Rettungshubschrauber:Notfall am Boden

Wenn der Rettungshubschrauber kommt, geht es oft um Leben und Tod. Im Simulator werden die Teams geschult.

Karl Forster

Dieser Helikopter kann fast alles. Nur fliegen nicht. Und auch den Tod kann er nicht. Als Marcus Federowitz, Stationsleiter der ADAC-Rettungsbasis in Mainz und normalerweise mit der EC 145, Kennung Christoph 77, unterwegs, mit dem Schwerverletzten von der Unfallstelle unter der Autobahnbrücke startet, kommt er der nördlichen Stromleitung zu nahe.

Erste Pilotin des ADAC fliegt Ingolstädter Rettungshubschrauber Christoph 32

Ein Rettungshubschrauber des ADAC im Einsatz - in diesem Fall der Christoph 32 Ingolstadt

(Foto: dapd)

Ein tödlicher Fehler: Die Rotorblätter zerbersten an den dicken Metallleitungen, ein Kurzschlussfunke bringt den Tank des Hubschraubers zur Explosion, keiner der vier Menschen in der Maschine, Pilot, Notarzt, Rettungssanitäter und Patient hat eine Chance. Hellrot leuchtet ein letztes Mal die Welt. Und es steht in dieses Rot hineingeschrieben der lapidare Satz: "Collision detectet."

"Natürlich machen wir solche Fehler nicht", sagt Marcus Federowitz dann. "Dafür sind wir ja hier." Der 37-Jährige gehört zu den 50 Prozent der insgesamt etwa 150 Mann starken Pilotenmannschaft des ADAC, die ihren Job nicht in der Bundeswehr gelernt haben, sondern den mühsamen und vor allem teuren Weg der Privatausbildung gegangen sind.

Heute gehört er zum erlesenen Zirkel der Instruktoren, die in der Flight Training Organisation des Automobilclubs in der ADAC Hems Academy in Sankt Augustin bei Bonn arbeiten. Er hat, zusammen mit Pilotenkollegen und Fachleuten aus allen Bereichen der IT-Branche, so lange an den beiden Full Flight Simulatoren der Eurocoptertypen 135 und 145 gearbeitet, bis Programm und Bewegung optimal aufeinander abgestimmt waren, in weltweit einzigartiger Perfektion.

Heute fliegen hier Piloten, auch wenn sie nicht real fliegen. Die Behörden erkennen jede Flugstunde in dieser fest am Boden verankerten Maschine als reale Flugstunde an; sogar als Checkflüge und Type Rating, also zum Erwerb der Musterberechtigung für diese Helis. Kein Wunder, dass Thomas Hütsch und Thomas Gaßmann stolz sind auf ihr 2009 eröffnetes Trainingszentrum. Ersterer ist Geschäftsführer der Academy und "nur Ingenieur", Gaßmann ist gelernter Hubschrauberpilot und leitet Vertrieb und Geschäftsabwicklung.

"Zu uns kommen Piloten von überall her, bis aus Australien", sagt er und hat zwei einfache Erklärungen dafür: Erstens kostet eine reale Flugstunde schnell um die 2000 Euro, die Simulatorstunde berechnet man mit rund einem Drittel; zweitens, kann man beim realen Flug nicht alles üben. Zum Beispiel einen defekten Heckrotor. Oder einen Flug in die Powerlines. Auch der Kampf gegen den Tod steht bei der Hems Academy ganz oben auf der Liste.

Selbst beim simulierten Unfall kommen die Ärzte ins Schwitzen

Das Kürzel Hems steht schließlich für "Helicopter Emergency Medical Service", was zeigt, dass in dieser Academy auch jene Personen geschult werden, die mit in der Maschine sitzen. An die 700 Notärzte und 200 Rettungssanitäter arbeiten für den ADAC, je besser deren Ausbildung, desto größer die Chancen für die Patienten. "Es geht um Entscheidungsfindung, um optimale Erstbehandlung, um Bewältigung von Stresssituationen", sagt Maria von Nathusius, medizinische Leiterin der Academy und als Anästhesistin und Intensivmedizinerin in einer Klinik tätig.

Der Schockraum der Academy ist mit allem ausgerüstet, was das ärztliche Herz begehrt, nur der Patient, intubiert und an den Monitor angeschlossen, ist aus Plastik. Für den Fotografen zieht man ihm eine Maske mit schwersten Kopfverletzungen über. Was nach Halloween aussieht, bringt im trainierten Ernstfall selbst hartgesottene Notärzte und Rettungsassistenten oft ins Schwitzen.

Trainiert wird nicht nur, dem Schwerverletzten unter schwierigsten Bedingungen einen Venenzugang zu legen, es geht, darauf legt Maria von Nathusius viel mehr Wert, um das Kürzel CRM. Es bedeutet Crew Ressource Management und heißt auf Deutsch, dass man hier lernt, aus dem dreiköpfigen Team das Optimum herauszuholen, es dahin zu bringen, dass es perfekt reagiert.

