Riesige Oldtimer-Sammlung:Schlumpfs Erben

Bugatti, Oldtimer, Cité de l'Automobile

In der alten Fabrikhalle von Mulhouse ist das Auto Gott.

Cité de l'Automobile: Im elsässischen Mulhouse ist eine der größten Autosammlungen weltweit zu bestaunen. Ihre Vorgeschichte ist aufregend und außergewöhnlich - und hat trotz dem Namen Schlumpf nichts mit blauen Fabelwesen zu tun.

Von Steve Przybilla

Sie denken, die Autos von heute seien sperrige Spritfresser? Schon möglich, aber riskieren Sie mal einen Blick auf den 1933 gebauten Bugatti Royale: 24-Zoll-Reifen, Scheinwerfer so groß wie Suppenteller. Auf dem Kühlergrill thront ein silberner Elefant, darunter brummt ein Achtzylinder-Reihenmotor mit 300 PS. Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h - in einer Zeit, in der die Scheibenbremse noch in weiter Ferne war und viele Straßen unbefestigt.

Zu sehen ist das auf Hochglanz polierte Stück im elsässischen Mulhouse. In der "Cité de l'Automobile", einer der größten Autosammlungen weltweit, riecht es schon am Eingang: Leder, Gummi, Chromlack und Holz vereinigen sich zu einem Duft der Nostalgie. 450 Modelle versprühen noch heute erhabenen Charme. Gewiss, sie waren Dreckschleudern, unsicher und nicht gerade bequem. Et alors, na und, sagen die Franzosen. Und strömen nach wie vor in Massen in ihr Museum.

"In den 20er-Jahren wollte der Kraftfahrer den Kühlerverschluss sehen", verrät ein Schild zu Beginn der Sammlung. Es folgt eine Glasvitrine mit Elefanten, Drachen, Pferden, Affen, Hunden und sonstigen Tieren, die sich bis hin zur XXL-Variante auf die Motorhaube schrauben ließen. Spätestens Ende der 50er-Jahre verschwanden die meisten Kühlerfiguren aber wieder, weil Fußgänger bei einer Kollision mit den scharfkantigen Statussymbolen fast immer den Kürzeren zogen. Ganz ohne müssen Autofahrer aber auch heute nicht auskommen: Den berühmten Mercedes-Stern gibt's immer noch, Rolls Royce versenkt seinen "Spirit of Ecstasy", den Geist der Ekstase, inzwischen bei Berührung im Motorraum.

"Pferdekutsche mit Motor"

Mit solchen Finessen musste sich ein gewisser Monsieur Jacquot noch nicht herumplagen. Der französische Arzt gab seinem Schmied den Auftrag, eine "Pferdekutsche mit Motor" zu bauen. 1878 war das Gefährt fertig: hölzerne Speichenräder, Ledersitzbank, Dampfkessel im Vorderraum. Das 10 km/h schnelle Mobil ist in Mulhouse ebenso zu sehen wie seine Nachfolger, die in rasantem Tempo den Fortschritt vorantrieben. Das Maybach Cabrio DS8, gebaut 1934 in Deutschland, verfügte bereits über eine Fußheizung für Fondpassagiere. Die wuchtige Rolls-Royce-Limousine Phantom III war 1938 das teuerste Auto auf der britischen Insel - und ringt heutigen Besuchern doch nur ein Schmunzeln ab.

"Diese Technik kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen", sagt Björn Nieland, während er den Phantom bestaunt. Der 31-Jährige kommt aus einem Dorf in der Nähe von Freiburg und schaut sich die Sammlung schon zum zweiten Mal an. "Das lohnt sich auf jeden Fall", sagt der Autofan. Für das Museum ist die Nähe zur deutschen Grenze ein Segen. Immerhin 13 Prozent der 187.000 jährlichen Besucher kommen aus der autovernarrten Bundesrepublik. "Die meisten wollen die Kronjuwelen sehen", sagt Museumsdirektor Martin Biju-Duval. "Das sind eindeutig unsere 122 Bugattis." Wer fragt, wie so viele Nobelkarosserien ins Elsass gekommen sind, erfährt eine Geschichte, die fast noch spannender als die Technik ist.

560 Fahrzeuge in wenigen Jahren gesammelt

Riesige Oldtimer-Sammlung: "Ich habe 1400 Franc pro Monat verdient. Schauen Sie, was mit dem Rest passiert ist."

