Mobilität in Städten:"Es geht extrem langsam voran"

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Radfahrer demonstrieren im Sommer 2018 während einer Sternfahrt in Berlin für eine fahrradfreundliche Stadt. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Bürgerbegehren für den Radverkehr sind überall erfolgreich. Die Berliner Pioniere vom Verein "Changing Cities" erzählen, warum die Probleme danach erst losgehen. Und welche Kulturkämpfe sie austragen.

Interview von Thomas Hummel

Berlin, Prenzlauer Berg, Kopfsteinpflaster, die Lychener Straße wird zur Sackgasse, eng parkende Autos links und rechts. Cafés, Spielplätze zwischen den Häusern, Second-Hand-Läden für Kinderbekleidung, Buchhandlungen, eine Aikido-Schule. Ragnild Sørensen, 54, hat hier in einem schmucklosen Büro ihren Arbeitsplatz als Sprecherin des Vereins Changing Cities. An diesem Donnerstag organisiert der Verein eine Demonstration gegen die Politik von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Denn von hier aus soll die Revolution ausgehen, der Umbau unserer Städte hin zu weniger Autoverkehr, zu mehr Fahrrädern, Fußgängern und Busspuren. Changing Cities hat in Berlin den ersten Volksentscheid Fahrrad gestartet und der Erfolg war so durchschlagend, dass der Berliner Senat die Forderungen übernahm und 2018 in einem Mobilitätsgesetz verankerte. Inzwischen gibt es bundesweit Nachahmer, zuletzt begann ein Radbegehren in München mit einer Unterschriftenaktion.

SZ: Frau Sørensen, wie erklären Sie sich die große Zustimmung für Ihre Initiativen Pro Radverkehr in Berlin und anderswo?

Ragnild Sørensen: Es strömen immer mehr Menschen in die Städte, es wird immer enger. Die Leute merken: Wenn die Planung so weitergeht, dann sind die Städte nicht mehr lebenswert. Es geht ja nicht nur ums Rad, wir sind nicht alle verrückte Radfahrer. Sondern es geht um die Umgestaltung der Stadt. Aktuell erhalten Autofahrer irrsinnig viel Platz, das kann so nicht weitergehen. Radfahren ist ein perfektes Mittel, die Mobilität umzugestalten. Man könnte auch Roller nehmen, Hauptsache man benötigt weniger Raum. Die Leute wollen und müssen in der Stadt leben, und selbst wenn sie Autos haben, wächst die Erkenntnis, dass sich was ändern muss.

Unterstützt Changing Cities die anderen Radentscheide in Deutschland?

Wir sind ein Netzwerk. Es gibt heute etwa 20 Radentscheide in Städten plus Nordrhein-Westfalen als Bundesland. Gerade geht's in Rostock und München los, in Braunschweig sammeln sich Leute. Berlin hatte da eine Signalwirkung. Die Leute haben gesehen: Ups, da geht was. Wir müssen nicht nur rumsitzen und warten, bis sich die Politiker bewegen. Das Prinzip ist ähnlich: Klare Ziele aufstellen und die Unterschriftensammlung gut vorbereiten. Die Radentscheide scheitern bislang nie an der Unterstützung der Leute, sondern an rechtlichen Facetten. Es gibt viele gesetzliche Vorgaben für Bürgerentscheide, das ist so komplex, dass Ehrenamtliche hier und da scheitern. In Darmstadt und Stuttgart waren die Entscheide nicht rechtmäßig.

In München haben die Initiatoren ihr Bürgerbegehren gleich zwei Mal juristisch prüfen lassen. Haben die Kollegen gelernt?

Rechtliche Probleme sind für Laien schwer vorherzusehen, Gegner suchen da gerne nach einem Haken, an dem sie ansetzen können. Dabei bin ich mir sicher, dass die Unterstützung aus der Bevölkerung groß sein wird. Ob man die Forderungen umsetzen kann, hängt dennoch stark an der lokalen Politik. Die Mitstreiter in München oder anderswo brauchen vor allem Geduld. Es klappt nicht alles, es gibt immer wieder Rückschläge. Es kommt irgendwann, aber nicht auf der geraden Linie.

In Berlin ging die Politik formal auf fast alle Forderungen ein. Dennoch haben Sie kürzlich zusammen mit dem ADFC das gemeinsame Gremium verlassen. Warum?

Es wurde uns versprochen, dass wir die konkrete Umsetzung des Gesetzes in der Folge verhandeln. Jetzt ist der Senat aber nicht bereit, verbindliche Vorgaben für den Radverkehr festzulegen. Da geht es um nachprüfbare Pläne: Bis wann sollen Radwege fertig sein? Wie viele Kilometer Radwege sollen gebaut werden? Wie viele Abstellanlagen für Räder soll es geben? Und so weiter. Das brauchen wir. Die Planer in den Amtsstuben können nichts unternehmen, wenn sie keine konkreten Vorgaben haben. So wird einfach nichts vorangehen.

