Roboterautos in Städten:Steuer frei

Autonomes fahren Roboterauto

In der Zukunft halten Staus und Parkplatzsuche Menschen bis zu einem Monat pro Jahr im Fahrzeug fest. Automatisiertes Fahren soll eine Antwort sein.

(Foto: Daimler AG; Global Communications Mercedes Benz)

Megastaus könnten zur Selbstverständlichkeit werden. Die globale Fahrleistung steigt laut OECD bis 2050 um bis zu 233 Prozent. Die Lösung: Roboter-Taxis sollen den drohenden Verkehrskollaps in Städten verhindern.

Von Joachim Becker

London bekommt eine völlig neue Skyline - und vielleicht auch ein völlig neues Straßenbild? In den nächsten 20 Jahren wird die britische Hauptstadt von 8,4 auf mehr als zehn Millionen Bewohner zulegen, so die Prognose. "Die City steht vor einer nie da gewesenen Aufgabe, Wohnraum zu schaffen", sagt Stewart Murray, führender Stadtplaner bei der Greater London Authority: "Wir werden die Innenstadt weiter verdichten und den Energieverbrauch für Transport so niedrig wie möglich halten. Vor allem werden wir versuchen, die Ausbreitung der Stadt in den umgebenden Grüngürtel zu begrenzen." 236 neue Gebäude mit mehr als 20 Stockwerken sind geplant oder bereits im Bau. London bekommt vor allem am Themse-Ufer eine völlig neue Hochhaus-Silhouette.

Die Metropole wächst mitten in der City und im Maut-Gebiet. Immer mehr Menschen werden sich also gut überlegen, ob es ihnen mittlerweile £11.50 (umgerechnet fast 15 Euro) wert ist, mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren. Ausgenommen sind lediglich Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Der Grund für die restriktive Verkehrspolitik ist simpel: Schon heute ist die Bevölkerungsdichte in London wesentlich höher als in Tokio oder New York.

Alle Metropolen haben das gleiche Problem: Massenweise zieht es die Menschen in die urbanen Zentren, weil sie vor allem dort gut bezahlte Arbeit finden. Doch die ständig steigende Pkw-Flut bringt den gesamten Verkehrsfluss zum Erliegen.

Das rasende Großstadtleben stößt an seine Grenzen

Tempo und Urbanität sind zwei Kernthemen der Moderne. Doch das rasende Großstadtleben stößt in allen Weltregionen an seine Grenzen. Bis 2050 sollen zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben - 70 Prozent davon in den Städten. Umsteuern ist also angesagt bei der individuellen Innenstadtmobilität. Zum Beispiel durch Fahrautomaten ohne Lenkrad und Fahrpedale: "Wir stellen uns die Google Cars als kleine Gondeln vor, die ständig in Bewegung sind", erzählt Jens Redmer, Principal New Products Google Deutschland: "Das ist nicht das emotionale Auto, das ich am Samstag nutze, um durch eine schöne Gegend zu fahren. Aber damit kann man Erledigungen in der Innenstadt machen, weil das Auto keinen Parkplatz braucht und direkt zum nächsten Auftrag weiterfährt."

Werden die Innenstädte künftig von solchen Hightech-Gondeln bevölkert? Was nach Science-Fiction klingt, will Google bis spätestens 2020 zur Serienreife bringen: "Wir sind in den vergangen fünf Jahren mit unseren Forschungsfahrzeugen viele Hunderttausend Kilometer unfallfrei gefahren", sagt Jens Redmer, "irgendwann haben wir überlegt, wie ein selbstfahrendes Auto aussehen könnte, das wir von Grund auf neu entwickeln."

Wie Ernst es dem Internetkonzern mit der Realisierung seines Google Cars ist, zeigt eine Personalie vom vergangenen Sommer: Nur wenige Wochen nachdem Alan Mulally seinen Chefposten bei Ford aufgab, wurde er in die Geschäftsführung von Google berufen. Mulally kann seine geballte Erfahrung aus der Luftfahrt- und Fahrzeugindustrie nutzen, um den Autopiloten auf die Straße zu bringen.

Taxi-Roboter machen 90 Prozent der Autos in der Stadt überflüssig

Welche Vorteile die Roboterautos für den innerstädtischen Verkehr haben könnten, hat das International Transport Forum der OECD gerade in einer Studie durchgerechnet: Taxi-Roboter, die wie eine Ski-Gondel von verschiedenen Mitfahrern geteilt werden, machen untertags 90 Prozent der Autos in der Stadt überflüssig. Selbst zu Spitzenzeiten ließe sich der Fahrzeugbestand um zwei Drittel reduzieren.

