Raketenauto auf Rekordjagd:Schall und Rauch

Seit mehr als 100 Jahren kämpfen die schnellsten Männer der Welt um Rekorde - bald ist es wieder so weit.

Stephan Bernhard

Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel, als Ed Shadle hoch konzentriert die Piste in der El Mirage Wüste in Kalifornien abgeht. Nichts darf dem 67-jährigen Amerikaner auf dem harten, ausgetrockneten Boden entgehen - kein Tierkadaver, kein Holzstück, nicht der kleinste Stein. Jedes Mal, bevor Shadle in sein leuchtend rotes Raketenauto North American Eagle steigt, ist dieser Kontrollgang Pflicht, denn: Schon ein kleines Teilchen, das von dem Triebwerk angesaugt wird, reicht, um die Maschine schwer zu beschädigen. "Wird schon gehen", urteilt Shadle nach seinem Kontrollgang - ein Fehler, wie sich wenig später zeigen wird.

Raketenauto auf Rekordjagd: Verwegener Plan: Mit dem Raketenauto North American Eagle will Ed Shadle den elf Jahre alten Geschwindigkeitsrekord brechen - dazu muss er schneller als 1227 km/h fahren.

Verwegener Plan: Mit dem Raketenauto North American Eagle will Ed Shadle den elf Jahre alten Geschwindigkeitsrekord brechen - dazu muss er schneller als 1227 km/h fahren.

Shadle hat den Traum, schneller zu fahren als je ein Mensch zuvor; seit mehr als zwölf Jahren opfert der ehemalige Computertechniker dafür jede freie Minute. Und es ist ein großes Ziel, denn: Momentan liegt der Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge bei 1227 km/h, also jenseits der Schallmauer. Natürlich weiß der amerikanische Autonarr, dass er sein Leben riskiert, wenn er das 42 500 PS starke Turbojet-Triebwerk zündet. Trotzdem steigt Shadle in den Raketenwagen; er kann sich dem Rausch dieser Tempojagd nicht entziehen, so wie etliche andere Autofreaks vor ihm. Denn die Jagd nach immer neuen Geschwindigkeitsrekorden begann schon vor mehr als 100 Jahren: mit einem Duell zweier Elektroautos.

Den Anfang machte der Franzose Gaston de Chasseloup-Laubat, als er am 18. Dezember 1898 seinen stark einer pferdelosen Kutsche ähnelnden Wagen mit etwas mehr als 63 km/h über eine Messstrecke bei Paris trieb. Aber kaum stand diese Rekordmarke, konnte der Belgier Camille Jenatzy nicht mehr ruhig schlafen, bis ihm der Ruhm gebührte, der Schnellste zu sein.

So stifteten sich die beiden zu immer neuen Rekordfahrten an und durchbrachen innerhalb weniger Monate die damals magische Grenze von 100 Kilometer pro Stunde. Allerdings erst, nachdem sie ihre mit schweren Batterieblöcken beladenen Elektrowagen mit schlanken, zigarrenförmigen Karosserien aerodynamisch verfeinert hatten. Am Ende hatte der Belgier mit 105 Kilometer pro Stunde die Nase vorn und es sollte noch Jahre dauern, bis das erste Benzinfahrzeug schneller fuhr.

Schall und Rauch

Genau wie die Pioniere damals in Frankreich betritt Shadle auch heute Neuland. Er weiß nicht, wo die Grenze liegt; er glaubt nur, dass sie noch nicht erreicht ist. Allerdings reichen inzwischen ein paar Monate Vorbereitung für einen neuen Rekord nicht mehr aus. Vor wenigen Wochen standen jetzt die letzten Testfahrten auf dem Programm. Höchsttemppo etwa 600 km/h, weit weg noch von der Schallmauer. Die Crew will dabei sehen, ob der Bremsfallschirm richtig funktioniert und wie sich die brandneuen, aus einem Aluminiumblock gefrästen Räder verhalten; kein Gummireifen der Welt ist für Fahrten im Überschallbereich ausgelegt.

Zuerst geht alles gut, der 17 Meter lange North American Eagle beginnt zu rollen, als Shadle etwas Schub gibt. Der durchdringende Lärm des Düsentriebwerks unterstreicht den Eindruck, einen Kampfjet ohne Flügel vor sich zu haben. Tatsächlich stammt die Karosserie von einem Starfighter, der ausgemustert auf einem Schrottplatz lag. Immer schneller rast der Eagle jetzt durch die Wüste, während die Staubwolke hinter dem Heck gewaltige Ausmaße annimmt - dann trifft das Vorderrad auf tiefe Reifenspuren im ausgetrockneten Boden, die von Geländewagen stammen.

Die Schläge sind härter als erwartet, Shadles Arme und Beine fliegen unkontrolliert durch das Cockpit, nur der Gurt hält ihn noch auf dem Sitz. "Wenn ich jetzt die Kontrolle verliere, geht das böse aus", schießt ihm durch den Kopf. Ein Crash wäre schlecht, zu offensichtlich wäre das Risiko, dem sich der Rekordjäger aussetzt. Sponsoren könnten sich aus Angst zurückziehen, ihren Namen auf einem Wrack zu sehen.

In den sechziger Jahren war das ganz anders, damals galten die Rekordjäger noch als echte Helden. Deshalb machte es Craig Breedlove auch nichts aus, als er im Herbst 1964 einen der spektakulärsten Totalschäden der Automobilgeschichte produzierte - für den Tempo-Freak eher Ansporn denn Dämpfer. Schon ein Jahr später kam Breedlove mit einem neuen Rekordwagen zurück. "800 km/h oder mehr", wollte er damals mit Spirit of America erreichen; längst hatten die Piloten ihre Tempojagd in die Salzwüsten verlegt, weil Straßen oder Strände nicht mehr genug Platz und damit Sicherheit boten.

Schall und Rauch

Außerdem hatten sie bei etwa 630 km/h die Grenzen der Benzinmotoren erreicht und deshalb auf Düsentriebwerke umgerüstet. Zuerst klappte an Bord von Spirit of America alles wie am Schnürchen - doch dann rissen beide Bremsfallschirme ab, die Bremsscheiben verglühten und Craig Breedlove raste mit seinem Raketenwagen bar jeder Kontrolle über die Salzebene. Das erste Hindernis, ein Telegrafenmast, wurde glatt umgesäbelt, dann hob Spirit of America wegen einer Bodenwelle ab und landete in einem Salzwassertümpel.

Breedlove gelang es, aus dem Cockpit zu entkommen, bevor der Wagen in der zähen Brühe versank. Aber: Sein Rekord mit 846 km/h war gültig, wenn auch nur für zehn Tage, bis er wieder überboten wurde. Denn in den sechziger Jahren war der Geschwindigkeitsrekord hart umkämpft, wobei Firmen wie Shell oder Goodyear die rasenden Männer unterstützten. Jeden Herbst, wenn der Salzboden trocken und hart war, konnten die Piloten so neue Höchstgeschwindigkeiten erzielen und den Rekord innerhalb weniger Jahre von 655 Kilometer pro Stunde auf 966 km/h hochschrauben.

Sollte Shadle den North American Eagle zerstören, ist sein Traum wohl ausgeträumt, niemand würde einen neuen Wagen finanzieren. Aber bei der Testfahrt Ende Juni behielt der Amerikaner die Nerven und brachte das Raketenauto nach der holprigen Fahrt zum Stehen.

Am nächsten Tag gab es dann neue Probleme: Der Bremsfallschirm öffnete sich nicht, aber die Magnetbremsen, die kontaktlos arbeiten, konnten den fast sechs Tonnen schweren Wagen noch 100 Meter vor dem Ende der Auslaufzone stoppen. Mit immerhin 640 km/h erreichte Shadle während der dreitägigen Testsession zwar eine neue Höchstgeschwindigkeit, es ist aber noch viel zu tun. "Wir wollen den Everest besteigen und sind gerade erst im Basiscamp angekommen", mahnt der Pilot seine Crew immer wieder.

Schall und Rauch

So ist das Ziel, den britische Royal-Air-Force-Piloten Andy Green zu übertreffen, momentan weit entfernt. Denn Green raste am 15. Oktober 1997 mit 1227 km/h durch die Black-Rock-Wüste in Nevada. Damals stellte er den derzeit gültigen Rekord auf. Das schwarz lackierte Überschallauto Thrust SSC erinnerte mit seinen zwei großen Jetturbinen zwar an ein rollendes Fernglas, hatte aber mehr Leistung als 145 Formel-1-Wagen zusammen. "Die Kunst bestand darin, diese unbändige Kraft zu zähmen", erinnert sich der damalige Mitentwickler und als Aerodynamikgenie bekannte Ron Ayers.

Es war ein Ritt auf der Rasierklinge. "Hätte sich die Nase des Wagens nur ein halbes Grad gehoben, wäre das Fahrzeug aufgestiegen. Ein halbes Grad nach unten, und der Thrust SSC hätte sich in den Wüstenboden gebohrt", erklärt Ayers die aerodynamischen Risiken. Aber nicht nur die Technik, besonders der Fahrer war gefordert. "Dauernd drehten die Räder durch und der Wagen fing an wegzudriften", erinnert sich Andy Green, der noch immer schnellste Mann der Welt. "Man ist immer kurz davor, die Kontrolle zu verlieren."

Bis Shadle mit seinem North American Eagle die Rekordmarke des Briten angreifen kann, wird noch einige Zeit vergehen - "frühestens nächstes Jahr", meint er. Vielleicht übergibt Shadle dann auch das Steuer. Denn wegen des ständigen Mangels an Geld und Sponsoren überlegt er, medienwirksam auf die Suche nach einem neuen Fahrer zu gehen. Viel Zeit aber hat er nicht mehr, denn am anderen Ende der Welt entwickelt der Australier Rosco McGlashan ebenfalls ein Überschallfahrzeug. Sein ehrgeiziges Ziel: 1600 km/h.

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