So übernimmt zum Beispiel während des Fluges der Rettungsassistent die Arbeiten eines Copiloten, der bei schwierigen Lande- oder Startmanövern dem Mann an Stick, Pedalen und Pitch die Höhe ansagt, der Pilot wiederum hilft am Boden mit, wenn es gilt, einen Schwerverletzten mit Infusionen und Sauerstoffversorgung in den Heli zu bringen. Um zu wissen, was das bedeutet, müssen sich Arzt, Pilot und Sanitäter schon mal als Patienten in die knallgelbe Sperrholzversion einer EC 135 verfrachten lassen. Es ist sehr, sehr eng hier für den Patienten.

Eine Fehlerquelle ist die Übergabe des Patienten an das Personal der angeflogenen Klinik. Der Notarzt ruft die wichtigsten Daten und Erkenntnisse bezüglich des Patienten dem neuen Team entgegen, Ärzte oder Schwestern, die er vielleicht gar nicht kennt. Diese Übergabesituation und die ersten Schritte der Weiterbehandlung werden hier mit allen erdenklichen Problemen vom Blutdruckabfall bis zum alarmierenden Fax aus dem Labor simuliert.

Hinter einer verspiegelten Scheibe beobachten die Trainer, ob alles funktioniert. Wenn nicht, wird wiederholt. Bis jeder Handgriff sitzt. Dasselbe Prinzip gilt für den Heli, der von außen aussieht wie ein vorsintflutliches sechsbeiniges Monster. Vor dem Start ist der Vorflugcheck angesagt. In einem kleinen, mit Bildschirmen vollgestopften Raum macht dies der Pilot per Mausklick. Ölstand? Rotor? Heckrotor?

Routine, Routine, Routine

Wichtig ist die Routine im Kopf. Dann sagt Marcus Federowitz: "Und jetzt gehen wir fliegen." Eine wegklappbare Brücke führt zum Simulator. Anschnallen und Kopfhörer auf. Marcus startet den Heli, hinter ihm, wo sonst der Trainer sitzt, hat sich Pilotenkollege Andreas Stahl vor dem Laptop eingerichtet; er ist Herr über das horizontal 210 und vertikal 60 Grad große Sichtfeld, auf dem gerade der Hangar des kleinen Flugfeldes namens Hangelar direkt vor der Academy auftaucht und das von nun an, kombiniert mit den Bewegungen des Simulators, für die nötige Sinnestäuschung sorgt.

Denn egal, ob für Flächenflugzeuge oder Helicopter, auf der Täuschung der Sinne beruht das Prinzip der Simulation. Acht Hochleistungsbeamer sorgen dank einer mehrere hundert Gigabyte fetten Datenbank für ein erstaunlich naturalistisches Bewegungsbild, sogar das Starten des Rotors inklusive des Geräusche-Crescendos wirkt lebensecht.

Die beiden Triebwerke der EC 145 und die vier Rotorblätter mischen sich zu einem hochfrequenten Sirren. "Es kann sein, dass dir beim Start schwummrig wird", sagt Marcus. In der Luft duzt man sich. Der Gewöhnungsflug führt von Sankt Augustin zum Klinikum Koblenz samt Landung auf dem Heliport. "Normalerweise unterbrechen wir nicht, damit die Piloten in der Simulatorrealität bleiben", sagt Marcus, bittet dann aber den Kollegen um eine Unfallsituation und sagt: "Das ist unser Alltag." Zerborstene Autos, davor ein Krankenwagen, die Lage ist eindeutig.

Der Patient ist bereits im Heli, wir starten. Natürlich macht Marcus nicht den Fehler, in die Powerline links von ihm zu fliegen. Problemlos bringt er den Hubschrauber aus der diffizielen Startsituation, bis dann plötzlich ein Triebwerk ausfällt. Drei, vier perfekt sitzende Handgriffe, und die EC 145 fliegt - langsamer - mit einer Turbine weiter.

Doch damit nicht genug. In Sichtweite eines kleines Flugfeldes ruft die Stimme vom Laptop-Steuerplatz plötzlich: "drei, zwo, eins!" Totalausfall der Triebwerke. Autorotation, die hohe Schule des Hubschrauberfliegens. Nur der Sinkflug lässt den steil gestellten Rotor weiter kreisen, kurz vor dem Aufprall stellt der Pilot die Blätter flach, er zieht den Pitch nach hinten, baut so ein Luftkissen vor sich auf wie ein Albatros bei der Landung und setzt die Maschine in leichter Vorwärtsbewegung auf. Und der Körper spürt jede Bewegung, als sei sie echt.

In der Mittelkonsole leuchtet ein blaues Lämpchen auf. "War ein bisschen hart, da wäre jetzt was kaputtgegangen", sagt Marcus und öffnet das Gurtschloss. "Oder sollen wir es nochmal üben?"

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