Rettungskräfte:Bahn frei

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Ab wann ist der Grip weg? Rettungskräfte trainieren im ADAC-Fahrsicherheitszentrum Augsburg den Umgang mit ihren Einsatzfahrzeugen. (Foto: Marco Völklein)

Rettungskräfte haben es im Straßenverkehr nicht leicht. Oft müssen sie sich durch den dichten Verkehr durchkämpfen. In speziellen Fahrsicherheitskursen bereiten sie sich vor.

Von Marco Völklein

Ob schon mal jemand einen Unfall erlebt hat, will Fahrsicherheitstrainer Dirk Elies von den Teilnehmern wissen. Mitten in einer Einsatzfahrt zu einem medizinischen Notfall, mit blinkendem Blaulicht auf dem Dach und laut tönendem Martinshorn? Einer der zehn Rettungssanitäter im Raum meldet sich. In einer Kurven habe es ihn nach außen getragen, auf rutschigem, glattem Untergrund. "Und dann bin ich an einem Baum gelandet." - "Ein Klassiker", entgegnet Fahrtrainer Elies. "Es ist immer der eine Baum, immer die eine Laterne oder das eine Schild, das da rumsteht." Auch darüber werde zu reden sein in den kommenden Stunden, sagt Elies. Über die Blickführung des Fahrers zum Beispiel, aber auch darüber, was die Technik in den Fahrzeugen mittlerweile alles ausbügeln könne, wenn man sich nur darauf verlasse, beispielsweise das Antiblockiersystem, kurz ABS.

Zehn Rettungssanitäter des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), Kreisverband Aichach-Friedberg, sitzen an diesem Dienstagmittag im Juli in einem Schulungsraum des ADAC-Fahrsicherheitszentrums nordwestlich von Augsburg. Gute acht Stunden lang werden sie sich damit auseinandersetzen, was alles passieren kann auf ihren Einsatzfahrten. Und wie sie sich dagegen wappnen können, wie sie ihr mehrere Tonnen schweres Rettungsfahrzeug auch in kniffligen Situationen im Griff behalten können.

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Auf sicherem Terrain an die Grenze kommen

Denn darum gehe es ja bei einem solchen Training, sagt Robert Lang, stellvertretender Leiter Rettungsdienst beim BRK-Kreisverband Aichach-Friedberg, "dass man mal die Möglichkeit erhält, unter sicheren Bedingungen auszuprobieren, wie das Fahrzeug in Grenzsituationen reagiert". Jeden seiner Fahrer schickt Lang nach eigener Aussage zu einem Fahrsicherheitstraining, insbesondere die jungen Leute, die im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Freiwilligen Sozialen Jahres bei ihm anfangen. Aber auch erfahrenen Kollegen biete man in unregelmäßigen Abständen die Teilnahme an den Trainings an. Lang sagt: "Wir versuchen, das Bestmögliche zu machen, um die Risiken so gering wie möglich zu halten."

Tatsächlich haben es Fahrten mit Blaulicht und Martinshorn mitunter in sich. Die Fahrerinnen und Fahrer stehen unter Druck, zudem habe allein die Masse an Verkehr in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, berichtet Lang - mit Ausnahme der vergangenen, von der Corona-Pandemie geprägten Monate vielleicht. Auch die Automobiltechnik habe sich verändert, Autos seien mittlerweile extrem schallgedämmt, "viele Verkehrsteilnehmer können das Martinshorn gar nicht mehr richtig wahrnehmen", sagt Lang.

Die Teilnehmer im Fahrsicherheitskurs in Augsburg bestätigen das: "Viele sind abgelenkt", sagt eine junge Rettungssanitäterin. Manch ein Verkehrsteilnehmer sei mitunter auch überfordert, ergänzt eine Kollegin. Der wisse dann gar nicht, wo er am besten hinsteuern solle, um den Rettern den Weg freizumachen. Hinzu komme der gesellschaftliche Wandel, sagt BRK-Mann Lang: "Jeder denkt irgendwie nur noch an sich und seine Situation."

Rettungsgasse? Fehlanzeige!

