neu gewonnenen Freiheit der Bewegung. General Motors präsentiere 1939 auf der Weltausstellung in New York die ultimative Stadt der Zukunft: Das riesige Modell "Futurama" von Norman Bel Geddes gab einen erstaunlich treffsicheren Ausblick auf die hässlichen Neubauviertel der Nachkriegsstädte. Millionen von Besuchern pilgerten damals zu dieser schönen neuen, lichtdurchfluteten Autowelt mit Schnellstraßen, die mitten durch das Zentrum führten.

"Futurama"-Vision in Dubai

Künstlich aus dem Boden gestampfte Megacities wie Dubai setzen heute die "Futurama"-Vision mit bis zu 14-spurigen Stadtautobahnen kongenial um. Fußgänger oder Radfahrer kommen in dieser autogerechten Idealstadt nicht sehr weit. Bald nach Beginn der automobilen Revolution wurden sie ohnehin von der Straße verbannt. Gehsteige, Fußgängerampeln und abgegrenzte Überwege sollten die langsamen Passanten vor dem schnell fließenden Verkehr in Sicherheit bringen.

Doch das Auto hat sich in diesem Kulturkampf um den öffentlichen Raum zu Tode gesiegt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bewegen wir uns in den Metropolen so mühsam vorwärts wie vor hundert Jahren. Das durchschnittliche Straßentempo in Tokio liegt bei 17 km/h, Londoner Autofahrer sind mit rund 20 km/h und die Berliner mit 25 km/h nicht viel schneller unterwegs.

Zweisitzer gegen den Verkehrsinfarkt

Mehr Straßen lassen nur noch mehr Verkehr entstehen: Die autogerechte Stadt erstickt an ihrem eigenen Erfolg. Einen Beitrag gegen den Verkehrsinfarkt könnten Zweisitzer im Zwergformat leisten: Nachdem sich die Städte jahrzehntelang dem Auto angepasst haben, soll sich eine neue Generation von City-Mobilen an die Raumnot der Großstädte anpassen.

Die Unternehmensberatung Frost & Sullivan verkündete bereit eine "neue Ära der Mikromobilität". Auf der IAA 2011 hatten die 300 bis 400 Kilogramm leichten City-Flitzer Hochkonjunktur. Audi stellte sein elektrisch angetriebenes Urban Concept in den Mittelpunkt des Messeauftritts, VW zeigte die Studie Nils und der Opel Rak e war ebenfalls eine umschwärmte Fingerübung der Designer. Bislang wagt sich aber kein deutscher Hersteller an die Serienproduktion der Elektro-Knirpse. Zu unsicher sind die Erfolgsaussichten, zu gering die Gewinnmargen in der Drei-Meter-Klasse. Selbst das VW Einliterauto XL1 ist nicht viel mehr als ein teurer Versuchsträger.

Kabinenroller mit null lokaler Emission

Dabei sind die Vorzüge für das Verkehrssystem unbestreitbar: Die neuen Kabinenroller verbinden null lokale Emissionen mit einem äußerst niedrigen Geräuschpegel und dem Platzbedarf eines großen Motorrads. Experten gehen davon aus, dass mindestens ein Drittel des Verkehrs in Großstädten auf die Parkplatzsuche zurückzuführen ist. Mit Mikromobilen ließe sich dieser Parkverkehr minimieren - und das Fahrtempo in der Stadt beschleunigen.

Bleibt die Frage, wie man Kunden für den Umstieg in die überdachten Elektro-Tandems gewinnen kann. Renault feiert mit dem Twizzy zwar bescheidene Erfolge, doch der Fahrspaß hält sich in Grenzen. Toyota hat daher auf dem diesjährigen Genfer Automobilsalon ein Dreirad vorgestellt, das den Komfort eines Autos mit dem berauschenden Kurvengefühl eines Motorrads verbinden soll. Ob das klappt?

Genialität der Neigetechnik

Spätestens beim ersten Achter, den der Toyota i-Road auf den Asphalt malt, wird die ganze Genialität dieser Neigetechnik spürbar. Während das kleine Hinterrad lenkt, sorgt je ein Aktuator dafür, dass die Vorderräder aktiv ein- und ausfahren. Vergleichbar ist das mit der Bergski-Talski-Balance auf einem steilen Abhang: Der nur 2,35 Meter lange und 85 Zentimeter breite i-Road bleibt auf geneigten Flächen automatisch in der Waage.

Der Toyota iRoad ist ein wendiger Kabinenroller.

Der Toyota i-Road ist nur 2,35 Meter lang und 85 Zentimeter breit.

(Foto: Toyota)

In Kurven stemmt er sich aber mit einem solchen Verve gegen die Fliehkraft, dass die Knie schon fast auf der Straße schleifen. Während die Schräglage von außen wie eine halsbrecherische Stunt-Show aussieht, fühlt sie sich hinter dem Lenkrad binnen kürzester Zeit völlig intuitiv und sicher an. Die "Active Lean"-Technologie stabilisiert das Fahrzeug vollautomatisch und ersetzt die langjährige Erfahrung eines Motorradfahrers. Selbst Ältere sind mit dem City-Stromer gefahrlos mit bis zu 60 km/h unterwegs. Die wenig Auto-affine Großstadtjugend könnte auf dieses beschwingte Slalomgefühl erst recht abfahren.

Auf einen konventionellen Pkw-Abstellplatz passen bis zu vier Toyota i-Roads. Der Wendekreis beträgt lediglich sechs Meter, damit ist Dreirad auch in verwinkelten Altstadtquartieren wieselflink unterwegs. Eine Carsharing-Station mit den Kabinenrollern passt selbst in überfüllte urbane Räume.

City-Kurzstreckenflitzer in Grenoble

Dieses Argument hat auch die Stadtväter von Grenoble überzeugt. Eingezwängt zwischen hohen Bergen wächst das französische Alpenstädtchen munter weiter. Das Transportaufkommen soll sich bis 2030 mehr als verdoppeln - dabei steht der Autoverkehr schon jetzt im Dauerstau. Ab dem Herbst des kommenden Jahres werden verschiedene City-Kurzstreckenflitzer wie der i-Road in einem groß angelegten Feldversuch von den Bewohnern Grenobles ausprobiert. Zahlreiche Carsharing-Stationen mit Ladesäulen im ganzen Stadtgebiet werden dafür sorgen, dass den Mini-Elektrofahrzeugen mit rund 50 Kilometer Reichweite nicht der Saft ausgeht.

Grenoble hat als eine der ersten französischen Städte der Straßenbahn 1987 zu einem Neustart verholfen. Mit dem modernen Transportsystem ging eine deutliche Aufwertung der Innenstadt einher. Das neue Carsharing-Pilotprojekt ist zunächst auf drei Jahre ausgelegt. Wenn es die Blechkarawanen auf der Straße und die Parkplatz-Friedhöfe an ihrem Rand abschmelzen lässt, könnte Grenoble ein Stadtmodell für die Zukunft werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: