Süddeutsche Zeitung

Radfahren in Tel Aviv:Mit E rollt es leichter

Weil es in Tel Aviv keine U- oder S-Bahnen gibt, steigen viele Einwohner aufs Elektrofahrrad - und versuchen so, dem Stau zu entgehen. Doch das bringt nun neue Probleme mit sich.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Dieser Blick ist kaum zu toppen: Wenn man den Hafen und die Altstadt von Jaffa hinter sich lässt, breitet sich der Sandstrand und dahinter die Skyline von Tel Aviv aus. Da fällt es kaum auf, dass es leicht bergauf geht. Es ist auch nur eine kleine Steigung, die man mit einem Elektrofahrrad (noch) leichter bewältigt. Vor allem, wenn es dampfend heiß ist. Die Hitzeperioden können sich von Mai bis Oktober erstrecken, wochenlang kühlt es auch in den Nächten nicht ab.

Tel Aviv hat zwar nicht so viele Hügel und damit Steigungen wie Jerusalem, aber ganz flach ist das Gelände nicht. Gepaart mit der Schwüle wird das Radfahren rasch zum schweißtreibenden Unterfangen. Deshalb steigen viele auf Elektroräder und E-Scooter um. In Israel sind laut Verkehrsministerium etwa 250 000 E-Bikes unterwegs - das ist angeblich die weltweit höchste Zahl pro Einwohner. Sie stehen ganz selbstverständlich vor Restaurants, Bars und Büros, viele Radfahrer flanieren mit den entnehmbaren Akkus durch die Straßen oder nehmen sie mit an den Strand.

Der Fahrrad-Boom hat aber auch negative Auswirkungen auf andere Verkehrsteilnehmer, vor allem auf Autofahrer und Fußgänger: Insbesondere in den Stoßzeiten, wenn Fahrzeuge mit vier Rädern kaum vorwärts kommen und im Stau stehen, flitzen die E-Biker recht ungestüm vorbei. Sie können von rechts und von links kommen, mit Geschwindigkeiten bis zu 40 Stundenkilometer. Viele nutzen auch Gehwege mit ihren Elektrobikes und -rollern, wo dann aufgeschreckte Passanten zur Seite springen.

Auf den Rädern fahren auch schon mal Tiere mit

Bisher gab es nur wenige Regeln, die vorschreiben, wie man sich mit diesen Gefährten im Straßenverkehr zu verhalten hat. Zumal die Räder nicht nur für die Fortbewegung eines Menschen genutzt werden. Häufig kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus, wer oder was da alles Platz findet: Neben zwei Kindern noch allerlei Gepäck und ein Hund.

Das soll sich unter dem Eindruck der steigenden Zahl von Verkehrstoten nun ändern. In den ersten neun Monaten 2018 verunglückten bereits 18 Menschen auf E-Bikes oder E-Scootern. Das ist ein massiver Anstieg im Vergleich zu den beiden Vorjahren, da waren es jeweils zehn auf das gesamte Jahr gerechnet. Ein Hauptgrund ist, dass immer mehr batteriebetriebene Fahrräder und Roller unterwegs sind. Die größeren Geschäfte in Tel Aviv nennen Verkaufszahlen von tausend Stück pro Monat.

Die Regierung hat daher Anfang Dezember beschlossen, dass vom 1. Januar für die Nutzung von E-Bikes ein Autoführerschein notwendig ist. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit, eine Prüfung für die neu eingeführte Klasse A3 zu absolvieren, die sich aus einem aus 30 Fragen bestehenden Theorietest zusammensetzt. Zu dieser Prüfung dürfen alle antreten, die älter als fünfzehneinhalb Jahre sind. Bisher hätten unter 16-Jährige kein E-Bike nutzen dürfen. Allerdings wurde diese Vorschrift von der Polizei bisher nur lax gehandhabt, was sich nun ändern soll. Seit kurzem können Räder in dieser Altersgruppe sogar beschlagnahmt werden.

Dass der Fahrradboom in den vergangenen Jahren so stark zugenommen hat, daran hat die Stadtverwaltung von Tel Aviv großen Anteil. 2011 startete sie den Fahrradverleiher Tel-O-Fun. Inzwischen gibt es ein Netz aus 200 Verleihstationen, keine ist weiter als 500 Meter von der nächsten entfernt. Hier kann sich jeder, auch Touristen, eines der grünen, robusten Drei-Gang-Fahrräder leihen. 2000 Leihräder stellt die Stadt zur Verfügung. Das System, das mit Hilfe der Deutschen Bahn eingeführt wurde, ist simpel, notwendig ist nur eine Kreditkarte. Und Muskelkraft, denn E-Bikes bietet die Stadtverwaltung nicht an.

Seit August kann man auch E-Scooter mieten

Es gibt auch private Bike-Sharing-Anbieter wie das chinesische Unternehmen Mobike, das sein Angebot in Tel Aviv und in Ramat Aviv im Oktober 2018 noch einmal ausgebaut hat. Die Mobike-App hat nach eigenen Angaben etwa 45 000 registrierte Nutzer, welche die Fahrräder insgesamt mehr als zehntausend Mal pro Monat nutzen. Im August hat auch Bird in Tel Aviv abgehoben, nach Paris der zweite Standort des Sharing-Anbieters für Kleinelektroroller außerhalb der USA.

Die Stadtverwaltung hat sich in den vergangenen Jahren auch redlich bemüht, die Fahrradwege auszubauen. So können etwa entlang des Rothschild-Boulevards Radfahrer eine eigene Spur benutzen und im Vorbeifahren die Häuser im Bauhaus-Stil links und rechts bewundern. An der schönsten Fahrradstrecke - etwa zehn Kilometer den Strand entlang - gibt es abschnittsweise eigene Wege, aber meistens muss man sich mit den Fußgängern auf der breiten Promenade arrangieren.

Eine Länge von insgesamt 110 Kilometern machen die Fahrradwege inzwischen im gesamten Großraum Tel Aviv aus. Das Problem allerdings ist, dass es kein durchgehendes Netz gibt, sondern eher ein Flickwerk besteht - abhängig von den Gegebenheiten. Immerhin mehr als 16 Prozent der Verkehrsteilnehmer in Tel Aviv nutzen das Fahrrad, um zur Arbeit oder in die Schule zu kommen. Das ist ein beachtlicher Anstieg von mehr als fünf Prozentpunkten binnen zwei Jahren.

Nadav Levy, Berater für Verkehrsprojekte, sieht diese Entwicklung indes positiv: "Vor allem die Elektrofahrräder haben dazu geführt, dass Menschen ihr Auto stehenlassen, wenn sie sich innerhalb der Stadt fortbewegen." Weil der Großraum Tel Aviv mit seinen insgesamt etwa 1,3 Millionen Einwohnern keine U- oder S-Bahn hat und nur Busse als öffentliche Transportmittel im Einsatz sind, spielt sich der gesamte Verkehr auf den Straßen ab.

Am frühen Freitagnachmittag wird es aber jede Woche ruhiger, je näher der Beginn des Schabbat rückt - denn dann stellen die öffentlichen Verkehrsmittel bis zum Sonnenuntergang am Samstag ihren Betrieb ein. Viele steigen nur an diesem einen Tag in der Woche aufs Rad, andere machen das nur einmal im Jahr: am Jom-Kippur-Tag. Am höchsten Feiertag des Jahres, dem Versöhnungsfest, lassen selbst die säkularen Tel Aviver ihr Auto stehen. Die leer gefegten Straßen gehören dann nur den Radlern und Rollern. Dieser Blick vom Fahrrad aus von der Stadtautobahn Ayalon auf die Hochhäuser-Skyline ist dann echt nicht mehr zu toppen.

In dieser Serie beleuchtet die SZ in loser Folge die Situation des Radverkehrs in den großen Städten. Zuletzt erschienen: Wien (29.9.), London (6.10.), Peking (20.10.), Paris (10.11.), Singapur (17.11.). Alle Folgen unter www.sueddeutsche.de/stadtradler

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Quelle:
SZ vom 15.12.2018/cku
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