Und nun?

Jetzt müssen wir warten, bis der Senat seinen Radverkehrsplan zu Ende schreibt - das kann ein paar Jahre dauern. Bis dahin wird vermutlich wenig passieren. Weil die Planer total überfordert sind und das ist auch verständlich. Sie haben 50, 60 Jahre primär für das Auto geplant und plötzlich sollen sie Fußgängern, Radfahrern und dem ÖPNV den Vorrang geben. Wenn man das nicht gelernt hat, keine Fortbildung bekommt, ist das wahnsinnig schwer.

Die Berliner Radfahrer haben also keine Aussicht auf baldige Besserung?

Es tut sich was. Aber es geht extrem langsam voran. Immer nur kleine Häppchen: Hier mal 200 Meter geschützter Radweg, dort mal ein Vorstoß für eine Fahrradstraße. Richtiger Schwung kommt nicht rein.

Dabei klagen viele Städte über enorme Verkehrsprobleme. Woran hakt es, dass sich so wenig tut?

In Berlin ist eins der zentralen Probleme die sehr komplizierte Verwaltungsstruktur. Oben ist der Senat, darunter sind die zwölf Stadtbezirke. Manchmal schieben sie sich die Sachen hin und her und keiner will verantwortlich sein. Für die Hauptstraßen ist der Senat zuständig, für die Nebenstraßen die Bezirke. Wenn man Radwege durch die Stadt planen will, wird es teilweise absurd kompliziert zwischen den Verwaltungsapparaten. Dazu kommt, dass manche Bezirke den Umbau politisch nicht unterstützen - und dann passiert erst einmal gar nichts.

Nicht alle Menschen sind pro Rad und contra Auto. Wie stark sind die Konflikte, wenn es um konkrete Maßnahmen geht?

Wir hatten eine Bürgerversammlung im Bezirk Lichtenberg, dort ging es um 500 Meter geschützten Radweg und den Wegfall von 80 Parkplätzen, die fast alle in die Nebenstraßen verlegt werden sollen. Das war extrem, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Der Streit zwischen Befürworten und Gegner war sehr emotional. Wenn man die Gründe für einen solchen Umbau nicht erklärt, dann verstehen das manche nicht. Sie glauben, dass sie ein Recht haben auf einen Parkplatz vor der eigenen Haustür. Ihnen wurde in den vergangenen 60 Jahren nie etwas anderes erzählt. Sie sehen nur: In unserer Straße fahren kaum Fahrräder, warum soll da jetzt ein großer, breiter Radweg hin? Dass dort keine Radfahrer unterwegs sind, weil es extrem gefährlich ist zwischen Autos und Trambahnschienen, muss man ihnen ausführlich erklären. Und der Gesamtkontext ist entscheidend: Es kommen jährlich 40 000 bis 50 000 neue Bewohner nach Berlin - wenn die alle mit dem Auto in die Stadt kommen, dann funktioniert der Verkehr einfach nicht mehr.

Bei solchen Beispielen kann man sich vorstellen, welche Konflikte in den kommenden Jahren auf die Städte zukommen.

Hier fehlt einfach der Mut. Schaut man sich die Anteile der Verkehrsträger in den Städten an, dann sind die Autofahrer in der Minderheit. In Berlin zum Beispiel fahren 33 Prozent der Menschen mit dem Auto, in München 37 Prozent. Wenn wir dieser Minderheit weiterhin die Mehrheitsrechte geben, dann stimmt etwas nicht. Nur deshalb konnte das Mobilitätsgesetz verabschiedet werden - weil eine Mehrheit dahintersteht.

In München ist BMW ein großer Arbeitgeber, in Stuttgart Daimler, in Ingolstadt Audi, in Wolfsburg VW. Verstehen Sie, wenn Parteien sich schwertun, gegen das Auto Politik zu machen?

Es ist klar, dass die Politiker Angst haben. Aber es geht nicht darum, den Autofahrern was Böses zu tun. Wenn man Städte so baut, dass man sich gerne darin aufhält, dann ist das für alle gut. Man kann auch fragen: Warum soll sich der Mensch in sein Auto setzen und im Stau stehen? Man merkt, dass wir an die Grenzen der Mobilität kommen.

Dennoch ist jedes dritte neu zugelassene Auto in Deutschland derzeit ein großer SUV, die Autokonzerne machen damit Milliarden-Gewinne. Da deutet sich ein Kulturkampf an.

Es wird so getan, als könnten wir so weitermachen. Das ist Selbstbetrug. Die Zeit läuft uns davon. Veränderungen machen Angst, weil nicht klar ist, was kommt. Dann verharrt man in Schockstarre und nennt es Kulturkampf. Dabei sollten wir Lösungen suchen, um Städte für alle lebenswerter zu machen.

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