Grundlage der Hochrechnungen: Eine mittlere europäische Stadt mit einem gut ausgebauten U-Bahn-Netz. In jedem Fall sollte die Fahrt nur fünf Minuten länger als mit einem Privat-Pkw dauern. Alternativ spielten die Autoren von "Urban Mobility: System Upgrade" einen automatisierten Chauffeur-Service durch, der die Passagiere nacheinander abholt und absetzt. Selbst dieser komfortorientierte Privatservice kann ohne Kombination mit dem öffentlichen Nahverkehr immer noch die Hälfte der Personenwagen in der Stadt ersetzen. Außerdem würde sich der Parkplatzbedarf mindestens halbieren.

Wie fahren wir morgen?

Fahren wir morgen also mit solchen Ruf-Gondeln durch die City, die per Mobilfunk-App aktiviert werden? Wohl nur in einigen (Innen-)Städten, denn der Transportbedarf gerade in amerikanischen Metropolen sieht meist anders aus: Bis zum Jahr 2025 werden die USA 75 Megacitys haben, davon 29 mit mehr als zehn Millionen Einwohnern - die Gesamtzahl bedeutet fast eine Verfünffachung gegenüber 1970. Gerade in den USA sind die sogenannten Megacitys längst keine klassischen Städte mehr, sondern ausufernde Konglomerate aus Vororten, Schlafstädten und zwölfspurigen Pendlerautobahnen. Mehr als 80 Prozent der Amerikaner leben in solchen Mega-Suburbs, die mit durchschnittlich rund 1000 Einwohnern pro Quadratkilometer vergleichsweise dünn besiedelt sind - London kommt auf die sechsfache Bevölkerungsdichte.

Selbst Kaliforniens 15-Millionen-Metropole Los Angeles besitzt nur an den wenigsten Punkten so etwas wie eine Skyline. Der größte Teil des rund 6000 Quadratmeter weiten Stadtgebildes sieht erstaunlich kleinstädtisch aus. Dass der öffentliche Nahverkehr in einem derart zersiedelten Gebiet kaum eine Chance hat, versteht sich von selbst. 96 Prozent des motorisierten Landverkehrs legen die Amerikaner im Auto zurück. Bei Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden pro Tag wird das Auto also vom Transportmittel zum privaten Lebensraum auf der Straße.

In einer Mercedes-Umfrage sagt ein Teilnehmer: "Wir verbringen allein schon 45 Minuten pro Tag für das Pendeln zur Kindertagesstätte und wieder zurück. Wir sehen das als Teil unserer Familienzeit und reden darüber, wie der Tag lief, hören Musik, essen etwas, spielen oder plaudern mit Großmutter am Telefon - unser Auto ist also auch ein kleines Zuhause." Warum sich der Autohersteller - wie so viele andere auch - für solche Familiengeschichten interessiert? Weil mit der zunehmenden Verstädterung auch die Wegstrecken zunehmen werden.

Megastaus dürften zur globalen Selbstverständlichkeit werden

Studien des International Transport Forum der OECD erwarten, dass die globale Fahrleistung bis 2050 zwischen 117 und 233 Prozent steigen wird. Was wir heute schon an Megastaus in Chinas Städten erleben, dürfte zur globalen Selbstverständlichkeit werden. "In Megacitys halten Staus die Menschen bis zu einem Monat pro Jahr in ihren Autos gefangen. Hinzu kommt noch die Parkplatzsuche, die zwei weitere Wochen in jedem Jahr kostet", sagte Audi-Chef Rupert Stadler bei der Verleihung des Audi Urban Future Awards 2014 und stellte die Frage: "Wie können wir individuelle Mobilität in einer Weise neu erfinden, dass Autos positiv zur Stadtentwicklung beitragen?"

Die (lukrative) Antwort liegt für Marken wie Audi, BMW und Mercedes in individualisierten Roboterautos: "Autonomes Fahren und autonomes Parken verbessern nicht nur unsere Lebensqualität, sondern auch die Sicherheit in unseren Städten", jubelt Rupert Stadler, "schon in naher Zukunft muss der Fahrer nicht mehr die ganze Zeit die Hände am Lenkrad haben." Weil teilautomatisiertes Fahren eine komplexe Fusion verschiedenster Echtzeitdaten voraussetzt, werden zunächst nur hochpreisige Fahrzeuge mit dem Autopiloten angeboten. Die deutschen Hersteller spulen mit ihren Testfahrzeugen schon eifrig Kilometer an der Westküste der USA ab.

Obwohl sich die Forschungsautos auf der Straße nicht immer ganz sicher verorten können, wird Mercedes auf der Messe CES in Las Vegas in wenigen Wochen ein futuristisches Konzeptfahrzeug mit drehbaren Frontsitzen vorstellen - damit die Familienidylle beim Pendeln im Auto noch inniger wird. Am hohen Verkehrsaufkommen wird das aber auch nichts ändern.

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