Rennrad im Test:Regen, Matsch und Kopfsteinpflaster - was für ein Spaß!

Radfahrergruppe um Sebastian Herrmann (l.) bei der Amateurausgabe der Flandernrundfahrt

Die Radfahrergruppe um Sebastian Herrmann (l.), die an der Amateurausgabe der Flandernrundfahrt teilnahm.

(Foto: Privat)

Unser Autor nahm an der Amateur-Ausgabe der Flandernrundfahrt teil. Mit einem Test-Rennrad in Diddl-Maus-Lila, das die Fahrt dank eines technischen Kniffs erträglich machte. Ein bisschen zumindest.

Von Sebastian Herrmann

Der Unterhaltungswert eines kollektiven Fahrradabenteuers besteht zu wesentlichen Teilen darin, dass sich feine Gelegenheiten zum Sprücheklopfen ergeben. Wenn das Ereignis darüber hinaus mit Tradition und Anspruch verknüpft ist, potenziert das nicht nur die Neigung zum Frotzeln sondern auch die sportliche Herausforderung. Die Jedermann-Radrunde am Tag vor der Flandernrundfahrt in Belgien bietet die denkbar besten Voraussetzungen in allen Kategorien: Regen, Matsch, Kopfsteinpflaster, steile Anstiege und aufgekratzte Mitstreiter.

Die Rundfahrt, erstmals ausgetragen 1913, zählt zu den sogenannten Monumenten des Radsports, es ist eines der bekanntesten Eintagesrennen überhaupt. Hobbyfahrer dürfen am Tag vor dem Profirennen, das am ersten April-Wochenende stattfand, von Antwerpen aus 237 Kilometer und etwa 2000 Höhenmeter in Richtung Südwesten bis Oudenaarde fahren.

Zum Start in Antwerpen gegen 7.30 Uhr am Morgen beginnt es zu regnen. "Klassikerwetter", sagt einer der Mitfahrer und grinst. Ein Standardspruch. Immer wenn es im Frühjahr regnet und ein Rennrad involviert ist, steigt die Chance, dass jemand "Klassikerwetter" ruft. An diesem Tag handelt es sich um engagiertes Klassikerwetter, schon bei Kilometer 11,4 von 237 fließt das Wasser als Strom in Richtung Ferse oder Zehen, sobald die Füße in den Pedalen schräg gestellt werden. In großen Gruppen radeln die mehreren tausend Teilnehmer der Ausfahrt raus aus Antwerpen und weiter durch die Ebene im Norden Belgiens. Das Tempo ist zügig, aber im Rudel rollt es einfach leichter. Doch im Windschatten zu fahren bedeutet an diesem Tag, eine extra Dusche zu nehmen: Vom Hinterrad des Vorausfahrenden spritzen Wasser und Matsch ins Gesicht der Fahrer dahinter.

Nach einer halben Stunde knirscht es zwischen den Zähnen, der Sand und der Staub von der Straße haben es mit dem Spritzwasser in den Mund geschafft. "Belgische Zahnpasta", sagt einer der Mitfahrer. Noch ein Klassikerspruch und bei der zweiten Verpflegungspause folgt der nächste: Die Gesichter der Radfahrer sind vom Spritzwasser eingesaut und vom Schlamm verfärbt. "Belgisches Makeup", sagt einer. Das muss außer den Teilnehmern niemand lustig finden, doch beim Fahren und Labern macht das Spaß.

Zwischen Metallic-Blau und Diddl-Maus-Lila

Auch das Testfahrrad provoziert Sprüche der Mitfahrer. Insbesondere die auffällige Lackierung des Specialized Roubaix Pro Di2, die der Hersteller mit der Bezeichnung "Satin Gloss Chamäleon Black" versehen hat. Es handelt sich um ein sehr sattes Metallic-Blau, das sich in ein Diddl-Maus-haftes Lila verwandelt, sobald das Licht oder der Blick schräg auf den Rahmen fallen. Die Lackierung ist geil und geschmacklos zugleich und regt die Reisegruppenmitglieder zu vielfältigen Kommentaren an.

Die schwarze Aufbewahrungslösung für Mini-Werkzeug und Ersatzschlauch findet ebenfalls Beachtung. Die Staubox sitzt direkt über dem Tretlager, ist ein höchst praktisches Detail und löst weitere Nachfragen aus: Ob das Rad denn mit einem Elektromotor ausgestattet sei?

