Rheintalbahn:Wie ein Tunnelbau zum Desaster für die Bahn wurde

  • Bei Tunnelbauarbeiten an der Rheintalbahn bei Rastatt gab die Erde nach, die oberirdisch über der Baustelle verlaufenden Gleise sackten ab.
  • Seither können Züge die Gefahrenstellen nicht mehr passieren. Derzeit müssen täglich 140 Güterzüge umgeleitet werden, 30 000 Passagiere müssen auf andere Verkehrsmittel umsteigen.
  • Nun soll der Bauabschnitt mit 10 000 Kubikmetern Beton gefüllt werden, damit vom 7. Oktober an wieder Züge über die Unglücksstelle fahren können.

Von Markus Balser

Welches Ausmaß das Debakel hat? Herbert Pollich hat am eigenen Leib erfahren, was mit der Havarie im Untergrund alles ins Rutschen geraten ist. Hinter seinem Haus ruht die Großbaustelle, die inzwischen ganz Deutschland kennt. Er steht am Rande seines Grundstücks und würde gerne rein. Doch im beschaulichen Rastatt-Niederbühl ist nicht nur eine der wichtigsten Bahntrassen Europas gesperrt, sondern auch Pollichs Haus daneben gleich mit. Er dürfe es vorsichtshalber nicht betreten, erzählt der konsternierte Rentner. Gas und Wasser seien abgestellt. Binnen einer Stunde hätten die Anwohner vor zehn Tagen ihre Häuser verlassen müssen.

Ein paar Meter weiter liegen die Stahlschienen noch immer seltsam verformt im Gleisbett. Mehr als 400 Züge - ICEs, Regional- und Güterbahnen - rauschen hier an einem gewöhnlichen Tag vorbei. Doch seit dem 12. August herrscht Stille auf einer der meistbefahrenen Trassen des Kontinents. Ausgerechnet beim Versuch, die gesamte Strecke mit zwei zusätzlichen Gleisen auszubauen und so einen der schlimmsten Engpässe im Fernverkehrsnetz endlich zu beseitigen, erreichte die Bahn das Gegenteil. Zwei 4300 Meter lange Tunnelröhren unterhalb der Stadt Rastatt waren schon fast fertig gebohrt, als 40 Meter vor dem Ziel die Erde nachgab.

Der Fahrdienstleiter der Bahn, der mit den Maschinenführern im Tunnel verbunden ist, schaltete die Signale sofort auf Rot, um eine Katastrophe zu vermeiden. Seither können Züge die Gefahrenstellen nicht mehr passieren. Für die Deutsche Bahn und ihre Kunden begann ein Fiasko ersten Ranges. Inzwischen gab der Konzern bekannt, dass die sogenannte Rheintalbahn nicht nur wie anfangs gehofft zwei Wochen, sondern für zwei Monate gesperrt bleibt. Frühestens am 7. Oktober sollen wieder Züge rollen.

Die Folgen sind immens: Täglich müssen im August allein 140 Güterbahnen umgeleitet werden, im September, nach dem Ende der Ferienzeit, werden es an die 200 Güterzüge sein. Im Personenfernverkehr sind Tag für Tag rund 30 000 Passagiere betroffen, die zum großen Teil auf Ersatzbusse umsteigen und eine Stunde Verspätung akzeptieren müssen. Derzeit rücken Hunderte Busse des Schienenersatzverkehrs täglich aus. "Wir hätten uns einen deutlich zügigeren Zeitplan gewünscht", gibt Dirk Rompf zu, der im Vorstand der DB Netz AG für Großprojekte verantwortlich ist. Der Bahn sei bewusst, was das für Kunden bedeute. Aber Sicherheit gehe vor.

10 000 Kubikmeter Beton sollen das Bauvorhaben retten

Um die wiederherzustellen, ist eine der größten Rettungsaktionen für eine Trasse in der Geschichte der Bahn angelaufen. Der Konzern will einen 150 Meter langen Tunnelabschnitt mit rund 10 000 Kubikmetern Beton füllen. Auf 150 Metern müssten Oberleitungen demontiert und Gleise, Schwellen und Schotter ausgebaut werden, so die Experten der Bahn. Dann soll eine 120 Meter lange und einen Meter dicke Betonplatte gegossen werden, auf der schließlich neue Gleise verlegt werden. Das dauert. Selbst den Einsatz von Bundeswehrbrücken habe man zeitweise erwogen, jedoch wieder verworfen - das Loch im Erdreich ist einfach zu groß.