Obwohl Ministerien und Verbände zusammen mit Radiosendern zum Beispiel seit Jahren auf das Thema Rettungsgasse aufmerksam machten, sagt Lang, "passiert es immer wieder, dass wir in einen Stau fahren, wo kein Mensch auch nur daran gedacht hat, eine Rettungsgasse zu bilden". Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach: Sie ist auf mehrspurigen Straßen zwischen dem äußerst linken Fahrstreifen und dem rechts daneben zu bilden - und zwar auch schon dann, wenn der Verkehr stockt.

Wer sich mit Rettungskräften unterhält, auch bei der Feuerwehr, der Polizei oder beim Technischen Hilfswerk, der hört immer wieder ähnliche Klagen. Vielleicht fehle es den Leuten an Empathie, formuliert es beispielsweise ein Notfallsanitäter aus Nürnberg drastisch, vielleicht einfach auch nur am Verständnis für simple Zusammenhänge: "Wenn ich mit lautem Lalülala hinten im Stau stehe und mit dem Rettungswagen nicht vorankomme, dann kann es sein, dass vorne an der Unfallstelle gerade ein Verunfallter verreckt."

Fahrsicherheitstrainer Elies kennt solche Situationen aus eigener Erfahrung. Über viele Jahre war er selbst im Rettungsdienst tätig, war selbst in zwei schwere Unfälle bei Einsatzfahrten verwickelt, hat anschließend für seinen damaligen Arbeitgeber viele weitere Unfälle auf Einsatzfahrten analysiert. Mehrere Studien, beispielsweise der Bundesanstalt für Straßenwesen aus den Neunzigerjahren, stellten ein "überproportional hohes Unfallrisiko insbesondere bei Einsatzfahrten des Rettungsdienstes" fest. Eine schrille Warnsirene wie bei Einsatzfahrzeugen in den USA statt des deutschen Martinshorns würde schon helfen, findet Elies. Aber daran sei wohl hierzulande nicht zu denken. Deshalb sei klar: "Die anderen werden wir nicht umerziehen können", sagt Elies und appelliert an die Retter in seinem Kurs: "Deshalb müssen wir selbst aufpassen."

Ausweichtraining vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis mit dem Feuerwehr-Fahrzeug. (Foto: ADAC Südbayern)

Bei den Übungen auf dem Trainingsplatz wird das dann geprobt: Unter anderem sollen die Teilnehmer mit ihren schweren Rettungsfahrzeugen eine Vollbremsung bei Tempo 50 hinlegen. Nach dem ersten Durchgang ist Elies enttäuscht: "Da war keine einzige Vollbremsung dabei." Bei keinem der Rettungswagen habe das ABS auch nur ansatzweise regelnd eingreifen müssen. "Noch mal bitte", sagt Elies, "und jetzt bitte voll draufhämmern." Im zweiten Durchgang klappt es besser.

Auch der Patient muss gesichert werden

Wichtig sei dabei zum Beispiel auch, den Patienten auf der Trage hinten im Fahrzeug richtig zu sichern - also Gurte nicht nur um Beine und Brustkorb zu legen, sondern auch um die Schultern. "Auch wenn viele sagen, dass ihnen das unangenehm ist", sagt Elies. "Im Zweifelsfall entscheidet ihr als Fahrer - und sagt dann: Ohne entsprechende Sicherung fahre ich nicht los." So ließen sich die meisten Patienten dann doch überzeugen.

Rund geht es für die Teilnehmer schließlich auch auf der Kreisbahn auf dem Trainingsgelände in Augsburg. Auf einer Kurve mit glatter Fläche tasten sich die Fahrer langsam an den "Rutschpunkt" heran, wie Fahrtrainer Elies sagt; an den Punkt also, an dem das Fahrzeug nicht mehr in der Spur zu halten ist. Elies sammelt Vorschläge: Wie sollen die Fahrer dann reagieren? Gegenlenken? Langsam abbremsen? Alles falsch, sagt der Trainer: "Ein kurzer, kräftiger Bremsschlag stoppt die Fliehkraft." Zudem müsse man behutsam an der Kurve entlanglenken. "Und jetzt", ruft Elies, "probieren wir das gleich noch mal aus."

© SZ vom 08.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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