Wer heute auf den amerikanischen Highways unterwegs ist, kommt mit jeder zurückgelegten Meile mehr und mehr zu der Überzeugung, Ressourcenschonung und CO₂-Ausstoß zählen noch immer nicht zu den dringlichsten Themen des Landes. Der Blick durch die Windschutzscheibe zeigt: Großes Land, große Autos. Straßen und Parkplätze werden mehrheitlich von dicken SUV und mächtigen Pick-ups bevölkert. Vor allem Letztere sind seit je die absoluten Lieblinge der Nation. Wohl am besten lässt sich dieses scheinbar uramerikanische Phänomen am F150 von Ford ablesen. Der Pritschen-Laster ist seit mehr als 30 Jahren ununterbrochen der absolute Bestseller - ein Auto, das in Deutschland in kein Parkhaus fahren könnte und bei uns nur ein kümmerliches Nischendasein fristen würde.
In den USA führt der F150 nicht nur sein Pick-up-Segment an, sondern übertrifft auch alle anderen Fahrzeuggattungen. Mit anderen Worten, kein anderes Auto, kein SUV, keine Kompakt- oder Mittelklasselimousine, kein Kleinwagen wird in Amerika häufiger neu zugelassen als die Modelle der F-Serie von Ford - jeden Tag etwa 2000 Stück. Das Unternehmen aus Dearborn verkauft damit doppelt so viele Pick-ups wie Personenwagen. Ähnlich sieht es bei den anderen beiden der "Großen Drei" aus Detroit, General Motors und Chrysler aus. Deren Verkaufsschlager heißen Chevrolet Silverado, GMC Sierra und Dodge Ram. Alle drei Autobauer feiern Rekordabsätze, bringen jährlich die unvorstellbare Menge von rund 2,5 Millionen Pick-ups auf die Straße.
"Ein Stück Cowboy-Gefühl"
Wer den Grund dafür sucht, muss vermutlich bis weit in den Wilden Westen mit seinen Siedlertrecks und Planwagen zurück. "In jedem Pick-up steckt in gewisser Weise noch immer ein Stück Cowboy-Gefühl", glaubt Ford-Manager Mark Truby, "diese Art von Auto verkörpert Freiheit und Männlichkeit." Außerdem gehören Pick-ups seiner Meinung nach zu den nützlichsten Fahrzeugen überhaupt. Transportiert kann und wird so gut wie alles. Wo in alten Lassie-Filmen noch Heuballen und Holzfässer auf der Pritsche lagen, fahren heute Jetski, Quads und Cross-Motorräder mit. Hinzu kommt die üppige Zugkraft dieser von den Amis kurz Trucks genannten Fahrzeuge. Je nach Größe und Motorisierung sind selbst mehrere Tonnen schwere Hänger kein Problem.
Wenn in wenigen Tagen die wichtigste Automesse der USA, die Detroit Motor Show (NAIAS) ihre Türen öffnet, wird Ford seinen Bestseller in neuester Generation präsentieren und versuchen, Silverado und Sierra noch weiter hinter sich zu lassen. Denn auch wenn viele Pick-ups in Amerika mehr als Arbeits- denn als Freizeitgerät dienen, rollende Verzichtserklärungen sind diese Autos damit noch lange nicht. Im Gegenteil.
Im Innenraum geht es mitunter gediegener zu als in manchen Oberklassenlimousinen. Leder, Holz, Chrom, Klimaautomatik, Soundsystem, Touchscreen, Sitzheizung und -kühlung sind zum Teil ebenso serienmäßig wie elektronische Assistenzsysteme, Abstandsradar oder Rückfahrkamera. Was außerdem für die Pick-ups spricht, ist ihr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Ein Liter Sprit für 67 Cent
Viel Auto fürs Geld: Der Ford F150 beispielsweise startet bei unter 25 000 Dollar, umgerechnet etwas mehr als 18 000 Euro. Selbst das Topmodell der Baureihe mit 411 PS ist für weniger als 40 000 Euro zu haben. Chevrolet und Dodge liegen vergleichbar. Hinzu kommen vergleichsweise niedrige Unterhaltskosten, bedingt durch den aus europäischer Sicht günstigen Spritpreis. Eine Gallone (3,78 Liter) Benzin kostet derzeit knapp 3,45 Dollar. In Euro sind das 67 Cent pro Liter. Dass der fossile Energieträger eines Tages zur Neige gehen oder zumindest deutlich teurer werden könnte, wird verdrängt.
Nur einmal standen die USA unter Schockstarre, wenn auch nur kurzzeitig. Als 2009 kurz nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers die Finanzkrise ausbrach und der Preis für die Gallone Sprit auf fast fünf Dollar kletterte. Heute sprudelt der Sprit selbst im eigenen Land wie eh und je. 2013 haben die Staaten nach langer Zeit sogar wieder mehr Öl aus ihrem Boden gepresst - nicht zuletzt durch die umstrittene Fracking-Methode - als importiert werden musste. 2015 will man sogar Saudi-Arabien und Russland als weltgrößte Ölproduzenten ablösen.