Rolls-Royce Ghost / Bentley Mulsanne:Vergleich auf Wolke sieben

Wenn man die Evolution mit Samthandschuhen anfasst, entstehen auch heute noch Autos wie der Rolls-Royce Ghost und der Bentley Mulsanne - zwei Klassiker für Konformisten.

Georg Kacher

"Der Ghost kommt genau zur rechten Zeit", freut sich der Rolls-Royce-Chef Tom Purves. Hat der Mann nichts mitbekommen von der allgemeinen Krise? Optimismus ungebrochen: "Das neue Modell wird die Nachfrage ankurbeln, die momentan bei 60 bis 70 Autos pro Monat liegt", fügt der 60-jährige Schotte hinzu. "Die ersten 1500 Fahrzeuge sind so gut wie verkauft." Sobald sich die Wirtschaft erholt hat, will man 1000 Phantom und 2000 Ghost pro Jahr absetzen.

Rolls-Royce Ghost / Bentley Mulsanne: Brüder im Geiste: Der Bentley Mulsanne für etwa 360.000 Euro und sein ...

Brüder im Geiste: Der Bentley Mulsanne für etwa 360.000 Euro und sein ...

(Foto: Foto: oh)

Auch Bentley, der Hauptkonkurrent aus dem englischen Norden, muss inzwischen kleinere Brötchen backen. In der W12-Baureihe hat sich der Bestelleingang fast halbiert und der Nachfolger des Arnage dürfte ebenfalls keinen leichten Start haben, denn ostentativer Luxus ist out. "Der Markt für den Mulsanne ist klein, aber recht stabil", glaubt dagegen der Entwicklungsvorstand Ulrich Eichhorn und ergänzt: "Auf Mulsanne-Basis wird es mittelfristig auch wieder ein großes Cabrio und ein sehr exklusives Coupé geben." Erste Prognosen rechnen mit etwa 700 Limousinen-Kunden pro Jahr.

Der 253.740 Euro teure Ghost ist ein Schnäppchen im Vergleich zum Mulsanne, der rund 360.000 Euro kosten dürfte. Im Gegensatz zu dem von Grund auf neuentwickelten Rolls mit dem geschichtsträchtigen Namen (der Silver Ghost lief zwischen 1906 und 1925 vom Band) ist der nach der längsten Le Mans-Gerade benannte Bentley (sein Vorgänger wurde von 1980 bis 1992 produziert) eher die Reinkarnation einer Ikone.

Ein besonders charismatischer Brückenschlag in die glorreiche Vergangenheit gelingt dem 6,75 Liter großen Biturbo-V8, der inzwischen 512 PS leistet und schon bei 1800 Touren mit maximal 1050 Nm Drehmoment die Antriebswellen zur Verzweiflung bringt. Dem bulligen Zweiventiler hat man zur Feier des Tages mehr Effizienz in Form von Nockenwellenverstellung, Zylinderabschaltung und E85-Verträglichkeit anerzogen. In Verbindung mit der neuen Acht-Gang-Automatik soll dadurch der Verbrauch um 15 Prozent sinken. Gleichzeitig hat sich die Beschleunigung von null auf 100 km/h um zwei Zehntel auf 5,3 Sekunden verbessert, die Höchstgeschwindigkeit klettert von 288 auf 296 km/h. Obwohl das neue Modell stattliche 5,56 Meter lang ist, freut sich Bentley über ein etwas geringeres Leergewicht von 2560 Kilo. Darüber hinaus bietet der Mulsanne mehr Platz im Fond, einen größeren Kofferraum (415 Liter) und einen besseren cw-Wert von 0,35.