"Ich habe 1400 Franc pro Monat verdient. Schauen Sie, was mit dem Rest passiert ist."

Im Mittelpunkt stehen die beiden Unternehmerbrüder Fritz und Hans Schlumpf, die sich Ende der 50er-Jahre ihr eigenes Textilimperium aufbauen. Vor allem Fritz ist besessen von Oldtimern, weist seine Vertreter an, bei Geschäftsreisen stets auf erwerbbare Modelle zu achten. So entsteht auf dem Firmengelände der Spinnerei HKD in Mulhouse eine streng geheime Privatkollektion. Innerhalb weniger Jahre stellt Schlumpf eine Flotte von 560 Fahrzeugen zusammen. Er engagiert 30 Mechaniker, Karosseriebauer, Sattler und Lackierer, um die in die Jahre gekommenen Prachtstücke wieder aufzumöbeln.

Als die Regionalzeitung L'Alsace 1965 erstmals von dem Blechschatz berichtet, ist die Öffentlichkeit baff. Schlumpf beschließt, seine Privatsammlung in ein Museum umzuwandeln, hat sich aber verkalkuliert. Mit dem Niedergang der Textilindustrie drohen Massenentlassungen, auch bei HKD. Verbittert besetzen die Arbeiter 1977 die Lagerhallen, eröffnen ein "Arbeitermuseum", das für jedermann kostenlos zugänglich ist. Allmählich zeigt sich das ganze Ausmaß der Sammel-Manie: Die Brüder haben 26 Millionen Francs für ihre Autos ausgegeben - hauptsächlich Betriebskapital. Auf einer Infotafel schreibt ein Arbeiter: "Ich habe 1400 Franc pro Monat verdient. Schauen Sie, was mit dem Rest passiert ist."

Eine Geschichte, die auch heute noch Eindruck schindet

Zu diesem Zeitpunkt sind die Schlumpf-Brüder längst ins Schweizer Exil geflüchtet. Die streikenden Arbeiter fordern, die Kollektion zu verkaufen, um das Unternehmen zu sanieren. Doch dazu kommt es nicht, weil der Staat die Oldtimer 1978 unter Denkmalschutz stellt. Ein Konsortium aus staatlichen Trägern, der Industrie- und Handelskammer und des französischen Automobilklubs kauft die Sammlung schließlich auf und verwandelt sie in ein öffentliches Museum. Erst 1989 erhalten die Schlumpf-Brüder eine gewisse Genugtuung: Das Berufungsgericht in Paris entscheidet, dass die ursprünglichen Besitzer namentlich gewürdigt werden müssen - seither trägt das Museum den Zusatz "Kollektion Schlumpf".

Es ist eine Geschichte, die auch heute noch Eindruck schindet. "Ich bin kein besonderer Autofan", erzählt die Besucherin Jacqueline Pichou, die aus Lyon angereist ist. Der eigentliche Autofan sei ihr Mann, der sich keinen Klassiker entgehen lasse. "Mich interessiert das nicht so", sagt Pichou, "aber in Mulhouse bin ich nun schon zum dritten Mal." Tatsächlich umfasst das Sortiment weit mehr als die üblichen 20er-Jahre-Klassiker. Ein Trabbi von 1986 ("rostfrei aus Duroplast") gehört ebenso dazu wie ein Dutzend Rennwagen, die auf der Rennstrecke hinter dem Museum bisweilen in Aktion zu sehen sind.

Wo das Auto Gott ist

Es besteht kein Zweifel: In der alten Fabrikhalle von Mulhouse ist das Auto Gott. Schadstoffe? Klimawandel? Unfalltote? Kritische Aspekte zur individuellen Mobilität sucht man in der Schlumpf-Kollektion vergeblich. Der helle Schein von 800 Straßenlaternen - Nachbildungen der Pariser Alexandre-III-Brücke - überstrahlt jeden Schatten. "Wir zeigen hier schließlich über 450 Traumwagen", betont Romane Dargent vom Unternehmen Culturespaces, das die Cité de l'Automobile verwaltet. "Das ist doch eine der schönsten Sammlungen der Welt."

Ganz fehlen darf natürlich auch der französische Nationalstolz nicht. Der Dynavia von Panhard & Levassor zum Beispiel. Der einem Flugzeug nachempfundene Prototyp verbrauchte 1948 nur 3,5 Liter auf 100 km - da sage noch jemand, das Dreiliterauto sei eine Erfindung von heute.

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