Riesenjet Antonow An-225:Der fliegende Goliath

Die Antonow "An-225" ist der größte je gebaute Jet der Welt. Jetzt soll er auch für Raketenstarts am Rande des Weltalls eingesetzt werden.

Andreas Spaeth

Anatoli Moiseiew ist ärgerlich - schließlich sei das eine typische West-Frage, die ihm der Reporter da gestellt habe, findet er. Hatte der Besucher auf dem Werksflugplatz Kiew-Gostomel vom Antonow-Chefpiloten doch wissen wollen, ob er schon mal im Cockpit eines Airbus A380 gewesen sei und im Vergleich dazu nicht das Gefühl habe, einen Dinosaurier zu fliegen. "Das ist kein Dinosaurier, wir haben die An-225 ein halbes Jahr lang zerlegt, sorgfältig überprüft und dann modernisiert", stellt kategorisch der Chef jener Männer fest, die dafür ausgebildet sind, dieses weltweit größte Flugzeug zu fliegen. In dessen Cockpit arbeiten zwei Piloten, zwei Bordingenieure, ein Navigator und ein Funkoffizier. Und stolz schwenkt Moiseiew ein Zertifikat von Guinness World Records Limited, das Kenntnis davon gibt, dass seine Antonow An-225 schon wieder einen Weltrekord aufgestellt hat - den bisher letzten von mittlerweile rund 200.

Riesenjet Antonow An-225: 32 mächtige Räder, sechs Triebwerke, 230 Tonnen Schub je Tragfläche: die Antonow An-225

32 mächtige Räder, sechs Triebwerke, 230 Tonnen Schub je Tragfläche: die Antonow An-225

(Foto: Foto: aspa)

Es war vor knapp zwei Monaten, und es war in Deutschland. Genau 187,6 Tonnen wog der Generator samt Transportgestell, das schwerste jemals per Luftfracht transportierte Einzelstück - ein Fall für die Mriya genannte An-225. Sie brachte die gewaltige Fracht vom Flughafen Hahn (Hunsrück) via Leipzig nach Jerewan (Armenien); der Generator wurde dort für ein Kraftwerk gebraucht. Und die Zwischenlandung in Leipzig war notwendig, weil die An-225 niemals komplett vollgetankt werden kann. "Das würde unser höchstzulässiges Startgewicht von 640 Tonnen überschreiten", erklärt Chefpilot Moiseiew.

Bis vor kurzem wäre niemand auf die Idee gekommen, einen solchen Brocken wie den Generator nach Jerewan auf dem Luftweg zu verschicken. Doch die An-225, ursprünglich ein Abfallprodukt des Wettlaufs zwischen Ost und West um die Vorherrschaft im Weltraum, machte es möglich. In den achtziger Jahren hatte die russische Raumfahrtbehörde drei dieser Flugzeuge bestellt, um die Buran getaufte Raumfähre huckepack transportieren zu können. Den Auftrag dazu bekamen seinerzeit die Antonow-Flugzeugwerke in Kiew, heute Hauptstadt der Ukraine. Allerdings wurde 1988 nur ein einziges der georderten Riesenflugzeuge gebaut - die Mriya.

Ihre Dimensionen mit genau 84 Meter Länge, 88,40 Meter Spannweite und 905 Quadratmeter Flügelfläche überbieten alles, was jemals geflogen ist - mit Ausnahme der Spannweite und Flügelfläche der Spruce Goose von Howard Hughes, jenem Flugboot-Unikat aus Fichtenholz, das 1947 nur einmal für zwei Minuten wenige Meter abhob. Der Superlativ gilt umso mehr bezüglich der Nutzlast: Mit 250 Tonnen lässt die Mriya alle anderen Cargo-Flugzeuge weit hinter sich. Das gilt auch für die geplante Frachtversion des Airbus A380 - sollte dieser Jet je gebaut werden, wird er maximal 150 Tonnen transportieren können.

Die Antonow An-225 rollt auf 32 mächtigen Rädern

Die An-225 wurde vergleichsweise simpel aus der bereits 1982 erstmals geflogenen An-124 abgeleitet, was die Entwicklung beschleunigte und die Kosten senkte. Der riesige Rumpf entspricht im Durchmesser jener des kleineren Musters; Rumpf und Tragflächen aber wurden um jeweils 15 Meter verlängert. Vor und hinter den Tragflächen fügte man jeweils zusätzliche Rumpfsegmente ein, das Hauptfahrwerk erhielt vier weitere Räderpaare auf jeder Seite. Insgesamt verfügt die An-225 über sieben Zwillingsradsätze pro Seite am Hauptfahrwerk sowie zwei nebeneinander montierte Radpaare am Bug, insgesamt rollt der Jet auf 32 mächtigen Rädern. Außerdem erhielt die Mriya jeweils ein zusätzliches Triebwerk des schon bei der An-124 genutzten Turbofans vom Typ Iwtschenko Progress D18T mit jeweils knapp 230 Tonnen Schub pro Tragfläche.

