Radschnellweg RS1:Deutschlands erster Fahrrad-Highway kommt gut an

  • Seit fast fünf Monaten ist der erste deutsche Radschnellweg freigegeben - zumindest auf einem wenige Kilometer langen Teilstück.
  • Die Strecke im Ruhrgebiet wird bereits rege genutzt. Erste Untersuchungen zeigen, dass sich der Verkehr vom Auto auf das Fahrrad verlagert.
  • Doch noch hat die Strecke viele Schwächen - und ähnliche Projekte in anderen Städten lassen auf sich warten.

Von Steve Przybilla

Bei schönem Wetter geht es auf dem RS1 schon zu wie auf der richtigen Autobahn. Es gibt Raser, die mit Karacho am Vordermann vorbeiziehen. Es gibt Schleicher, die nur in der Mitte kriechen. Und natürlich gibt es die, denen immer was nicht passt.

RS1 steht für Radschnellweg. Und für eine Vision. Was wäre, wenn Pendeln mit dem Rad genauso schnell und sicher wäre wie mit dem Pkw? Und genauso sicher. Ohne Kreuzungen, Ampeln und störenden Autoverkehr soll sich der RS1 quer durchs Ruhrgebiet schlängeln. Knapp 102 Kilometer soll der Premium-Radweg lang werden, eine Verkehrsader von Duisburg bis Hamm. Dass es auf dem RS1 manchmal heute schon eng wird, werten die Planer als gutes Omen. Bis zu 50 000 Autos könnte man pro Tag von der Straße holen, prognostiziert eine vom Land in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie.

Noch aber existiert der Fahrrad-Highway vornehmlich auf dem Papier. Fertiggestellt ist ein zehn Kilometer langer Abschnitt zwischen Mülheim an der Ruhr und Essen. Die Hälfte dieser Strecke erfüllt bereits heute den Radschnellweg-Standard (vier Meter Radweg, zwei Meter Fußweg). Sie dient zugleich als Aushängeschild für den kompletten RS1, der bis zu 2020 umgesetzt werden soll.

"Die Beschilderung taugt nichts"

Jörg Brinkmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) kennt die Strecke schon in- und auswendig. "Der Radschnellweg ist eine tolle Sache", sagt Brinkmann, "aber die Beschilderung taugt nichts." Was er meint, wird schon an der ersten Abzweigung auf dem RS1 klar. Zwar wurden in regelmäßigen Abständen Schilder aufgestellt, die die verbleibende Fahrtzeit bis Essen anzeigen. Aber wohin die Abfahrt nun führt? "Keine Ahnung", sagt Brinkmann. "Da bräuchte man schon eine Karte." Auch sonst fallen dem Profi allerlei Kleinigkeiten auf: Bislang gibt es keinen Mittelstreifen. Neben den Ruhebänken fehlen Mülleimer. "Und nachts ist es hier zappenduster", sagt Brinkmann. Die Beleuchtung soll erst in den kommenden Monaten installiert werden.

Dafür geht es auf der vier Meter breiten Fahrbahn wirklich angenehm voran: keine Schlaglöcher, keine steilen Berge, kein gefährlicher Autoverkehr. Hinter einem hohen Zaun rauschen links die S-Bahnen vorbei; auf der rechten Seite blickt man in Hinterhöfe. Chick ist das alles nicht, eher funktional. "Es geht eben darum, möglichst schnell, zeitgemäß und CO₂-arm von A nach B zu kommen", fasst der Essener Stadtdirektor Hans-Jürgen Best das Konzept zusammen.

Laut Machbarkeitsstudie leben mehr als 430 000 Erwerbstätige und 150 000 Studierende im Einzugsbereich der Trasse. Natürlich weiß niemand, wie viele von ihnen am Ende wirklich das Lenkrad mit dem Sattel tauschen werden. Eine zweiwöchige Verkehrsbeobachtung der Stadt Essen lässt jedoch Gutes erahnen: Demnach kamen an einem Werktag im Schnitt mehr als 1000 Fahrräder an der Zählstelle vorbei - und das in einer Stadt, der 1992 noch der ADFC-Negativpreis "Rostige Speiche" verliehen wurde. Eine weitere Erkenntnis der Fahrradzählung: Zwischen 7 und 9 Uhr sowie zwischen 16 und 18 Uhr waren mit Abstand die meisten Radler auf der Strecke unterwegs, typische Berufspendler also.

Nach nur fünf Kilometern kommt eine Schotterpiste

Das einzige Problem: Weit kommen die Pedalisten bisher nicht. Nach nur fünf Kilometern verengt sich die Spur auf drei Meter. Zu den Fahrrädern gesellen sich plötzlich Inline-Skater und eine ältere Dame mit Rollator. Auch die komfortable Asphaltierung ist nun passé; stattdessen ruckeln die Speichen über eine Schotterpiste. Kurz vor der Essener Innenstadt muss zudem eine vierspurige Hauptstraße überquert werden. Immerhin: Die Ampeln verfügen über gelbe Haltegriffe für Radler.

Schon bald werden all diese Unannehmlichkeiten ein Ende haben, verspricht Martin Tönnes, Grünen-Politiker und Bereichsleiter beim Regionalverband Ruhr (RVR). Der RVR ist für die Umsetzung des ambitionierten Bauprojekts zuständig. Das Ziel: Bis 2020 soll der 180 Millionen Euro teure Fahrrad-Highway fertiggestellt sein.

Göttingen und Kopenhagen machen es vor

Noch aber gibt es einige entscheidende Hürden. Zum Beispiel das Gesetz, das den Fahrrad-Highway als "Landesradweg" klassifizieren und somit durch Landesmittel finanzieren würde. Es existiert schlicht noch nicht, soll aber vor der Sommerpause beschlossen werden. Auch aus Berlin ist keine Förderung zu erwarten. Der RS1 hat es nicht in den Bundesverkehrswegeplan geschafft. Stattdessen plant Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eine Veränderung der Straßenverkehrsordnung, wonach E-Bikes künftig auch auf Radwegen fahren dürfen. Zumindest dann, wenn ein Schild mit der Aufschrift "E-Bikes frei" aufgestellt wurde.

Heinrich Strößenreuther hält sich mit solchen Kleinigkeiten nicht lange auf. Der Leiter der Initiative "Clevere Städte" kämpft seit Monaten für ein neues Radverkehrsgesetz in Berlin, über das 2017 in einem Volksentscheid abgestimmt werden soll. Eine der Forderungen lautet, mehrere Radschnellwege mit einer Gesamtlänge von 100 Kilometern zu bauen, genau wie im Ruhrgebiet. Christian Wagener, Fahrradbeauftragter der Stadt Essen, ist optimistisch: "Göttingen, Kopenhagen und all die anderen Fahrradstädte zeigen doch, dass Radschnellwege funktionieren."

Wo die Infrastruktur stimmt, steigt der Radverkehrsanteil

Das Potenzial dafür scheint jedenfalls vorhanden. Während in Kopenhagen fast die Hälfte aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt wird, sind es in Deutschland durchschnittlich 12,9 Prozent. Die TU Dresden hat eine Verkehrserhebung aus dem Jahr 2013 noch einmal ausgewertet und auf einzelne Städte heruntergebrochen. Demnach kommt beispielsweise Bremen auf einen Radverkehrsanteil von 23 Prozent, während im sächsischen Plauen nur 1,8 Prozent der Wege per Rad zurückgelegt werden. Die Werte innerhalb Deutschlands schwanken dabei erheblich. Klar scheint nur, dass dort, wo in die Infrastruktur investiert wird, die Werte dramatisch steigen. So kommt Greifswald auf einen Radverkehrsanteil von 44 Prozent und bezeichnet sich seitdem als deutsche Fahrradhauptstadt.

Und im Ruhrgebiet? Hier endet der Fahrrad-Highway mitten in einem Neubaugebiet. Neben der Strecke schimmert ein künstlicher See, an dessen Ufer sich Studenten und Anwohner sonnen. Die Brücke, die beide Ufer verbindet, bezeichnet ADFC-Mann Brinkmann als "Nadelöhr par excellence". An schönen Tagen kämen sich Fußgänger und Radfahrer dort in die Quere.

Da ist es schon fast beruhigend, dass es selbst in der Bike-City Kopenhagen manchmal eng wird: Als im Hafenviertel der neueste Radweg eröffnet wurde, schimpften die Pendler über eine Gruppe von Jugendlichen. Die hatte die Radler-Brücke wiederholt auf eigene Weise genutzt - als Sprungbrett ins Wasser.

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