Privates Carsharing:Steht sonst nur rum

Kay vor seinem Audi A4 Cabrio, das er bei Tamyca ausleiht

Kay, 66 Jahre alt, verleiht über den Dienst Tamyca sein Auto an andere.

(Foto: Felix Reek)

Autos in der Stadt tun vor allem eines: parken. Portale wie Tamyca und Autonetzer haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Menschen mit Auto vermieten es an Menschen ohne. Ein Selbstversuch.

Von Felix Reek

Kay stürmt mit wehenden weißen Haaren aus seiner Wohnung im Münchner Stadtteil Schwabing und verliert erst mal seine Brille. Dabei bricht ein Bügel ab. Das stört ihn aber nicht weiter, "eh ein billiges Modell gewesen", sagt er. In der Hand hält er das Übergabeprotokoll von Tamyca, einem Dienst, der Menschen mit und ohne Auto zusammenbringt. Das Aachener Start-up stellt eine Plattform zur Verfügung, bei der Autobesitzer ihren Pkw an andere vermieten können. Kay ist einer von ihnen, 66 Jahre alt, freiberuflicher Unternehmensberater, dies ist seine erste Vermietung.

"Das Auto steht den ganzen Tag rum", sagt er. Ein Blick auf den Tacho bestätigt das. Sieben Jahre alt ist sein Audi A4 Cabrio, nicht einmal 35 000 Kilometer gelaufen. Wie ein professioneller Autovermieter im Urlaub läuft er um seinen Wagen herum, zeigt auf Kratzer und eine kleine Delle in der Motorhaube und vermerkt beides im Protokoll. Der Innenraum des Wagens ist penibel gepflegt, nur eine vergessene Wasserflasche liegt auf dem Boden. Unter der Windschutzscheibe sitzt ein kleiner Stoffschneemann mit Zylinder.

"Die weiten Strecken im Jahr fahre ich mit dem Wohnmobil", sagt Kay. "Eigentlich brauche ich den Audi für etwas ganz anderes." Er grinst, geht zu seiner Einfahrt, deutet auf sein Wohnmobil, das passgenau davor steht. "Wenn ich irgendwo hinfahre, parke ich den Audi schnell da. Den Parkplatz kriege ich sonst nie wieder." Die angespannte Parksituation in Schwabing erfordert offensichtlich außergewöhnliche Maßnahmen.

Das Auto als Parkplatzfreihalter

Kay geht es wie vielen Autobesitzern in der Stadt: Die Suche nach einem Abstellplatz in den Stoßzeiten dauert oft genauso lange, wie der Weg zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad. Deswegen bleibt das Auto stehen, oft wochenlang. Das brachte die Gründer von Tamyca auf ihre Geschäftsidee. Seit 2010 betreiben sie ihr Portal, 6000 Autos sind in ihrem Pool, 65 000 Menschen nutzen das Angebot.

Die Fahrzeuge dürfen maximal 250 000 Kilometer gelaufen sein. Der Neuwert darf nicht mehr als 100 000 Euro und die Leistung nicht mehr als 200 kW, also 272 PS, betragen. Das Prinzip ist einfach: Bei der Anmeldung wird ein Profil mit Ausweis- und Führerscheinnummer angelegt, die Bezahlung erfolgt per Kreditkarte, Paypal oder ähnlichen Diensten. Den Mietpreis bestimmen die Autobesitzer selbst, Tamyca schlägt nur einen Richtwert anhand von Alter und Modell der Wagen vor. Kay erhält für acht Stunden etwa 60 Euro. Tamyca kassiert von jeder Transaktion 15 Prozent. In der Buchung enthalten ist auch eine Teilkaskoversicherung.

Mittels der Suchfunktion lassen sich Autos in der Umgebung oder einem Ort nach Wahl identifizieren. Das Angebot ist im Umkreis von mehreren Kilometern vom eigenen Standpunkt durchaus abwechslungsreich. Vom Kleinwagen und Kombi über Sportwagen und tiefergelegtem 3er BMW ist alles dabei. Einer der Nutzer vermietet sogar einen Segway. Wirklich ein Auto zu ergattern, ist aber nicht ganz so einfach. Wer neu einsteigt in die Welt des privaten Carsharings, stellt schnell fest, dass dies nach anderen Regeln funktioniert als bei einem klassischen Autovermieter oder Angeboten wie Flinkster, MyCar und Co. Eine Garantie auf ein Auto gibt es nicht.

Erst mal passiert nichts

Verkleinert man den Suchradius, etwa in Fußweite zur eigenen Wohnung, dünnt das Angebot aus. Im Umkreis eines Kilometers sind in meinem Fall nur noch zwei Autos verfügbar: ein Porsche 911 und Smart. Der Besitzer des Sportwagens will für acht Stunden 400 Euro. Der Besitzer des Smart sagt mehrere Male ab, also muss ich auf andere Autos in weiterer Entfernung ausweichen. Dann passiert erst einmal nichts.

