Rettungsfliegerei:Sicher durch die Wolken

Mit einem neuen Anflugverfahren will die gemeinnützige DRF Luftrettung die medizinische Versorgung verbessern. Vor allem ländliche Regionen dürften profitieren.

Von Marco Völklein

Vorstellung des Typs EC 145 T2

Ein Rettungshelikopter der DRF Luftrettung im Einsatz.

(Foto: Lukas Barth)

Wenn Sascha Netzer seinen Dienst in der Rettungshubschrauberstation am Münchner Klinikum Großhadern antritt, dann ist eine seiner ersten Tätigkeiten der Blick auf das Wetter. Der Hubschrauberpilot schaut dann nicht nur aus dem Fenster, vielmehr noch sieht er sich den Wetterbericht intensiv an. Und am Computer klickt er sich durch diverse Lifecams, die über ganz Oberbayern verteilt sind und es ihm so ermöglichen, die Flugbedingungen einzuschätzen. Denn in der Rettungsfliegerei ist eine gute Sicht Voraussetzung dafür, dass die Helikopter überhaupt in die Luft gehen können - aus Sicherheitsgründen.

Genau das aber stellt die Hubschrauberbesatzungen, die sich aus dem Piloten (nachts kommt noch ein zweiter Pilot dazu), einem Notarzt und einem Notfallsanitäter zusammensetzen, immer wieder vor Probleme: An der Münchner Station zum Beispiel, von der aus der Rettungshelikopter Christoph München abhebt, konnten die Piloten im vergangenen Jahr mindestens 160 Stunden nicht losfliegen, weil die Sichtbedingungen zu schlecht waren. Dichter Nebel, starke Schnee- oder Regenfälle - wenn die Piloten keine ausreichend gute Sicht haben, müssen sie am Boden bleiben. Und das heißt wiederum für die Bevölkerung, dass eine dringend notwendige Verlegung eines Patienten beispielsweise von einem kleinen Kreiskrankenhaus irgendwo in Oberbayern zu einer medizinisch besser ausgestatteten Universitätsklinik in die bayerische Landeshauptstadt nicht möglich ist - jedenfalls nicht auf dem Luftweg. Es gibt zwar auch bodengebundene Intensivtransportfahrzeuge, also speziell für solche Verlegungen ausgestattete Rettungswagen, doch der Transport durch die Luft geht in der Regel schneller und damit schonender für den Patienten.

Die Behörden prüfen vorab: Stehen etwa Windräder im Weg?

Die gemeinnützige DRF Luftrettung will deshalb im Laufe diesen Jahres ein in Deutschland bislang noch nicht angewandtes Flugverfahren erproben, um solche Verlegungsflüge auch bei eingeschränkter Sicht vornehmen zu können. Beim sogenannten PinS-Verfahren definieren die Luftfahrtbehörden einen virtuellen Anflugpunkt im Luftraum zum Beispiel über einem Krankenhaus fest, den sogenannten "Point in Space" (daher die Abkürzung: PinS). Dieser kann vom Helikopterpiloten per Instrumentenflug angesteuert werden, ohne dass ausreichend Sicht vorhanden ist. Zuvor prüfen die Behörden, ob zum Beispiel rund um diesen virtuellen Anflugpunkt keine störenden Stromleitungsmasten oder Windräder stehen. Am Ende, so der Plan, könnte ein für alle Luftrettungsbetreiber offenes Flugstreckennetz in ganz Deutschland entstehen.

Der Helikopter könnte dann also zum Beispiel durch dicke Wolken oder dichten Nebel zu diesem Punkt fliegen. Erst von dort aus geht der Pilot anschließend in den Endanflug über, zum Beispiel in Richtung der Landeplattform auf dem Dach einer Klinik. Dieser Endanflug findet wieder unter Sichtflugbedingungen statt - und auch nur wirklich dann. Stellt sich heraus, dass auch die Landeplattform noch im dichten Nebel stecken sollte, muss der Pilot den Endanflug abbrechen und einen anderen Landeplatz ansteuern, der Sichtflugbedingungen bietet. Unterm Strich, so die Idee, könnte dank PinS die bislang erforderliche Höhe der Wolkenuntergrenze so auf ein Drittel des aktuellen Minimums gesenkt werden und auch die maximal erforderliche Sichtweite schrumpft so deutlich.

