Reifen: Neue EU-Vorschriften:Grün-schwarz auf dem Vormarsch

Die EU schreibt von Ende 2012 an ein Reifenlabel für Umwelteigenschaften und Nässeverhalten vor - die Hersteller reagieren unterschiedlich.

Joachim Becker

Von 2012 an zählt jedes Gramm CO2 pro Kilometer: Schrittweise müssen die Autohersteller durchschnittlich 130g/km über die gesamte Modellpalette hinweg erreichen. Noch liegen die deutschen Anbieter aber allesamt über 150g/km - obwohl sie schon an allen Ecken und Enden Sprit und damit Emissionen sparen. Viele Neuwagen verfügen bereits über relativ preiswerte CO2-Minderer wie steuerbare Nebenaggregate und ein Start-Stopp-System.

Auto

Gib Gummi: Ob Reifen den Verbrauch senken können und trotzdem gut haften, bezweifeln manche Experten.

Jetzt rücken auch grüne Reifen in den Fokus der Hersteller: So kostengünstig wie über den Rollwiderstand lässt sich der Kraftstoffverbrauch durch kaum eine andere Innovation senken. "Jede fünfte Tankfüllung geht beim Pkw zu Lasten des Rollwiderstands, beim Lkw ist es jede dritte Tankfüllung", verkündet der französische Reifenhersteller Michelin.

Was so plakativ wirkt, ist eine arge Verkürzung der physikalischen Tatsachen: Kein Reifen kann den Rollwiderstand auf null verringern und damit 20 Prozent Energieverlust vermeiden. Tatsächlich sinkt der Kraftstoffverbrauch lediglich um 1,6 Prozent, wenn der Rollwiderstandsbeiwert um zehn Prozent vermindert wird.

Es sind im Schnitt nicht einmal drei Gramm CO2, die energiesparende Reifen wirklich einsparen: Schmälere Reifen, die 0,5 bar härter aufgepumpt werden, bringen deutlich mehr für die Umwelt. Aber die dünnen Gummis sehen halt nicht so sportlich aus wie breite Schlappen. Außerdem schicken härtere Pneus kurze Schläge ins Rückgrat, wenn das Auto über schlechte Straßen rumpelt.

Die Kunden wollen ein sauberes Gewissen ohne Komfortverzicht - und genau das wird ihnen das neue EU-Reifenlabel demnächst liefern. Wer kauft heute noch einen Kühlschrank ohne eine A-Wertung beim Energieverbrauch?

Die beruhigende grüne Kennzeichnung wird künftig auch den Reifenmarkt umkrempeln: Die EU-Kommission schreibt von November 2012 an das neue Reifenlabel für Umwelteigenschaften und Nässeverhalten vor, das beim Reifenverkauf gut sichtbar angebracht werden muss.

Erfahrungen sind vorhanden

Vorausgegangen war der Entscheidung eine heftige Grundsatzdebatte der Reifenhersteller in Brüssel. "Wir begrüßen das EU-Reifenlabel ausdrücklich. Bedenkt man, wie die Diskussionen vor zwei Jahren begonnen haben, so sind wir heute froh darüber, dass die Europa-Politiker sich von dem grundlegenden Zielkonflikt in der Reifenentwicklung zwischen Sicherheit (Nassgriff) und Umwelteigenschaften (Rollwiderstand, Geräusch) haben überzeugen lassen", sagt Continental-Pressesprecher Alexander Lührs rückblickend.

Continental betont, dass Reifen keine Alleskönner seien: Die kürzesten Bremswege bei Nässe erzielten nach wie vor Reifen, die nicht speziell auf niedrigen Rollwiderstand gezüchtet sind.

Michelin hält dagegen. Glaubt man den Ausführungen des französischen Herstellers, muss eine Entweder-oder-Entscheidung gar nicht getroffen werden. Dank modernster Technologie sei vielmehr ein Sowohl-als-auch-Ansatz bei der Entwicklung von Reifen realisierbar.

Mehr noch: Dank umfangreicher Erfahrungen, der Entwicklung innovativer Materialien sowie ausgeklügelter Fertigungsprozesse gelinge es Michelin, auch in puncto Laufleistung voraus zu sein.

In Internetforen beklagen sich viele Nutzer tatsächlich über die schnelle Abnutzung von dynamisch positionierten Reifen. Aber das mag zum Teil auch der sportlichen Fahrweise geschuldet sein.

Die zahlreichen Reifentests von Fachzeitschriften und Verbraucherschützern zeigen jedenfalls ein differenziertes Bild: Das Nassbremsverhalten von Reifen mit geringerem Rollwiderstand ist nicht durchweg schlechter als das normaler Pneus.

Alles, was Energie spart, muss sein

Michelin hat seit 1992 bereits die vierte Generation kraftstoffsparender Reifen für Personenwagen und die dritte Generation für Lkw entwickelt. Deshalb setzten sich die Franzosen ab 2005 für ein EU-Reifenlabel ein, das nur die Umwelteigenschaften und nicht das Bremsvermögen ausweist.

Schon in den achtziger Jahren mischte Michelin erstmals Silica in die Reifen. Das Pulver aus dem Salz der Kieselsäure ersetzte teilweise den Industrieruß als Füllstoff. Dadurch wurde nicht nur die Verschleißfestigkeit, also die Laufleistung gesteigert, sondern auch die Energieaufnahme beim Rollen verringert: Kommt der Reifen mit der Straße in Kontakt, wird er vom Fahrzeuggewicht zusammengestaucht. Dieses sogenannte Walkverhalten ist maßgeblich für den Rollwiderstand verantwortlich. Reifen ohne den nötigen Fülldruck verbrauchen deshalb mehr Sprit.

Wie wird das Tauziehen zwischen Umweltschutz und Sicherheit ausgehen? Die Antwort ist einfach: In den nächsten Jahren müssen alle Reifenhersteller viel Geld in neue Gummimischungen investieren.

Rollwiderstand wird als Testkriterium in den Testberichten stärkere Aufmerksamkeit genießen - dabei dürfen sich die Reifen allerdings keine Schwächen beim Bremsvermögen leisten.

Die meisten Autohersteller werden ihre Neuwagen allein schon aus Gründen der CO2-Ersparnis ab Werk mit Energiesparreifen ausrüsten. Hinzu kommt der Imagegewinn durch ein EU-Reifenlabel mit der grünen Bestwertung: Alles, was Energie spart, liegt auf jeden Fall im Trend.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: