Süddeutsche Zeitung

Restaurierter Kleintransporter:Elektroauto-Rentner

Eigentlich sind auf Wangerooge keine Autos erlaubt. Es sei denn, sie haben einen Elektroantrieb. Wie der DKW Schnelllaster, der in den 60ern schon auf der Insel fuhr. Nun kehrte er aufwendig restauriert zurück.

Von Joachim Becker

Kein Auto, nirgends. Nur das Meer rauscht wie eine ferne Schnellstraße. Und der Wind treibt ein leises Mahlen von Metall auf Metall vor sich her. Was nach einem Spielzeugauto zum Aufziehen klingt, ist der Elektro-Schnelllaster auf der autofreien Insel Wangerooge. Wo die Urlauber ihre Seele im Seewind baumeln lassen, wird seit Jahrzehnten alles per Handkarren, Fahrrad, Bimmelbahn oder eben per Elektrowagen transportiert. Entschleunigung gehört zum festen Erholungsprogramm des Nordseeheilbads. Um so auffälliger ist der taubenblaue Nachkriegstransporter, den Wolfgang Kranich nun wieder nach allen Seiten grüßend durch das Städtchen fährt.

Der frühere Fuhrunternehmer ist vor über vierzig Jahren in seinem elektrischen DKW-Bus über die Insel gerattert. 15 Minuten brauchte der Pritschenwagen mit einem Verdeck aus Segeltuch vom Bahnhof bis zur Jugendherberge an der Westküste. Was schneller klingt, als es auf dem rund zehn Kilometer langen Mini-Eiland tatsächlich ist. Mehr als 35 km/h schafft der alte Elektromotor mit seinen 5 kW Leistung nicht. Die Bezeichnung Schnelllaster macht wenn überhaupt, dann nur auf dieser verkehrsberuhigten Fußgängerinsel Sinn. Traditionelle Rüttelstrecken aus Ziegelsteinen, die als Straßen in dieser großen Sandkiste dienen, lassen höhere Geschwindigkeiten ohnehin kaum zu.

Pures Mittel zum Zweck

Audi hat einen von einer Handvoll überlebender DKW Schnelllaster restauriert, um seine Tradition beim Trendthema alternative Antriebe zu stärken. Ende 1955 wurde der Elektrowagen von der Auto Union erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Kleintransporter aus Ingolstadt sollte damals noch nicht das Klima retten, sondern den Kurzstrecken-Lieferverkehr verbessern. Der zugrunde liegende DKW F800 Typ 30 machte im Werks- oder Posteinsatz Probleme mit verkokten Zweitaktmotoren, Kaltlaufreibern und einem exzessiven Kraftstoffverbrauch. Daher lieferte die Audi-Vorgängerfirma bis 1962 rund 100 Elektrowagen an Energieunternehmen, Stadtwerke oder Batteriehersteller. An autofreie Nordseeinseln oder Elektrofahrzeuge im Individualverkehr dachte bei der Entwicklung kein Mensch.

Der DKW war schon ein Oldtimer, als Wolfgang Kranich seinen Führerschein machte. Ältere Inselbewohner kennen den Stromer noch aus den 60er- und 70er-Jahren. Damals fuhren drei dieser Elektro-Schnelllaster über die Insel. Von Nostalgie war in den 1970er-Jahren allerdings keine Rede: "Der DKW war das günstigste Elektrofahrzeug, das aufzutreiben war. 2000 Mark kostete der gebrauchte Stromer, plus 5000 Mark für die 300 Kilo schweren Bleibatterien und das kühlschrankgroße Ladegerät", erzählt der 67-Jährige, "trotzdem war das alte Möhrchen günstiger und schneller als ein neuer Elektrotransporter, wie er auf Bahnhöfen verwendet wird."

