Pinasse:Die reine Leere

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Pinasse heißt eine neue, betont schlichte und sparsame Motoryacht. Die ersten Fahreindrücke.

Klaus Bartels

Der senkrechte Steven ist extrem scharf geschnitten, das Deckshaus voluminös, der Aufbau samt Steuerhaus kantig, das alles in martialischem Grauton - Pinasse heißt ein neuer Motoryacht-Typus, der während der Hamburger hanseboot Ende Oktober seine Premiere feierte und vom Start weg zum Publikumsmagnet der Messe avancierte.

Die Pinasse vereinigt die Eigenschaften eines Wavepiercers, eines Wellenschneiders, mit denen eines Halbgleiters. (Foto: Foto: pinasse-boats.com)

Die Besucher standen Schlange, um das von Georg Nissen entworfene Schiff zu besichtigen, obwohl die 14 Meter lange und 11,5 Tonnen verdrängende Yacht augenscheinlich gegen den Trend konstruiert wurde.

Der Preis: rund 800.000 Euro

"Etwas völlig Neues auf dem deutschen Motorbootmarkt", zeigt sich Konstrukteur Nissen selbstbewusst - er zeichnete bislang mehr als 270 Yachten, darunter viele Serienschiffe wie zum Beispiel die Sunbeam 34, die Contest 60 und hat einen großen Namen im internationalen Retro-Klassikermarkt.

Und natürlich kommt er nicht umhin, den spontanen Vergleich mit Lucca Bassanis Yachten vom Typ Wally zuzulassen. Denn der Italiener verblüfft seit der Gründung der Wally-Werft 1994 mit seinen minimalistischen Yachten, deren funktionale Schlichtheit oberstes Gestaltungsmerkmal ist.

Und die Wally-Yachten polarisieren genauso wie dieser neue Nissen-Entwurf, der den Vorstellungen des Journalisten Svante Domizlaff und des Hamburger Reeders Claus-Peter Offen folgte. "Begeisterung oder totale Ablehnung" - so beschreibt Bootsbauer Henning Mittelmann, auf dessen Werft an der Schlei die Aluminiumyacht ausgebaut wurde, die Reaktionen. Aber: Drei Bestellungen für den rund 800.000 Euro teuren Einzelbau liegen bereits vor.

Motorkreuzer Pinasse
:Triumph der Kante

Die Pinasse ist neu entwickelter Motorkreuzer, der modernes Design mit klassisch Bewährtem vereinigen will.

Nissen hatte für die Pinasse ein neues Unterwasserschiff entwickelt, um komfortable Fahreigenschaften und günstigen Treibstoffverbrauch zu gewährleisten. Dass das gelungen ist, zeigen die Eindrücke der ersten Testfahrten auf der Schlei.

Was nicht jedem gefallen muss: das konsequent durchgesetzte eckige Design des Interieurs. (Foto: Foto: pinasse-boats.com)

Runpf und Propeller sind prima aufeinander abgestimmt

So vereinigt die Pinasse die Eigenschaften eines Wavepiercers, eines Wellenschneiders, mit denen eines Halbgleiters. Mit Hilfe des besonders scharfen V-Vorschiffs und in Verbindung mit dem breiten Heck hebt sich das Boot bei rund 14 Knoten - umgerechnet rund 26 km/h - halb aus dem Wasser, zerteilt dabei die Wellen mit dem Bug wie ein heißes Messer die Butter; durch Trimmklappen kann auf die unterschiedlichen Höhen der Wellen reagiert werden.

Das Resultat ist eine für Halbgleiter ungewöhnlich sanfte Fahrt; das bei vielen Motorbooten übliche Aufschlagen auf das Wasser ist kein Thema. Auch bei Vollgas, also mit mehr als 19,5 Knoten Geschwindigkeit, das sind rund 36 km/h, liegt die Pinasse kursstabil wie ein Brett im Wasser und lässt sich mühelos und direkt steuern.

Besonders auffällig ist, dass das Boot trotz des mit 90 Zentimeter geringen Tiefganges auch in enggezogenen Kurven kaum wegkrängt; dabei beträgt der Vollkreis bei reduzierter Geschwindigkeit knapp zweieinhalb Bootslängen. Möglich ist auch, die beiden von Yanmar neu entwickelten Maschinen, die jeweils 220 PS leisten, gegensätzlich arbeiten zu lassen, um die Motoryacht gleichsam auf dem Teller zu drehen.

Dass Rumpf und Propeller gut aufeinander abgestimmt sind, wird vor allem durch die besonders gute Manövrierbarkeit bei geringer Fahrt mit nur zwei Knoten deutlich; andererseits reagiert die Pinasse direkt auf die Gashebel und hat in kürzester Zeit ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht.

Dabei verbraucht der Halbgleiter rund 45 Liter pro Stunde und Maschine; bei Verdrängerfahrt mit zehn Knoten und 2200 Umdrehungen sind es 9,5 Liter. Bei Fluss- und Kanalfahrten mit den dort vorgeschriebenen Geschwindigkeiten von sechs bis sieben Knoten reduziert sich der Verbrauch auf nur noch 4,5 Liter pro Maschine - was dann mehr als stolze 2200 Seemeilen Reichweite gewährleistet.

Neben den guten Fahreigenschaften und dem geringen Treibstoffverbrauch fallen auch die geringen Motorgeräusche positiv ins Gewicht. Das liegt gleichermaßen an den beiden leisen Sechszylinder-Aggregaten wie an der sehr guten Schallisolation des gesamten Schiffes; selbst bei Vollgasfahrt ist eine Unterhaltung in normaler Lautstärke im Ruderhaus und im Salon möglich.

Erstaunlich sparsam und leise

Was nicht jedem gefallen muss, ist das konsequent durchgesetzte eckige Design des Interieurs - schnörkellos und minimalistisch. Zwar findet sich an Bord des Schiffes komfortabler Lebensraum in zwei Doppelkabinen, Bad mit Dusche und einem großen Salon mit Pantryzeile. Die allerorts drohenden Ecken und Kanten der Inneneinrichtung aber werden sich auf einer Yacht, mit der durchaus auch rauere Seetörns möglich sind, vermutlich zur steten Quelle für blaue Flecken bei Crew und Gästen entwickeln.

Diese erste, nun vorgestellte Pinasse ist eine durch und durch individuelle Yacht, ausgerichtet an den subjektiven ästhetischen Ansprüchen ihrer Eigner. Vermutet aber werden darf, dass die nächsten Käufer einer Pinasse beim Innenausbau mehr Wert auf Praktikabilität und Sicherheit legen und schnell von der sozusagen reinen Leere Abstand nehmen werden.

© SZ vom 24.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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