Rennunfall in Hockenheim:Tod in der Arena

Vor 40 Jahren starb nach 25 Formel-1-Siegen das Fahrgenie Jim Clark - ausgerechnet bei einem zweitklassigen Rennen in Hockenheim.

Eberhard Reuß

Es hätte der größte Tag in der Geschichte des Hockenheimrings werden sollen: Mit Jim Clark, dem zweifachen Weltmeister und Spitzenreiter der Formel-1-WM startet am 7. April 1968 erstmals der unbestritten beste Fahrer der Epoche im zwei Jahre zuvor eröffneten Motodrom. Was der 32-jährige Champion über die Strecke denkt, hat er allerdings bereits am Samstagnachmittag einem Fernsehteam anvertraut: "Absolutely ridiculous", total lächerlich.

Rennunfall in Hockenheim: Ein Kuss für den Sieger: Jim Clark nach dem Sieg beim US-Grand-Prix in Watkins Glen.

Ein Kuss für den Sieger: Jim Clark nach dem Sieg beim US-Grand-Prix in Watkins Glen.

(Foto: Foto: AP)

25 Grand-Prix-Siege bei 72 Formel-1-Starts, 33 Pole-Positions

Am selben Abend ist Jim Clark zu Gast im Aktuellen Sportstudio des ZDF. Moderator Werner Schneider lässt seinen freundlich lächelnden Gast kaum zu Wort kommen, hakt nach, ob es denn stimme, dass Clark für sein Hockenheim-Gastspiel 10.000 DM Startgeld bekomme. Der Schotte verneint höflich, bleibt seinem Keepsmiling treu, nach knapp zehn Minuten beendet Schneider das Fernsehinterview mit dem Wunsch: "...und für morgen Hals und Beinbruch."

Mit dabei als Gast im ZDF-Sportstudio ist damals Kurt Ahrens, der als einziger Deutscher beim Auftakt zur Formel-2-EM auf dem Hockenheimring startet: "Ich spürte, dass Jim Clark kein großes Interesse an diesem Rennen hatte. Nach unserem Auftritt im ZDF saßen wir noch in einer Gaststätte beisammen. Es wurde Bier ausgeschenkt, nur Clark bestand auf Limonade."

Es wird spät an diesem Abend, denn auf der Rückfahrt ins Hotel droht der Mercedes von Ahrens wegen eines Pleuelschadens liegen zu bleiben. Da hilft nur viel Öl in den Motor zu kippen. Beim Halt am Rasthof Pfungstadt hat der Deutsche nicht genügend Kleingeld dabei, Clark hilft mit ein paar Dollar aus, sodass Ahrens mit seinem prominenten Beifahrer gemächlich weiterzuckeln kann: "Gegen 2.30 Uhr habe ich Jim Clark im Hotel Luxhof abgesetzt." Keine zehn Stunden später ist der beste Rennfahrer der Welt tot.

Tod in der Arena

In der kongenialen Partnerschaft mit Konstrukteur Colin Chapman ist dem scheuen Jimmy der Aufstieg zur Weltspitze gelungen. Am Lenkrad von Chapmans fragilen Lotus-Blüten wandelt sich der nägelkauende Farmersohn und Schafzüchter zum Fahrgenie. Der Lotus-Boss lässt nach Clarks zweitem WM-Titel 1965 durchblicken: "Wenn Jim als Rennfahrer einen Fehler hat, dann den, dass er seinen Fahrstil den Unzulänglichkeiten des Rennwagens anpasst."

Rennunfall in Hockenheim: Der Rennfahrer Jim Clark sitzt beim Abschlusstraining auf dem Solitudering bei Stuttgart in seinem Werkslotus. Clark war 1964 der letzte Formel 1-Sieger auf der Solitude, 1965 fand dort das letzte Rennen statt. Die schmale und ungesicherte Strecke entsprach zuletzt immer weniger dem wachsenden Sicherheitsbedürfnis der Fahrer und Organisatoren.

Der Rennfahrer Jim Clark sitzt beim Abschlusstraining auf dem Solitudering bei Stuttgart in seinem Werkslotus. Clark war 1964 der letzte Formel 1-Sieger auf der Solitude, 1965 fand dort das letzte Rennen statt. Die schmale und ungesicherte Strecke entsprach zuletzt immer weniger dem wachsenden Sicherheitsbedürfnis der Fahrer und Organisatoren.

(Foto: Foto: dpa)

"Der Lotus von Clark kam quer - mit 260 km/h"

Immer wieder vermag Clark die Gebrechen von Chapmans Konstruktionen zu überspielen und selbst ein angeschlagenes Gefährt irgendwie über die Ziellinie zu lenken. 25 Grand-Prix-Siege bei 72 Formel-1-Starts, 33 Pole-Positions und 28 schnellste Rennrunden drücken die fahrerische Überlegenheit Clarks nur annähernd aus. Und mit 32 Jahren hat der Schotte den Zenit seiner Rennfahrerkarriere längst noch nicht erreicht.

Pünktlich zum Start des ersten von zwei Formel-2-Läufen um 12.30 Uhr hört es auf zu regnen, nach und nach trocknet der Asphalt ab. Clark fällt bis zur vierten Runde auf Platz acht zurück. Als der rot-weiß-goldene Lotus eingangs der fünften Runde die Nordkurve passiert und auf die lange Waldgerade in Richtung Ostkurve beschleunigt, folgt er mit deutlichem Abstand den Spitzenreitern und liegt außer Sichtweite für den Rest des Feldes.