Die Dämpfung am Vorderrad macht die Strapazen erträglicher

Nein, natürlich nicht, doch dafür verfügt das Specialized Roubaix Pro Di2 - ungewöhnlich für ein Rennrad - über eine Dämpfung am Vorderrad. Das Federelement ist in den Vorbau integriert und lässt bis zu zwei Zentimeter Federweg am Lenker zu. Auch die Sattelstütze und die ungewöhnlich weit unten am Sattelrohr angebrachte Stützklemmung geben gut nach und schlucken Stöße weg. Das Rad ist für diese Fahrt außerdem mit 28 Millimeter breiten Reifen ausgerüstet - technische Details, die es fast zu einem Komfortrennrad machen.

Womöglich ein Vorteil, denn das Besondere an der Flandernrundfahrt sind die sogenannten Hellingen - Hügel, auf denen teilweise enorme Steigungen auf höchst ruppigem Kopfsteinpflaster gefahren werden. Am Koppenberg, dem berühmtesten dieser Hellinge, erreicht die Steigung einen Maximalwert von etwas mehr als 22 Prozent; an der Mauer von Geraardsbergen sind es knapp 20 Prozent - beides hart an der Grenze des Fahrbaren.

16 dieser Hellinge stehen auf der Hobbyfahrer-Runde an, da können die Mitfahrer die Spezialausstattung nicht unkommentiert lassen. Die Beteuerungen, dass das ruppige Kopfsteinpflaster trotzdem üble Schmerzen bereitet ("ja wirklich!"), überzeugt die anderen nicht. Wie viel schlimmer die Schmerzen bei einer Fahrt ohne die Komfortelemente wären, lässt sich nur erahnen. Immerhin ist es ein lindernder Gedanke, dass die Quälerei über die Kopfsteinhügel Ostflanderns andernfalls noch wesentlich schmerzhafter wäre.

Auf den letzten Kilometern versiegt die Lust auf Sprüche

Im belgischen Regen am Morgen feuern verblüffend viele Menschen die Hobbyradler an, Regenschirm in der einen Hand, Zigarette in der anderen. Auf den Hellingen reservieren sich Radsportfans schon die besten Plätze für das Profirennen am nächsten Tag. An den Straßen stehen Wohnmobile, davor sitzen Zuschauer in Trikots auf ausklappbaren Campingstühlen. Die Flandernrundfahrt ist in Belgien ein Großereignis, ein Volksfest und ein Grund, viel Bier zu trinken.

Im Laufe des langen Tages fordern die Hügel, die Kopfsteine und die Strecke so viel Kraft, dass die Lust auf dämliche Sprüche irgendwann versiegt. An den letzten steilen Bergen klettern Puls und Radler in die Höhe und das selig-debile Grinsen verbreitert sich, je greifbarer das Ziel wird. Die Freundesgruppe hat sich aus den Augen verloren, jeder fährt am Schluss für sich.

Irgendwann finde ich mich in einer Gruppe wieder, auf deren Trikots etwas von einem dreckigen Dutzend steht. Gut, dreckig sind die Flandern-Amateure jetzt alle, aber in diesen Trikots stecken sehr starke Athleten. Das Rudel von vielleicht 15 Fahrern wird von einem Radler angeführt, der beinahe die ganzen verbliebenen 15 Kilometer im Wind fährt und die Geschwindigkeit bei konstant über 45 km/h hält. Das kostet auch im Windschatten Kraft, macht aber irre Spaß.

"Der Koppenberg! So eine Drecksau!"

Bei diesem Tempo zeigt sich auch, dass das Roubaix kein verkappter Crosser, sondern ein wirkliches Rennrad ist, eines mit Scheibenbremsen, 50/34-Kompaktkurbel und Di2-Elektroschaltung. Wie auch im Wiegetritt trübt das Federelement das Rennradfahrgefühl nicht. Das Herz hämmert, die Beine strampeln, die Laune steigt. Höchstens das vergleichsweise hohe Gewicht von etwas mehr als acht Kilogramm und der enorm hohe Preis von 6499 Euro könnten die Stimmung trüben.

Im Zielbereich versammelt sich die Radlerreisegruppe wieder, aufgekratzte Freude hat die Anstrengung vertrieben und die Lust zu labern aufs Neue entfacht. Mit Fritten und Bier in der Hand wird Unsinn durcheinander geredet ("Der Koppenberg! So eine Drecksau, war der steil!") und überlegt: Wo findet das nächste Fahrradabenteuer statt? Welche kollektive Schwitzerei provoziert die nächsten hohlen Sprüche?

Hinweis der Redaktion: Das vorgestellte Produkt wurde der Redaktion vom Hersteller zu Testzwecken leihweise zur Verfügung gestellt.

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