Süddeutsche Zeitung

E-Vespa im Test:An der Ampel abgehängt

Die E-Vespa Elettrica von Piaggio ist schnell, schick und jetzt auch bis zu 70 km/h schnell. Nur wenn es ums Laden geht, wird es umständlich.

Von Marco Völklein

Der Audi-Fahrer, unterwegs auf der Hansastraße im Münchner Westen, scheint sich auszukennen. Zunächst zieht er links an einem vorbei, dann lässt er sich zurückfallen, an der nächsten roten Ampel hält er direkt neben einem. Die Seitenscheibe geht runter, der Zeigefinger fährt aus. "Ist das die neue elektrische Vespa?", fragt er und deutet auf den Roller. "Ja", gibt man zur Antwort. Seine nächste Frage: "Und? Wie fährt die so?" Die Antwort: "Sehen Sie gleich." Dann schaltet die Ampel auf grün, man dreht am (elektrischen) Gashebel - und lässt den Audi weit hinter sich. Wie bei den meisten Fahrzeugen mit Elektromotor sind diese ihren konventionell angetriebenen Gegenübern in Antritt und Beschleunigung überlegen.

Das ist auch bei der Vespa Elettrica nicht anders. Seit etwas mehr als einem Jahr haben die Italiener den elektrifizierten Roller im Angebot - aber bislang beschränkt auf ein Höchsttempo von 45 Kilometer je Stunde. Seit diesem Jahr nun gibt es eine Variante, mit der man bis zu 70 Stundenkilometer schnell unterwegs sein kann (den dafür nötigen Führerschein vorausgesetzt). So will Vespa-Hersteller Piaggio punkten gegen Konkurrenten auf Fernost, etwa den Hersteller Niu, oder auch die (ebenfalls in einer schnellen Version erhältliche) E-Schwalbe.

Schwerer, sieht aber dafür edler aus

Wie also schlägt sich die "große" Elettrica? Die Fahrleistungen jedenfalls sind ordentlich - wenngleich andere E-Roller noch spritziger von der Ampel wegkommen. Was auch daran liegen dürfte, dass die allermeisten Wettbewerber um ihre schweren Akkus herum leichte Plastikkarosserien konstruiert haben; die Vespa-Leute indes setzen auch bei der Elettrica auf ein Gehäuse aus Stahlblech. Das wirkt deutlich hochwertiger und sieht auch edler aus, ist aber auch schwerer.

Ohnehin haben sich die Ingenieure bei der Elettrica am seit Jahren erfolgreichen Small-Body-Modell, der Primavera, orientiert. Dieses hat sich in vielen europäischen Märkten bewährt: So sitzt man als durchschnittlich großer Mitteleuropäer bequem und entspannt auf der angenehm gepolsterten Sitzbank, ganz anders als auf manch asiatischem Konkurrenzprodukt. Zudem hat man einen guten Überblick im Verkehr, nur die mitunter sehr klein geratenen Anzeigen im digitalen TFT-Display erinnern an ein Mäusekino. Auch die Farbauswahl ist begrenzt: Sowohl die 45- wie auch die 70-km/h-Variante gibt es nur in der Grundfarbe grau. Während man aber bei der 45-km/h-Version noch diverse Farbtupfer etwa fürs Beinschild oder die Steppnähte der Sitzbank bestellen kann, sind diese beim 70er-Modell nur in gelb erhältlich.

Reichweite: gut 93 Kilometer

Als erfreulich realistisch erwies sich hingegen (wie schon bei der 45-km/h-Elettrica) die Reichweitenanzeige. Mit vollgeladenen Akkus sollte der Testfahrer laut der Anzeige knapp 100 Kilometer weit kommen. Bei mehreren Ausfahrten im hügeligen Umland von München wie auch im relativ ebenen Stadtzentrum schaffte es der Roller dann gut 93 Kilometer weit. Viele andere E-Roller liefern da schlechtere Prognosen ab.

Akkus und Ladevorrichtung sind auch bei der schnellen E-Vespa fest verbaut und lassen sich nicht entnehmen. Die Piaggio-Leute verkaufen das gerne als Vorteil: Wer zum Beispiel mit der Elettrica einen längeren Ausflug machen und unterwegs etwa an einer E-Bike-Ladestation Strom tanken möchte, der habe das Ladegerät stets an Bord. Doch man kann das auch anders sehen: Denn wer keine Garage mit Stromanschluss besitzt oder ein Haus mit Außensteckdose sein Eigen nennt, der muss sich erst umständlich Lademöglichkeiten suchen. Auch im Job könnte das Laden schwierig werden: Den Akku am Parkplatz entnehmen und im Büro anstöpseln - das geht bei der Elettrica nicht. Zudem ist der Elektroflitzer mit 6520 Euro nicht gerade ein Schnäppchen. Ein Plus aber bleibt: Anders als viele andere E-Roller bietet die Elettrica unter der Sitzbank ein kleines Staufach, in dem zumindest ein schmaler Jethelm Platz findet.

Hinweis der Redaktion

Ein Teil der vorgestellten Produkte wurde der Redaktion von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und/oder auf Reisen präsentiert, zu denen Journalisten eingeladen wurden.

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SZ vom 11.07.2020/reek
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