Radfahren:In der Schneefalle

Vereister Fahrradweg in München, 2019

Auf so manchem Radweg kommt man derzeit nur schwer voran.

(Foto: Stephan Rumpf)

Immer wieder ärgen sich Radfahrer über den Winterdienst. Denn in welchem Umfang nicht nur Straßen, sondern auch Radwege von Schnee und Eis befreit werden, liegt in der Hand der jeweiligen Kommune. Und die hat oft andere Prioritäten.

Von Felix Reek

Zwölf Kilometer legt Tobias Singer jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit zurück. Sechs Kilometer hin, sechs wieder zurück. Nicht nur im Sommer, wenn viele Menschen auf das Auto verzichten. Auch im Winter, bei Eis und Schnee. Davon gab es in dieser Saison besonders viel. Waren die vergangenen Winter in München vergleichsweise milde, so schneite es bereits im Dezember stark. Eigentlich sollte das kein Problem sein, hat sich die bayerische Hauptstadt doch vorgenommen, "Radlhauptstadt" zu werden. Doch davon merkt der dreifache Familienvater wenig. "Das klingt zwar gut, aber im Winter ist es eine Schlitterpartie", sagt er. "Sobald Schnee fällt, brauchen die Räumarbeiten ewig. Die Straße ist frei und die Radwege sind alle zu."

Das bestätigt auch Martin Glas vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) München. "Die Stadt hat sich viel vorgenommen - nur klappen tut das nicht so richtig." Viele Radwege würden eher als Schneeablageplatz verwendet und eben nicht geräumt. "Der Anspruch in München und das, was auf der Straße ankommt, klaffen weit auseinander." Diesen Eindruck teilen viele Radfahrer - auch in anderen Städten. Wer sich in den sozialen Medien umschaut, findet überall Bilder von verschneiten und vereisten Radwegen. Umfragen des ADFC zu diesem Thema führen zu verheerenden Ergebnissen.

Dabei wird Radfahren auf dem Weg zu klimafreundlicheren Städten immer wichtiger. In München soll der Anteil am Gesamtverkehr bis 2020 auf 20 Prozent wachsen. Dafür ist es unabdingbar, dass Menschen das Rad auch im Winter nutzen. Das müssen sie aber als "komfortabel" empfinden, sagt Stephanie Krone, Pressesprecherin des ADFC. "Dass Radwege breit und in gutem Zustand sind und auch im Winter geräumt werden, damit steht und fällt der Erfolg des Fahrrads als ganzjähriges Verkehrsmittel." In den Niederlanden, wo es eine geradezu ideale Infrastruktur gibt, fällt der Anteil der Radpendler in der kalten Jahreszeit nur um 20 Prozent. Für Deutschland gibt es nur Schätzungen. Mindestens 50 Prozent weniger sind es laut Stephanie Krone.

Ein Grund dafür ist laut ADFC die mangelnde Qualität bei der Räumung der Radwege. Eine deutschlandweite Regelung gibt es nicht. Wann und wo der Winterdienst zum Einsatz kommt, legen die Kommunen selbst fest. Wenn es um öffentliche Straßen und Radwege geht, sind unterschiedliche Träger verantwortlich. Das können Bundesländer, Landkreise, Städte und Gemeinden sein. Die wiederum dürfen den Winterdienst auf private Firmen übertragen. Öffentliche Fußwege zu räumen ist meist Aufgabe der Anlieger - auch wenn sie mit einem Fahrradweg kombiniert sind. Wie schnell eine Gemeinde die Radwege von Schnee und Eis befreit, ist davon abhängig, welche Gewichtung das Radfahren in den jeweiligen Städten hat. In Dortmund beispielsweise gibt es 650 Kilometer Radwege, 100 davon werden geräumt. Die Studentenstadt Münster befreit 360 von 475 Kilometern vom Schnee. Wenn es dort mal schneit.

Drängender ist das Problem in München. Die Stadt priorisiert, wie die meisten Kommunen, den Winterdienst. Das heißt: Vorrang haben Hauptrouten, also wichtige Strecken für den Verkehr. Zum Beispiel, weil sie während der Stoßzeiten besonders hoch frequentiert sind. Oder viel befahrene Hauptstraßen, gefährliche Stellen, Fußgängerüberwege und Buslinien. Danach folgen die Nebenstrecken. 110 Kilometer des insgesamt 1000 Kilometer langen Radwegnetzes (inklusive Grünanlagen und Freizeitwegen) gelten als Winterrouten, also stark frequentierte Routen entlang der Hauptstraßen, die sternförmig ins Zentrum laufen. Sie werden bei Schneefall binnen zwei Stunden geräumt, bei Glatteis in anderthalb Stunden, sagt Florian Paul, der Radverkehrsbeauftragte der Stadt. Die 65 Fahrradstraßen folgen innerhalb von drei Stunden. Schneit es noch einmal nach der Ersträumung, haben die Schneeräumer 24 Stunden Zeit, um erneut auszurücken.

Um den Radverkehr im Winter wirklich zu fördern, ist das aber immer noch zu wenig. Die wenigsten Fahrradpendler bewegen sich nur auf den Hauptrouten. Der Vorteil des Fahrrads ist gerade, dass es dort unterwegs sein darf, wo Autos nicht fahren, und so Wege verkürzt. Das belegt eine Studie des Umweltbundesamtes. Sie besagt, dass bis zu einer Entfernung von fünf Kilometern das Fahrrad das schnellste Verkehrsmittel in der Stadt ist. Sind, wie in München, aber nur zehn Prozent der Radwege geräumt, schwindet dieser Vorteil und damit der Anreiz, das Auto stehen zu lassen. Wer mit dem Velo unterwegs ist, weicht auf die Straße aus - oder lässt es lieber gleich stehen.

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