Bisher werden in Deutschland Instrumentenanflüge nur im kontrollierten Luftraum durchgeführt, also an Flugplätzen. Mit dem PinS-Verfahren wäre diese hochpräzise Form der Navigation auch an anderen Stellen, eben an Krankenhäusern und anderen wichtigen Einrichtungen für die Retter möglich. "Das PinS -Verfahren erhöht die Flugsicherheit und ermöglicht Einsätze unter Bedingungen, unter denen in Deutschland aktuell noch nicht geflogen werden kann", sagt Jérôme Gehri, zuständig für den Fachbereich Flugbetrieb bei der DRF Luftrettung. Wenngleich er betont, dass eine "Allwetterflugfähigkeit" damit nicht erreicht werden wird.

In anderen Ländern aber habe man bereits gute Erfahrungen mit dem Verfahren gemacht, sagt Gehri. Die Briten zum Beispiel setzen PinS schon seit Jahren ein, ebenso Rettungsflieger in den USA und in einigen skandinavischen Ländern. Auch die Schweizer Luftrettungsorganisation Rega nutzt das Verfahren seit 2010 für einzelne Hubschrauberlandeplätze im nicht kontrollierten Luftraum und baut die Nutzung seither kontinuierlich aus.

In Deutschland indes müssen die Rettungsflieger derzeit bei schlechter Sicht häufig am Boden bleiben. Voraussetzung für die Einführung von PinS ist nämlich, dass die Bundesregierung eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2012 in nationales Recht umsetzt. Alle Beteiligten aus dem dafür zuständigen Bundesverkehrsministerium, bei der Deutschen Flugsicherung und den Flugsicherheitsbehörden in den Bundesländern seien aber grundsätzlich bestrebt, dies möglichst bald umzusetzen, heißt es bei der DRF Luftrettung. Im Laufe des Jahres, so die Hoffnung der Luftrettungsorganisation, werde man ein erstes Pilotprojekt angehen können.

Am Ende soll ein dichtes Netz von Anflugpunkten entstehen

Geplant ist, erste PinS über dem Luftraum von Krankenhäusern und anderen Versorgungseinrichtungen in Schleswig-Holstein festzulegen und ein erstes Flugstreckennetz für den Instrumentenanflug im unteren Luftraum zu erstellen. "Das Land Schleswig-Holstein ist sehr daran interessiert", sagt Gehri. Schließlich sind weite Teile dort ländlich geprägt. Gerade in solchen Gegenden spielen Intensivtransporthubschrauber eine wichtige Rolle, um zum Beispiel einen Patienten mit einem Schlaganfall in eine Klinik zu bringen, die eine sogenannte "Stroke Unit" verfügt, eine spezialisierte interdisziplinäre Behandlungseinheit für solche Fälle. Je eher einem Schlaganfallpatienten in einem solcher Spezialklinik geholfen werden kann, "desto deutlicher sinkt das Risiko für Folgeschäden", sagt Gehri. Sollte sich die Technik in Schleswig-Holstein bewähren, könnte sie auch auf andere Regionen ausgedehnt werden; das langfristige Ziel sei es, sagt der DRF-Mann, am Ende ein dichtes PinS-Netz über das gesamte Bundesgebiet zu legen.

Noch allerdings steht die DRF da am Anfang. Auch, was die Finanzierung anbelangt: Etwas mehr als 50000 Euro wird die Einrichtung pro Anflugpunkt laut Gehri kosten, hinzu kommen Ausgaben für Pilotenschulungen und Umrüstung der eingesetzten Maschinen. Ein Antrag auf Fördermittel aus einem Innovationsfonds des Bundesgesundheitsministeriums wurde vor Kurzem abgelehnt. Gehri versichert, die DRF Luftrettung wolle das Projekt "dennoch vorantreiben". Genutzt werden könnten die virtuellen Punkte im Luftraum dann nicht nur von den DRF-Helikoptern, sondern auch von den Maschinen anderer Betreiber, etwa des ADAC oder der Bundespolizei.

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