Bentley & Rolls-Royce: Innovationen behutsam einführen

In der extrasteifen Alukarosse des Rolls schnurrt ein von BMW entwickelter 6,6-Liter-V12, der 563 PS mobilisiert und schon bei 1500 U/min ein maximales Drehmoment von 780 Nm in Richtung Acht-Stufen-Automatik schiebt. Die 5,40-Meter-Limousine, die 2360 Kilo auf die Waage bringt, zoomt, wenn es sein muss, in 4,9 Sekunden von null auf 100 km/h. Das Spitzentempo wird elektronisch bei 250 km/h eingebremst, der Verbrauch liegt im Mix bei noch nicht obszönen 13,6 Liter, der Luftwiderstandsbeiwert beträgt trotz geschlitztem Grabsteingrill gute 0,32. Wie jeder neuzeitliche Rolls verblüfft auch der Ghost mit hinten angeschlagenen Fondtüren.

Rolls-Royce Ghost / Bentley Mulsanne: ... Konkurrent Rolls-Royce Ghost für vergleichsweise günstige 253.740 Euro buhlen um eine Kundschaft, der die Krise weltweit schwer zugesetzt hat

... Konkurrent Rolls-Royce Ghost für vergleichsweise günstige 253.740 Euro buhlen um eine Kundschaft, der die Krise weltweit schwer zugesetzt hat

(Foto: Foto: oh)

So klassisch wie die unaufgeregte Silhouette des Ghost ist auch das Interieur. Holz darf sein, muss aber nicht; Leder ist teilweise unkonventionell verarbeitet und kombiniert; sattes Chrom und grün schimmerndes Milchglas heischen mit Erfolg um Effekte. Das Cockpit ist stärker fahrerorientiert als im Phantom - dafür bürgen das kleinere Lenkrad mit dickerem Kranz, die weniger thronhafte Sitzposition und die Schalterleiste für die Assistenzsysteme. Das Platzangebot ist angemessen, aber keineswegs üppig, die iDrive-Konsolen zwischen den Sitzen machen sich unnötig breit und den silbrig hinterlegten Rundinstrumenten fehlt es an optischer Klasse und Seriosität. Der Mulsanne weiß dagegen, was die Bentley-Klientel unter zeitgemäßem Luxus versteht. Noch mehr Holz, noch mehr Leder, noch hochflorigere Teppiche, noch edler schimmerndes Metall, noch mehr Uhren und Luftausströmer.

Während der Ghost seine Historie auf moderne Art neu erfindet, zelebriert der Mulsanne die behutsame Weiterentwicklung der legendären britischen Handwerklichkeit. Dieses Auto muss man gar nicht fahren - einfach drinsitzen reicht, die Nähte und Furniere berühren, Hand anlegen ans Volant und an den kühlen Schaltknauf, in Tagträumen schwelgen.

So wie im Ghost der genetische Code des BMW Siebener herumgeistert, so kreuzt der nächste Audi A8 die Elektronikpfade des Mulsanne. Ganz ohne Großserienassistenz ist in der Super-Luxus-Klasse die Bezahlbarkeit eben nur noch eine von ausufernden Kosten und ernüchternden Stückzahlen konterkarierte Illusion. Weil EfficientDynamics in der BMW-Welt längst den Takt vorgibt, denkt man bei Rolls-Royce nicht nur über Coupé- und Softtop-Varianten des Ghost nach, sondern auch über ein Modell mit Hybridantrieb und, wenn es denn unbedingt sein muss, über eine weniger hubraum- und zylinderintensive Motorisierung. Unter dem Strich hofft man aber eher auf bessere Zeiten als auf einen beschleunigten Umdenkprozess. "Wir werden die Effizienz weiter verbessern", verspricht Tom Purves, "doch diese mit ganz anderen Prioritäten belegte Marke wird dabei nicht die Vorreiterrolle spielen."

Das sieht man bei Bentley ähnlich. Auch in Crewe will man sich selbst treu bleiben, den Kunden weiterhin durch müheloses Dahingleiten verführen statt ihn zum Beispiel mit Dieseldämpfen zu betäuben. "Wir können schnell reagieren und wir haben Zugriff auf alle Technologien des VW-Konzerns", erklärt Bentley-Chef Franz-Josef Paefgen. "Doch als kleine und sehr spezielle Marke wäre es ein Fehler, sich jede halbwegs vielversprechende Innovation unreflektiert an die Fahne zu heften."

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