Für das, was auf dem Hochgeschwindigkeitsteil der Strecke mitten im Hardtwald passiert, gibt es deshalb nur zwei Augenzeugen: Franz Perino und Winfried Kolb, die als Streckenposten bei Kilometer zwei an der Außenseite der Waldgerade stehen. Sein damaliger Kollege ist inzwischen verstorben, doch Winfried Kolb erinnert sich auch nach 40 Jahren präzise an den Unfall: "Der Lotus von Clark kam bereits quer aus diesem langgezogenen Rechtsbogen, der damals in der Formel 2 mit Vollgas, etwa 260 km/h gefahren wurde. Oh, der hat Schwierigkeiten, hab' ich mir gedacht. Und dann ist der Wagen im Winkel von etwa 45 Grad von der Strecke gerast. Etwa 30, 40 Meter von unserem Posten entfernt. Das Ganze spielte sich in zwei, drei Sekunden ab."

Tod in der Arena

Der Lotus war in drei Teile zerbrochen, Jim Clark saß leblos im völlig verbogenen Chassis. Es war fatal, dass der Wagen genau auf Höhe des Cockpits gegen einen Baum prallte. Die Ursache für den Unfall liegt bis heute im Dunkel. Ein Fahrfehler scheint undenkbar. Um so eher ein Defekt Marke Lotus, vielleicht auch als Spätfolge eines Unfallschadens eine Woche zuvor in Barcelona. Im Auftrag von Chapman, der in Hockenheim nicht vor Ort gewesen ist, untersucht der Ingenieur Peter Jowitt den Unfallwagen.

Lief ein Kind über die Strecke?

Der Experte für die Analyse von Flugzeugabstürzen schließt jedoch einen Materialbruch als Unfallursache aus. In der Lauffläche des rechten hinteren Pneus entdeckt der Ingenieur dagegen einen halbkreisförmigen Schnitt von rund zweieinhalb Zentimeter Durchmesser. Wahrscheinlich ist Clark zuvor über ein Metallteil gefahren, das auf der Piste lag und hat sich dabei unbemerkt den rechten Hinterreifen aufgeschlitzt. Dadurch wäre allmählich Luft aus dem Reifen entwichen, ehe der Pneu abrupt kollabierte. Solch ein Reifendefekt auf einem Vollgasabschnitt mag selbst das Fahrgenie überrascht haben. Vielleicht hat er geglaubt, den ausbrechenden Rennwagen noch durch Lenkkorrekturen auf der Piste zu halten. "Es fanden sich an der Unfallstelle keine Bremsspuren", erinnert sich Augenzeuge Winfried Kolb.

Ein paar Tage nach dem Rennen meldet sich ein US-Bürger bei der Polizei. Sein Sohn habe ihm unter Tränen gebeichtet, ein befreundetes Kind sei in dem Moment über die Strecke gerannt, als Clark heranbrauste. Dadurch sei der Weltmeister abrupt zum Ausweichen gezwungen worden und von der Piste geschleudert. Die Polizei vernimmt dazu auch Winfried Kolb - und stellt nach dessen Zeugenaussage die Ermittlungen schließlich ein: "Die Geschichte war äußerst unwahrscheinlich, denn trotz der Krümmung dieser langen Waldgeraden hatten wir damals etwa 500 Meter weit Einblick auf die Strecke. Uns ist nicht aufgefallen, dass jemand zu Fuß die Piste überquert hätte."

Tod in der Arena

Gegen 15.00 Uhr an jenem 7.April 1968 formiert sich das verbliebene Feld der Formel 2 - das Lotus-Team hat zusammengepackt und Hockenheim verlassen. Chris Amon, der auf Ferrari angetreten ist, bringt die Stimmung auf den Punkt: "Wenn es selbst einen Jim Clark erwischen kann, dann ist niemand von uns sicher." 1968 werden auch noch die Formel-1-Piloten Mike Spence, Ludovico Scarfiotti und Jo Schlesser tödlich verunglücken.

Vier weitere Fahrer sterben

Und in Hockenheim kommen bis Ende der Saison 1968 noch vier weitere Fahrer ums Leben, ehe in der Winterpause endlich Bäume gefällt, Sicherheitsstreifen angelegt und doppelte Leitplanken errichtet werden. Tragische Ironie: Zwei Jahre nach Jim Clarks tödlichem Unfall ist der Hockenheimring sicherheitstechnisch auf höchstem Standard und wird nach dem Fahrerboykott der Nürburgring-Nordschleife im August 1970 erstmals Schauplatz des deutschen Formel-1-Grand-Prix.

Im Gefolge des Streckenumbaus im Jahr 2002 ist der historische Teil der Rennpiste im Hardtwald durch Renaturierung beseitigt worden. Der Gedenkstein, der ursprünglich am Unfallort stand, ist anderthalb Kilometer entfernt in Nähe der neuen Strecke versetzt worden, damit Rennfans weiter Gelegenheit haben, dem unvergessenen Champion ihre Reverenz zu erweisen. Noch immer werden Blumen abgelegt und dies nicht nur am Jahrestag des 7. April.

Das "Jim-Clark-Gedächtnisrennen" für Formel-2-Rennwagen, ein imposantes Oldtimer-Rennfestival - in diesem Jahr vom 24. bis 27. April auf dem Programm -, ist eine gelungene Erinnerung an den unvergessenen Champion. Sein Name bleibt auf traurige Weise mit dem Hockenheimring verbunden.

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