Destilliertes Wasser als Treibstoff

Der DKW lief und lief und lief, acht Stunden am Tag ohne zu murren. Statt Benzin schluckten die Batterien mit einer Kapazität von 200 Amperestunden lediglich destilliertes Wasser aus der Insel-Apotheke. Ersatzteile oder Wartung brauchte der Antrieb trotz der salzhaltigen Luft so gut wie nie. "Wenn die Schütze geschliffen haben, wurde das ganz einfach mit Hammer und Schleifpapier repariert", berichtet Kranich.

Falsche Sentimentalitäten sind nicht sein Ding, weder bei Autos noch Passagieren: "Richtig gepackt, passten 80 Koffer oder 18 Fahrgäste in den DKW. Wer nicht mehr reinpasste, musste vom Fähranleger zum Hotel laufen." Auch die brachiale Lenkung ohne Servo-Unterstützung entlockt ihm heute bloß ein Schulterzucken: "Wenn man den ganzen Tag Koffer geschleppt hat, war das auch schon egal."

So tapfer sich die Schnelllaster gegen Salz und Sand zur Wehr setzten - irgendwann wurde die Instandhaltung der Karosserie schwierig. Der Hamburger DKW-Club rettete einen der Elektrotransporter von der Insel. Der Originalbrief des Nutzfahrzeugs existiert zwar nicht mehr. Anhand der alten Verkaufslisten ließ sich der Wagen jedoch bis auf die Erstauslieferung an die RWE in Essen zurückverfolgen.

Nach näherer Prüfung wurde jedoch klar, dass sich der abgenutzte Oldtimer nur noch zum Ausschlachten eignete. Immerhin ließen sich die elektrischen Komponenten so weit restaurieren, dass sie neuerlich den Segen des TÜVs erhielten. Neue Bleibatterien und eine neue Heizung gehörten allerdings zu den Sicherheitsauflagen für die Zulassung. Eine passende Karosserie fand Ralf Hornung von der Audi-Traditionspflege in einem Straßenbahndepot.

Mühsame Kleinarbeit

In jahrelanger Arbeit wurde der DKW Elektrowagen unter Audi-Regie mühsam wieder aufgebaut. Rund 2000 Stunden waren nötig, um aus dem Antriebsstrang und den Überresten der Zweitakterkarosserie ein fahrbereites Unikat zusammenzusetzen. Wie in den Fünfzigerjahren wurden Zweitaktmotor und Schaltgetriebe ebenso entfernt, wie Kraftstofftank, Kühler, Luftfilter und Abgasanlage. Ersetzt wurden sie durch einen Gleichstrommotor mit maximal 3200/min Höchstdrehzahl, der seine karge Leistung bei einer Spannung von 80 Volt abgab. Das Fahrzeug verfügte weder über eine Kupplung noch über ein mechanisches Schaltgetriebe. Der quer eingebaute Motor trieb über eine gekapselte Kette das modifizierte Vorderachsdifferenzial des DKW Typ 30 an. Diese Primitivlösung trägt noch immer zu den mahlenden Geräuschen bei, die so gar nicht zu einem Stromer passen wollen.

Anstelle des originalen Lenkstockhebels gibt es heute ein Gaspedal zur Temporegelung. Doch am Radius des urigen Elektrofahrzeugs hat sich wenig geändert. Ohne Zwischenladung kommt der DKW mit seinen seitlich unter den Sitzbänken gelagerten Bleiakkus nur 80 bis 100 Kilometer weit. Noch heute zeigen die tanzenden Zeiger des Ampere- und Voltmeter im Armaturenbrett ein rapide sinkendes Energielevel an, das dem Privatfahrer Sorgenfalten auf die Stirn treibt.

Früher fütterte Wolfgang Kranich seinen Lastesel immer zuerst an einer Kraftstromquelle, bevor er sich in der Mittagspause selber etwas gönnte. Jetzt versorgt er den Oldie ein letztes Mal an seiner Haussteckdose, dann geht es auf den Hänger und zurück ins Depot der historischen Sammlung von Audi.

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Quelle:
SZ vom 14.03.2015/harl
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