Änderung der StVO:Das bringen Scheuers neue Fahrradregeln

Der Verkehrsminister will Radlern mehr Rechte einräumen. Experten und Interessenverbände begrüßen das - überzeugt sind sie aber nicht. Die Änderungen im Check.

Von Felix Reek

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Radfahren in Bayern

Quelle: dpa

Verkehrsminister Andreas Scheuer entdeckt sein Herz für Fahrradfahrer. So ließe sich wohl am besten sein neues Regelwerk beschreiben, mit dem der CSU-Politiker im Sommer die Straßenverkehrsordnung zugunsten von Radlern ändern will. Er sei schließlich auch der "Fahrradminister" erklärte Scheuer, als müsse er sich selbst davon überzeugen. In den vergangenen Monaten war er immer wieder in die Kritik geraten, unter anderem wegen seines Umgangs mit dem Abgasskandal, der ablehnenden Haltung zu einem Tempolimit auf Autobahnen und seinen gerade vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgeschmetterten Maut-Plänen.

155 Millionen Euro will er 2019 für den Radverkehr bereitstellen und mit einem überarbeiteten Regelwerk das Fahrradfahren sicherer machen. Experten und Interessenverbände begrüßen diesen Schritt. Sehen aber auch noch Verbesserungspotenzial. Die Änderungen im Überblick.

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Halteverbot auf Schutzstreifen

Hebamme Franziska Fery

Quelle: dpa

Darum geht es: Bisher durfte auf Schutzstreifen zwar nicht geparkt werden, aber bis zu drei Minuten angehalten werden. Das behindert den Radverkehr. Das soll sich jetzt ändern. Wer zuwiderhandelt, muss ein Bußgeld zahlen. Die Höhe steht bisher noch nicht fest.

Das sagen die Experten: "Das ist schon längst überfällig", sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie. Über Jahrzehnte wurde das Auto als das Verkehrsmittel schlechthin gefördert. Das Ergebnis sei, so der Wissenschaftler, dass wir jetzt zu viele Fahrzeuge in den Städten haben und die rechtlichen Strukturen angepasst werden müssen.

Geht die Maßnahme weit genug? Nicht, wenn es nach dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) geht. Der Interessenverband fordert auch höhere Bußgelder für das Halten auf Radfahrstreifen und -wegen. Außerdem sieht er Aufklärungsbedarf. Viele Autofahrer wüssten nicht den Unterschied zwischen einem Schutzstreifen und einem Fahrradweg. Ersterer ist von der Fahrbahn durch eine gestrichelte Linie abgetrennt, kann, muss von Radlern aber nicht benutzt werden.

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Größerer Mindestabstand beim Überholen durch Kfz und Überholverbot an Engstellen

Straßenverkehr in der Fraunhoferstraße in München, 2019

Quelle: Robert Haas

Darum geht es: Immer wieder überholen Autofahrer zu knapp und gefährden so Radler. Ein Grund dafür ist die schwammige rechtliche Lage. In der Straßenverkehrsordnung (StVO) steht nur, der Abstand müsse "ausreichend" sein. Gerichtsurteile haben diesen in der Vergangenheit auf 1,5 bis zwei Meter definiert. Das will der Verkehrsminister jetzt in die StVO aufnehmen. An besonders gefährlichen Stellen soll das Überholen zudem verboten werden.

Das sagen die Experten: Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) begrüßt das. "Untersuchungen in Berlin zeigten, dass viele Pkw-Fahrer einen solchen Mindestabstand missachten: Bei 56 Prozent der aufgezeichneten Überholvorgänge wurde der Mindestsicherheitsabstand von 1,50 Meter unterschritten."

Geht die Maßnahme weit genug? Mobilitätsexperte Andreas Knie ist weniger gnädig. "Das ist wie immer eine Ad-hoc-Maßnahme des Ministers, wo er gute Ideen mit ein paar weniger guten zusammenmischt und das eigentliche Ziel aus den Augen verliert." Heißt: Damit Autos weit genug ausscheren können zum Überholen, brauchen sie Platz. In den überfüllten Städten ist das kaum möglich. Knies Forderung: "Wir brauchen eine Fahrspur nur für Radfahrer, Pedelecs und E-Scooter."