Nicht nur der aktuelle Fahrplan ist obsolet, auch langfristige Pläne drohen das zu werden. Die Bahn gibt für die Rettungsaktion den fast fertigen Tunnel für den dauerhaften Ausbau der Rheintalstrecke vorerst wieder auf. Selbst eine 18 Millionen Euro teure Bohrmaschine wird verschüttet. Um sie später zu retten, könnten Chemikalien zum Einsatz kommen, die den Tunnel zwar verfüllen, aber leichter entfernt werden können, heißt es in Bahnkreisen. Tonnen solcher Stoffe eines Spezialunternehmen aus der Nähe von Hamburg seien im Gespräch. Die Firma habe schon die Elbphilharmonie und den maroden Merowe-Staudamm im Sudan stabilisiert. Es gehe um viele Tonnen des Materials.

Das neue Pünktlichkeitsziel ist in Gefahr

Den Konzern und seinen neuen Chef Richard Lutz treffen die Probleme zur Unzeit. Denn eigentlich hatte sich die Bahn für dieses Jahr mehr Kundenfreundlichkeit, mehr Fahrgäste und mehr Pünktlichkeit vorgenommen. Zuletzt hatten schon deutlich mehr als 20 Prozent der Fernverkehrszüge Verspätung. Großes Ziel des neuen Bahnchefs war es, den Wert in diesem Jahr auf 19 Prozent zu senken. Bei der Bahn hält man zwar offiziell am Ziel fest. Doch hinter den Kulissen wird längst gerechnet, ob selbst der kleine Schritt angesichts der zusätzlichen Verspätungen vielleicht zu groß sein könnte. Schließlich muss derzeit bundesweit ein marodes Schienennetz erneuert werden. In diesem Sommer plant die Bahn die Rekordzahl von 1000 Baustellen.

In der Politik entbrennt derweil ein heftiger Streit darüber, wer die Schuld am Debakel trägt. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) erwartet von der Bahn Antwort auf die Frage, ob sie angesichts der Bedeutung der Strecke nicht ein zu hohes Risiko eingegangen sei. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel wirft Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) politisches Versagen vor. Den Kollaps des Bahnverkehrs in Südwestdeutschland hätten Dobrindt und seine Vorgänger wesentlich mitzuverantworten. "Geeignete Ausweichstrecken gibt es aufgrund der langjährigen autolastigen Politik nicht."

Am Samstag sollen die Anwohner zurückkehren

Baden-Badens Erster Bürgermeister Alexander Uhlig kritisierte dagegen die Deutsche Bahn wegen mangelnder Informationen nach der Sperrung. Der Krisenstab der Stadt habe keine Auskünfte erhalten. "Alles Fehlanzeige." Da müsse man schon die Frage stellen, ob die Bahn für solche Krisen wirklich gewappnet sei, sagte Uhlig.

Die Bahnführung hält sich ihrerseits mit Schuldzuweisungen auffällig zurück. Nur der Betriebsratschef wurde bislang deutlich. Das Unglück dürfe keineswegs der Bahn angelastet werden, sagte Jens Schwarz. Er müsse vielmehr dringend nach der Verantwortung der ausführenden Baufirmen fragen. Offenbar tut das auch die Bahn selbst und untersucht, welche Rolle die Tunnel-Arbeitsgemeinschaft unter Führung der Firmen Züblin und Hochtief gespielt hat. Man sammle Beweise im Tunnel, heißt es im Konzern dazu lediglich. Es würden Vorbereitungen getroffen für mögliche Schadenersatzforderungen.

Für Herbert Pollich soll die Sperrung immerhin schon am Wochenende ein Ende haben. Die betroffenen Anwohner können dann voraussichtlich wieder in ihre Häuser in Rastatt-Niederbühl zurück - wenn alles glattläuft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: