Radfahren in Singapur:Auf Kollisionskurs mit Fußgängern und Kleinrollern

Fehlende Spuren und unberechenbares Wetter: Noch ist Singapur alles andere als ein Paradies für Radfahrer. Das soll sich ändern - aber erst bis 2030.

Von Arne Perras, Singapur

Immer geradeaus, die Bukit Timah Road entlang, von Ost nach West über die Insel, das kann nicht so schwierig sein. Und das eben erworbene Second-Hand-Fahrrad muss doch ausprobiert werden. So stürzt man sich also am Morgen in den Verkehr, startet vom Grundstück des Verkäufers geradewegs nach Hause.

Eine Testfahrt bei 88 Prozent Luftfeuchtigkeit, das Thermometer zeigt 32 Grad Celsius. Es ist eine schweißtreibende Angelegenheit, das Leben am Äquator, wo es noch dazu jederzeit losschütten, blitzen und krachen kann. Aber dafür kommt die Pumpe in Gang, was gut ist für alle, die sonst unter der Klimaanlage in einen Computerschirm starren und gegen chronische Genickstarre kämpfen.

Fahrradwege gibt es nicht, dafür rasende Laster und Busse

Die Strecke ist mehrspurig und bestens ausgebaut - für Autos. Einen Fahrradweg gibt es auf der Achse nicht, und so wird die Fahrt, wohlwollend betrachtet, zu einem kühnen Abenteuer. Man könnte auch sagen: Wer sich in Singapur mit dem Rad auf eine Hauptverkehrsader begibt, braucht schon einen guten Schutzengel. Laster und Busse rasen so knapp an einem vorbei, dass der Luftzug fast den Helm vom Kopf reißt. Nach 500 Metern reicht es dann aber. Doch besser absteigen und die restlichen zwei Kilometer schieben.

Das war's dann erst mal mit dem Abenteuer auf zwei Rädern. Nein, fürs Radfahren ist diese Stadt schlicht nicht gemacht, auch wenn sie ansonsten wegen all ihrer cleveren Verkehrskonzepte bei vielen Stadtoberhäuptern in aller Welt als Mustermetropole der Mobilität gilt. Es fängt schon mit den Autofahrern an, die hier noch weniger als anderswo ein Gespür dafür zu haben scheinen, wie viel Platz ein Radfahrer auf der Straße denn so braucht. Es kommt ja auch selten genug vor, dass sich einer auf die Spur der Autos wagt.

Ambitionierte Rennradler gibt es schon in Singapur, aber die ziehen ihre Runden morgens früh um fünf, wenn es noch dunkel ist und die Temperatur erträglich. Außerdem fahren zu dieser Zeit eben kaum Autos, die einen schneiden oder vom Sattel holen könnten. Radwege, auf die Biker ausweichen können, gibt es nur wenige, was der Staat dringend ändern möchte. "Wir bauen ein Netzwerk fürs Radfahren quer über die Insel und gestalten unsere Straßen neu, sodass Fußgänger, Radler, Busse und Autos koexistieren können", erklärt die Land Transport Authority, die Verkehrsbehörde der Stadt.

Koexistieren, das heißt bislang: Auf den mehrspurigen Asphaltschneisen rasen die Autos, Staus gibt es wenige, weil die Zahl der Zulassungen begrenzt und das Autofahren sehr teuer ist. Luxus für die Reichen. Die Masse fährt U-Bahn oder Bus, es wird oft eng im öffentlichen Nahverkehr, und das gilt auch für manche Gehwege, die sich Radler, Fußgänger und neuerdings Fahrer motorisierter Kleinroller teilen dürfen. Immer wieder gibt es Kollisionen.

Der Staat will Radfahrer durch Tempolimit ausbremsen

Der Staat plant deshalb, das bestehende Tempolimit für Radfahrer auf Gehwegen von 15 Kilometer pro Stunde auf zehn zu senken. Forscher der Nanyang Technological University (NTU) fanden heraus, dass die Wahrscheinlichkeit schwerer Kopfverletzungen bei Tempo 15 deutlich höher liegt als bei Tempo zehn, wenn ein Radfahrer mit einem Fußgänger zusammenstößt. Wie die Zeitung Straits Times berichtet, studiert der NTU-Professor Yap Fook Fah "die Mechanik der Kollisionen zwischen Fußgängern und Radfahrern" schon seit dem Jahr 2016. Das strenge Tempolimit wird nicht alle glücklich machen, manche Radfahrer fühlen sich ausgebremst und wissen nicht, wie sie rasch genug von der Wohnung zur U-Bahn kommen.

Fürs Bike-Sharing gibt es verschiedene Anbieter, lange lagen vor allem Räder von Obike kreuz und quer im ansonsten so ordentlichen Stadtstaat herum (die Anwohner einiger deutscher Städte dürften wissen, wie das aussieht). Nach der Pleite von Obike und dem Rückzug zweier weiterer Konkurrenzfirmen hat sich die Lage gebessert, dennoch fühlen sich viele Bewohner durch herumliegende Räder genervt, sodass Rufe laut werden, mehr feste Parkstationen einzurichten.

Ein ehrzeigiges Versprechen soll bis 2030 eingehalten werdne

Alles in allem ist Singapur kein ideales Biotop für Radler, was natürlich auch am tropisch-heißen und regnerischen Klima liegt. Dennoch gibt es Plätze, wo es sich hübsch fahren lässt. Am East Coast Park etwa können sich Leute Räder mieten und die Küste unter Palmen entlangfahren, das ist bei einer salzigen Brise vom Meer doch entspannend, genauso wie Routen entlang der so genannten grünen Korridore, die erweitert werden. Unter Urwaldbäumen geht es gemütlich dahin, Eisvögel schießen kleine Bäche entlang, und für einen Moment lässt die Idylle vergessen, dass Singapur eine Fünf-Millionen-Metropole ist, in der jeder Quadratzentimeter mit äußerster Sorgfalt verplant wird.

Zum Glück werden davon künftig auch Radler profitieren. "Wir verwandeln Singapur in eine Rad-freundliche Stadt", lautet das ehrgeizige Versprechen. Bis 2030 soll es 700 Kilometer Radwege kreuz und quer durch die Metropole geben. Und vielleicht muss dann niemand mehr vor Lastwagen und Bussen auf der großen Bukit Timah Road zittern.

In dieser Serie beleuchtet die SZ in loser Folge die Situation des Radverkehrs in den großen Städten der Welt. Zuletzt erschienen: Wien (29.9.), London (6.10.), Peking (20.10.), Paris (10.11.).

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