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Maximal elf km/h beim Rechtsabbiegen für Lkws

Lkw-Abbiegeassistenten im Test überwiegend gut

Quelle: ADAC/André Kirsch/obs

Darum geht es: Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen zwischen Lkws und Radfahrern bei Abbiegevorgängen. Erst kürzlich überrollte in München ein Müllwagen einen 43-Jährigen, der schwer verletzt wurde. Diese Unfälle sollen durch niedrigere Geschwindigkeiten vermieden werden.

Das sagen die Experten: VCD und ADFC sehen das nur als ersten Schritt und fordern ein noch geringeres Tempo. Sie empfehlen vier bis sieben km/h.

Geht die Maßnahme weit genug? "Die Reduzierung der Geschwindigkeit hilft vielleicht ein bisschen, geht aber am Kern des Problems vorbei", sagt Andreas Knie von der TU Berlin. "Wir brauchen eine bauliche Struktur wie in Dänemark und Holland, wo der Fahrradfahrer immer einen Vorsprung hat und der Lkw-Fahrer hinter ihm ist", erklärt der Wissenschaftler. Das eigentliche Problem sei, dass sich die Radfahrer an Ampeln im toten Winkel der Laster befinden. Stehen sie einige Meter vor den Lkw, können sie besser gesehen werden. Eine weitere Lösung sind Abbiege-Assistenten, die bei Gefahr warnen. Ab 2024 sind sie EU-weit Pflicht - aber nur bei neu zugelassenen Lkws. VCD und Andreas Knie sind sich einig: Das ist zu wenig. Alle Lkws müssen nachgerüstet werden.

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Grüner Pfeil für Radfahrer

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Quelle: Robert Haas

Darum geht es: Der Grünpfeil (Zeichen 720), der ein vorsichtiges Abbiegen auch bei roter Ampel erlaubt, gilt für Fahrradfahrer schon lange. Zusätzlich will Verkehrsminister Scheuer einen grünen Pfeil, der nur für Radler gilt, einführen.

Das sagen die Experten: VCD und ADFC begrüßen den Schritt. In den Niederlanden, Dänemark und Frankreich wird dies schon erfolgreich praktiziert.

Geht die Maßnahme weit genug? Ja - beide Verbände erhoffen sich dadurch eine Verbesserung des Verkehrsflusses.

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Einführung von Fahrradzonen

Feature Leben und Architektur in Schwabing Fahrradstraße Schwabing ist eines der beliebtesten Vier

Quelle: imago images / Alexander Pohl

Darum geht es: Wenn in einem ganzen Gebiet der Radverkehr das vorherrschende Verkehrsmittel ist, kann es zu einer Fahrradzone erklärt werden, die auf die Bedürfnisse der Radler ausgerichtet ist. Es handelt sich im Prinzip um ein Netz aus Fahrradstraßen.

Das sagen die Experten: Das klingt in der Theorie gut. Im bisherigen Entwurf des Verkehrsministeriums ist aber keine Änderung der rechtlichen Lage für die Einrichtung einer Fahrradstraße vorgesehen.

Geht die Maßnahme weit genug? "Kommunen, die eine Fahrradstraße einrichten möchten, müssen bislang umständlich nachweisen, dass an diesen Stellen der Radverkehr das vorherrschende Verkehrsmittel ist", so der VCD. Das muss sich ändern - in dieser Hinsicht stimmen VCD, ADFC und Andreas Knie überein.

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Radfahrer dürfen nebeneinander fahren

Fahrradtour entlang der ehemaligen Grenze

Quelle: dpa

Darum geht es: Die Situation kennen viele Radfahrer: Fahren sie nebeneinander, hupen sie Autofahrer an oder drängeln, damit sie Platz machen. Bisher mussten sie deswegen bis auf Ausnahmesituationen hintereinander fahren. Das soll sich ändern - sofern es der Verkehr zulässt.

Das sagen die Experten: "Das machen Fahrradfahrer schon immer. Das ist faktisch längst realisiert", sagt Andreas Knie. Jetzt wird dies auch rechtlich festgehalten.

Geht die Maßnahme weit genug? Jein. VCD und ADFC geben zu bedenken, dass die neue Regelung nur etwas nützt, wenn die Autofahrer sie auch kennen und anwenden. Hier gilt es Aufklärungsarbeit zu leisten.