Um die angestrebte Außen-Nutzlast oben auf dem Rumpf befördern zu können, war auch eine Änderung des Seitenleitwerks notwendig; es drohten durch Lasten wie etwa die Raumfähre Buran oder die Energija-Trägerraketen gefährliche Luftverwirbelungen. So kam es zu der eher bizarren Heck-Konstruktion mit einer Spannweite, die mit 32,65 Meter größer als die einer Boeing 737-300 ist. Auf der Rumpfoberseite sind 14 Haltepunkte angebracht, um äußere Nutzlasten dort verankern zu können. Die aber wurden nur kurz gebraucht: Nach einem ersten unbemannten Testflug der Raumfähre am 15. November 1988 wurde das Buran-Programm eingestellt. Seither wird nun die gesamte Fracht durch die aufklappbare Flugzeugnase in den 1300 Kubikmeter großen Frachtraum geladen, dessen Bodenfläche immerhin 280 Quadratmeter umfasst.

Nachdem die An-225 zunächst 1994 eingemottet worden war, fand nach einer sechsmonatigen Überholung am 7. Mai 2001 in Kiew-Gostomel der zweite Erstflug statt. Anschließend erhielt das Flugzeug seine zivile Typenzulassung; es dauerte allerdings einige Zeit, den Riesenfrachter so auszurüsten, dass er weltweit einsetzbar war. Am 3. Januar 2002 schließlich startete der kommerzielle Erstflug im Charter der hauseigenen Antonow Airlines von Stuttgart in den Oman. "Wir haben seitdem noch nie Verluste gemacht. Alle Einnahmen fließen an den Hersteller Antonow, der damit die Produktion finanziert und neue Flugzeuge entwickelt", erklärt Airline-Chef Konstantin Luschakow. Neben der An-225 betreibt Antonow Airlines auch noch sieben An-124, die oft für die Bundeswehr im Einsatz sind.

Jetzt aber soll auch das Geschäft mit der großen An-225 endgültig durchstarten: "Wir haben 2008 durch Verbesserungen an Fahrwerken und Triebwerken die Lebensdauer erheblich verlängert; bisher hat das Flugzeug nur 5000 Flugstunden hinter sich, weitere 4000 sind problemlos möglich. Wir können die Maschine mit weiteren Verbesserungen noch in den nächsten 40 Jahren betreiben", so Luschakow. Trotzdem sei es schwer, für ein solches Unikat regelmäßig Aufträge zu bekommen.

Ein zweiter Flugriese könnte gebaut werden

Doch vielleicht gibt es Abhilfe - und Zuwachs für die An-225-Familie. Denn bereits vor zwölf Jahren wurden Rumpf, Tragflächen und Heck für eine zweite An-225 gebaut, aber nicht montiert. "Die Teile liegen eingemottet im Antonow-Werk hier in Kiew. Ich bin sicher, dass die irgendwann zusammengesetzt werden - dafür aber brauchen wir einen Investor mit 120 bis 150 Millionen Dollar", erzählt Dmytro Kiva, Chefdesigner und Präsident von Antonow. Dabei werde es keine strukturellen Änderungen und nur wenige Modernisierungen geben müssen, etwa bei Avionik oder Elektrik.

"Wenn das Flugzeug fertig ist, wird sich auch ein Markt dafür entwickeln", hofft Kiva. Es habe sogar Interesse von westlichen Investoren gegeben, die den Riesen für Passagiereinsätze nutzen wollten - "als fliegendes Casino oder Nachtclub", verrät Dmytro Kiva.

Realistischer und lukrativer dürfte aber ein anderer Plan sein, den man in Kiew hegt: "Wir verhandeln bereits darüber, die An-225 künftig nicht nur für die Frachtbeförderung zu nutzen, sondern auch dafür, um von dem Flugzeug aus Trägerraketen mit Satelliten zu starten." Dafür würde sich die Antonow in Äquatornähe aufhalten und Satellitenstarts auf diese Weise um das Sechs- bis Achtfache günstiger werden lassen, als es bei bodengestützten Weltraumraketen derzeit der Fall ist. Vielleicht eine neue Perspektive für das größte Flugzeug der Welt.

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