Süddeutsche Zeitung

Peugeot streicht 8000 Stellen in Frankreich:Spar-Orgie in Paris

200 Millionen Euro hat der französische Autobauer seit Mitte 2011 verbrannt - pro Monat. PSA ist zu einem Symbol für die Misere von Europas Massenherstellern insgesamt geworden. Ein Erklärungsversuch.

Thomas Fromm

Es gab Zeiten, da waren Autos mehr als nur Fortbewegungsmittel. Sie transportierten Botschaften. Der Fiat Cinquecento zum Beispiel. Er war der Beleg dafür, dass Italien in der Moderne angekommen war. Ein Land, in dem man ab sofort nur noch am Wochenende, zum Spaß und in bunten Trikots Fahrrad fuhr. Aber nicht mehr, weil man es musste. In Frankreich gab es zwei Autos, die zeigten, wo das Land gerade stand und wo es hin wollte. Das eine, das war der Citroën 2CV. In Deutschland nannte man das kleine Auto mit luftgekühltem Zweizylinder-Boxermotor liebevoll "Ente". Tatsächlich aber stand der kalkulierte Design-Anachronismus für Égalité. Gleichheit.

Und dann gab es den Citroën DS, jenes wundersame Ding, das mit einer hydropneumatischen Federung arbeitete. Parkte man, senkte sich der Wagen allmählich ab. Es gibt eine Szene in dem Film Fantomas gegen Interpol aus dem Jahre 1965, da hebt Jean Marais als Fantomas mit einem DS ab. Der Citroën als fliegende Gangster-Limousine, mit Flügeln und feurigen Raketendüsen, der 2CV als entschiedenes Statement gegen die Wucht der großen Limousinen. Frankreichs Autoindustrie, in jenen Jahren bewegte sie sich zwischen Nonkonformismus und futuristischen Visionen.

Und die Franzosen liebten ihre Autos gerade deshalb. Auch wenn diese meistens kleiner waren als deutsche oder amerikanische Autos. Sie waren auf ihre Art französisch. Deshalb stehen sie nun alle unter Schock: die Politiker, die Gewerkschafter, die Arbeiter sowieso. Denn die Botschaft am Donnerstag war verheerend. 8000 Stellen will PSA Peugeot Citroën im ganzen Land streichen, die traditionsreiche Fabrik von Aulnay-sous-Bois nördlich von Paris mit ihren 3000 Mitarbeitern soll ganz geschlossen werden. Premierminister Jean-Marc Ayrault spricht von einem "Schock", die Gewerkschaften reden von einem "Erdbeben" und einer "Kriegserklärung". Sie drohen mit Protesten und Streiks. Und wissen doch, dass sie allzu viel nicht erreichen können.

Denn dem Konzern geht es miserabel, und die Kriegserklärung klang entsprechend dramatisch. "Die Tiefe und Hartnäckigkeit der Krise, die unser Europa-Geschäft belastet, haben diese Reorganisation unerlässlich gemacht, um unsere Produktionskapazität an die absehbaren Markttrends anzupassen", sagt der PSA-Vorstandsvorsitzende Philippe Varin.

Reorganisation, Kapazitäten, Markttrends - es sind die Schlagwörter aus dem Lexikon der globalen Autoindustrie. PSA, der nach Volkswagen zweitgrößte Autokonzern Europas, schrumpft unaufhaltsam. In Europa ging der Marktanteil zwischen 2010 und 2011 von 14,2 auf 13,3 Prozent zurück. In diesem Jahr rechnet man mit einem Absatzrückgang von zehn Prozent. Was bedeutet: Das große Schrumpfen geht weiter. Und es frisst sich mitten in die Konzernkassen: Im ersten Halbjahr blieb PSA in den roten Zahlen stecken. 200 Millionen Euro verbrannte der Autohersteller seit Mitte 2011 - pro Monat. Schon im November hatte Varin den Abbau von 6000 Stellen angekündigt. Nun also geht es weiter.

Weil die Nachfrage in Europa immer mehr zurückgeht, die Preise immer mehr sinken, während die Bestände in den Lagern und auf den Höfen der Händler immer größer werden, zieht der Konzern die Reißleine. Und spart sich immer kleiner.

PSA ist damit zu einem Symbol für die Misere von Europas Massenherstellern insgesamt geworden. PSA verkauft einen Großteil seiner Autos auf dem Krisenkontinent Europa, genauso wie Renault, Fiat und Opel. Alle hatten es in den vergangenen Jahren versäumt, mit ihren Modellen nach Asien und in die USA zu gehen. Sie hatten geglaubt, dass das Geschäft mit kleineren Modellen für immer gut gehen würde. Sie irrten sich. Der Rivale und Massenproduzent VW war rechtzeitig auf andere Kontinente ausgewichen und kann das europäische Auto-Desaster nun kompensieren. Andere wie BMW, Daimler oder Audi spielen ohnehin in einer anderen Liga - und verdienen noch immer prächtig an der Nachfrage nach teuren Oberklasse-Autos.

Nicht zufällig war erst vor Kurzem eine gemeinsame Allianz von BMW und PSA bei Hybridantrieben geplatzt. Offiziell, weil PSA längst auch mit dem Auto-Koloss General Motors (GM) zusammenarbeitet. Die Amerikaner hatten sich mit sieben Prozent bei PSA eingekauft - eine neue Beteiligung, die neue Abhängigkeiten und neue Begehrlichkeiten schuf. Am Ende aber war man auch in München nicht ganz unglücklich darüber, dass sich die Liaison mit den Franzosen auflöste.

Der Anfang einer neuen Ära in der weltweiten Autoindustrie?

Insofern ist die Spar-Orgie in Paris ein schlechtes Omen für viele. Bei Fiat wird früher oder später ebenso gestrichen werden wie bei der deutschen GM-Tochter Opel, wo die Arbeiter derzeit noch von Standort- und Beschäftigungsgarantien geschützt werden. Auch hier aber ist das Thema Werksschließungen längst auf dem Tisch.

Es könnte der Anfang einer neuen Ära in der weltweiten Autoindustrie sein; Experten sprechen hierbei von einer beginnenden "Branchenkonsolidierung". Das bedeutet: Nicht alle Hersteller werden in einigen Jahren noch am Markt sein. Die Schwächsten von ihnen werden von den Stärkeren übernommen oder verschwinden so. Wie auch immer, es werden weniger. Patentrezepte gegen den Niedergang gibt es keine. Eines ist inzwischen diskreditiert: Noch vor drei Jahren wurden die Autobauer mit Hilfe der Abwrackprämie hochgepäppelt, man verkaufte blendend mithilfe des Staates. Jetzt, wo die Kunden ein neues Auto haben, herrscht erst mal Stillstand.

Die Regierung in Paris plant nun einen staatlichen Hilfsplan für die Autoindustrie, der am 25. Juli präsentiert werden soll. Die Chancen aber, dass PSA noch einmal richtig fliegt, stehen derzeit schlecht. Die Botschaften von Fantomas, dem Citroën DS und dem 2CV, sie sind lange her. Und irgendwie waren es auch andere Zeiten.

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SZ vom 13.07.2012/goro
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