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Parkverbot auf fünf Metern bis zur Kreuzung bei Straßen mit Fahrradwegen

Radfahrer

Quelle: dpa

Darum geht es: Die Sichtbarkeit von Radfahrern ist eines der Hauptprobleme, wenn es um Unfälle im Straßenverkehr geht. Diese Maßnahme soll dem entgegenwirken. Bis zu fünf Meter von der Kreuzung entfernt dürfen mit der neuen Regelung Fahrzeuge nicht mehr parken.

Das sagen die Experten: "Das ist essentiell wichtig, um gefährliche Abbiegeunfälle zu vermeiden", so der VCD.

Geht die Maßnahme weit genug? Nicht wenn es nach den Interessenverbänden VCD und ADFC geht. Das Parken vor einer Kreuzung ist bereits jetzt bis zu fünf Meter, gemessen von dem verlängerten Schnittpunkt der Bordsteinkanten, verboten. VCD und ADFC fordern zehn Meter Abstand wie in den Niederlanden.

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Parkplätze für Lastenräder

Lastenrad

Quelle: Süddeutsche.de

Darum geht es: Lastenräder gehören in Großstädten mittlerweile zum alltäglichen Straßenbild. Familien befördern damit ihre Kinder, Unternehmen transportieren Waren. Abstellplätze für die großen Fahrräder gibt es kaum. Verkehrsminister Scheuer will das ändern und die Parkplätze mit einem Piktogramm ausweisen.

Das sagen die Experten: "Ein guter Schritt. Auch für die zunehmende Zahl von Spezialrädern braucht es genügend große, sichere Abstellplätze", sagt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club.

Geht die Maßnahme weit genug? In Scheuers Entwurf findet sich allerdings nicht, wo diese neuen Abstellplätze geschaffen werden sollen. Der Verkehrsminister scheut sich bekanntermaßen, den Raum von Autofahrern zu beschneiden. Für den Mobilitätsexperten Andreas Knie ist die Antwort darauf einfach: "Wir müssen an die Fahrbahn ran. Und wenn man sich nicht auf die Fahrbahn einigen kann, gibt es noch eine wunderbare Menge an Platz, die bisher vollgestellt ist: der Parkraum der Autos."

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Ein eigenes Verkehrszeichen für Radschnellwege

Erster Radschnellweg in Hessen

Quelle: dpa

Darum geht es: Radschnellwege gelten als Alternative für Pendler, die auf ihr Auto verzichten wollen. Durch eine bessere Beschilderung sollen sie attraktiver werden.

Das sagen die Experten: "Ein überfälliger Schritt", so der ADFC. Der VCD sieht Radschnellwege als Mittel, um Staus zu vermeiden und die Schadstoff-Emissionen zu verringern.

Geht die Maßnahme weit genug? Nicht ganz so gnädig ist der Professor an der TU Berlin, Andreas Knie: "Das ist reine Symbolpolitik", sagt er. Statt sich um eine neue Beschilderung zu kümmern, solle das Verkehrsministerium lieber die angekündigten Radschnellwege umsetzen.

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Öffnung von Einbahnstraßen in die Gegenrichtung für Radfahrer

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Quelle: Stephan Rumpf

Darum geht es: Radler dürfen in Einbahnstraßen auch gegen die Fahrtrichtung fahren - so zumindest der weitverbreitete Glaube. Das stimmt allerdings nicht. Dies gilt bisher nur für Einbahnstraßen, an denen ein Schild dies ausdrücklich erlaubt. Kommunen soll die Freigabe in Zukunft rechtlich erleichtert werden.

Das sagen die Experten: "Ein kleiner, aber richtiger Schritt, der aber erst 2020 mit der neuen Verwaltungsvorschrift zur StVO kommen soll", so der ADFC.

Gehen die Maßnahmen weit genug? Mobilitätsforscher Andreas Knie ist von den Plänen des BMVI nicht überzeugt. "Unterm Strich sind das Dinge, die längst vollzogen worden oder rein symbolischer Natur sind. Jedenfalls nützen sie in der Summe nichts und sind kein Zeichen, dass der Bundesverkehrsminister dem Rad mehr Raum und Bedeutung einräumen möchte."

© SZ.de/cku
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