Screenshot Autonetzer

Beim privaten Carsharing heißt es oft warten, wie dieser Screenshot von Autonetzer zeigt. Manchmal antwortet ein Nutzer innerhalb von Minuten, dann dauert es wieder Tage.

(Foto: Felix Reek)

Wer ein Auto unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt sucht, ist beim privaten Carsharing falsch. Grundsätzlich ist es sinnvoll, auch auf anderen Portalen zu suchen, etwa "Autonetzer", seit dem Zusammenschluss mit "Nachbarschaftsauto" die größte private Carsharing-Plattform. Auf 10 000 Autos und 75 000 Nutzer bringt es der Dienst.

Ein Tag vergeht, dann noch einer. Schließlich meldet sich Elisa, 30, freischaffende Mediendesignerin. Am Telefon erklärt sie, dass sie die Nacht durchgearbeitet hat und noch etwas verschlafen ist. Seit anderthalb Jahren ist sie dabei, zunächst bei Nachbarschaftsauto, jetzt bei Autonetzer. In ihrem Toyota Aygo hängt ein Wunderbaum, auf dem "Love, Peace & Happiness" steht, im Kofferraum liegt eine Decke mit Leopardenmuster. Zehn bis fünfzehn Mal hat sie ihr Auto bisher ausgeliehen, nicht einmal 30 Euro kostet es für sieben Stunden. Von einer gewerblichen Vermietung, die der Sharing Economy immer vorgeworfen wird, kann man in diesem Fall noch nicht sprechen. Geld verdient Elisa damit nicht. Das bestätigt auch Sebastian Ballweg von Autonetzer. Einmal im Monat werde im Schnitt ein Auto vermietet, sagt er.

Die Grundproblematik löst das trotzdem nicht: Wie lange ist das Ausleihen privat und ab wann ist es gewerblich? Im vergangenen Jahr klagte der Bundesverband der Autovermieter Deutschlands (BAV), in dem etwa 300 Mietwagenunternehmen vertreten sind. Privates Carsharing müsse genauso behandelt werden wie kommerzielle Autovermietungen, so der BAV. Im September dieses Jahres wurde die Klage abgewiesen, weil privates mit professionellem Carsharing nicht vergleichbar sei. Das Gericht musste aber auch feststellen, dass es noch keine eindeutige Rechtsprechung zu den neuen Geschäftsmodellen der Sharing Economy gibt. Die Vermischung von Geschäft und Privatem hat die Gesetzgebung überholt. Doch während beispielsweise bei der Wohnungsplattform Airbnb immer mehr professionelle Anbieter im Angebot auftauchen, bieten bei Tamyca und Autonetzer ausschließlich Privatpersonen ihr Auto an - noch.

Jeep Wrangler bei Autonetzer

Arne vermietet seinen Jeep Wrangler bei Autonetzer. Fahrten durchs Gelände sind nach Absprache erlaubt.

(Foto: Felix Reek)

Es gibt auch Autos für Enthusiasten

Das gilt auch für Arne, Mediziner, 50 Jahre alt. Er wohnt in einem Münchner Außenbezirk, wo es schon nach Kleinstadt aussieht, und winkt bei der Ankunft bereits aus dem Fenster. Er lädt direkt in seine Wohnung ein, im Wohnzimmer steht ein digitales Schlagzeug, neben dem Fernseher liegt eine AC/DC-DVD. Zu ihm kommen weniger Menschen, die einfach mal ein Auto brauchen, sondern eher die Enthusiasten: Er vermietet seinen viertürigen Jeep Wrangler. Eigentlich wäre er der klassische Kandidat, von dem man erwartet, dass er sein Auto nicht herausrückt: ein Liebhaberstück, das durch die schiere Größe schwerer zu handhaben ist als der Kleinwagen um die Ecke. Doch auch er sagt: "Sonst steht es doch nur die ganze Zeit herum."

Das Fahrgefühl im Wrangler ist anders als in den meisten anderen aus dem Fahrzeugpool von Autonetzer. Man sitzt erhaben wie der König der Straße und muss dem Drang widerstehen, den Stau in der Stadt quer durchs Gelände abzukürzen. Das Risiko ist mit so einem Auto natürlich höher. Zu echten Schäden, bei denen die Carsharing-Portale regulierend eingreifen müssten, kommt es trotzdem selten. "Die ganzen Themen, von denen man denken könnte, dass sie Ärger bedeuten, wie Unfälle oder Strafzettel, kommen kaum vor", so Sebastian Ballweg von Autonetzer. "Es ist vielmehr wie in der Familie: Da bekommt der Papa das Knöllchen und dann wird es eben an den Fahrer weitergegeben."

Ob der Papa so gelassen reagiert, falls dann wirklich einmal etwas passiert, sei dahingestellt. Arne zum Beispiel ist nicht mehr ganz so ruhig, als sein Jeep wegen zu viel Verkehr in der Stadt eine halbe Stunde zu spät zu ihm zurückkehrt. "Man macht sich dann eben doch Sorgen", sagt er. "Man weiß ja nie, was die Leute mit dem Auto machen."

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