Süddeutsche Zeitung

E-Bikes im Kurztest:Rückenwind im Unterrohr

Ob Rennrad, Lastenesel oder Faltrad: Der Markt für Pedelecs boomt. Die Vielfalt der Modelle ist mittlerweile schier grenzenlos - wie diese drei Modelle zeigen.

Von Marco Völklein

Der Fahrradmarkt steht unter Strom: 2019 war bereits fast jedes dritte verkaufte Rad ein Pedelec, also eines, das den Fahrer beim Treten elektrisch unterstützt. Und in diesem Jahr, so heißt es bei Hersteller wie Händler, setzt sich der Trend zum E-Motor weiter fort. Die Hersteller reagieren - und bringen Pedelecs für unterschiedlichste Zielgruppen. Drei Beispiele aus dem Test-Fuhrpark der SZ:

Für Schnellfahrer

"Ist das Dein Ernst?", ruft der Rennradfahrer herüber. Eine ganze Weile ist er an der längeren Steigung in der Nähe von Mühldorf, gut 75 Kilometer östlich von München, hinter einem gefahren, nun zieht er mit voller Kraft vorbei. Und wirft dabei einen verächtlichen Blick auf das Scott Addict eRide: "Ein Rennrad als Pedelec? Nicht wirklich, oder?" Tatsächlich ist der Schweizer Hersteller Scott nicht der erste Hersteller, der ein Rennrad mit elektrischer Unterstützung auf den Markt gebracht hat. Die Scott-Leute allerdings setzen alles daran, dass man die E-Komponenten möglichst nicht bemerkt.

Der 252 Wattstunden fassende Akku zum Beispiel steckt im Unterrohr, ein weiterer Akku ist optional, der wird dann als Trinkflasche getarnt am Sitzrohr verbaut. Der 40 Newtonmeter leistende Motor von Mahle wiederum arbeitet in der Hinterradnabe, gut versteckt hinter dem Ritzelpaket. Dem Rennradler bei Mühldorf indes ist er trotzdem aufgefallen - und das, obwohl er im Vergleich zu anderen Pedelec-Motoren relativ leise arbeitet.

Puristen also stören sich an einem E-Antrieb also; auf die ziele das eRide aber auch nicht ab, sagen die Marketingleute von Scott. Vielmehr habe man diejenigen im Blick, die den Schnellradlern bislang hinterherhecheln - etwa den Ehemann, der gegenüber seiner Sportskanonen-Gattin am Berg stets nach Nachsehen hat. Oder ältere Rennradler, die weiterhin mit den jüngeren in der wöchentlichen Trainingsgruppe unterwegs sein wollen.

Und tatsächlich bringt der E-Antrieb gerade am Berg einen zusätzlichen Schub, viele Steigungen verlieren damit ihren Schrecken. In der Ebene wiederum meldet sich der Motor rasch ab, weil er - wie bei allen Pedelecs - bei etwa 25 Kilometer pro Stunde abschaltet. Aber auch dann macht das eRide Spaß, weil es mit fast elf Kilogramm ein echtes Leichtgewicht ist - der Vortrieb allein durch Muskelkraft ist also auch locker möglich. Nur beim Preis hört der Spaß auf: Die günstigste Version kostet 4499 Euro, die (von der SZ getestete) Premium-Variante kommt auf 9299 Euro.

Für Auflader

Ein völlig anderes Konzept für eine ganz andere Zielgruppe hat Tern mit seinem kompakten HSD im Visier. Das Rad ist mit seinen beiden 20 Zoll großen Reifen relativ kompakt, kann aber mit zahlreichen Taschen und Anbauten zu einem echten Lastenesel umfunktioniert werden. So lassen sich unter anderem etwa am überlangen Heckgepäckträger zwei große Taschen befestigen, am Steuerrohr kann zudem ein weiterer Front-Gepäckträger oder eine Tasche montiert werden. Und wer 180 Euro für den "Captain's Chair" ausgibt, ein bequemes Sitzpolster mit Rückenlehne zur Montage auf dem Heckträger, der kann auch noch einen Passagier zusätzlich mitnehmen. Voraussetzung ist allerdings, dass dieser nicht mehr als 60 Kilo wiegt.

Das Schöne ist, dass das HSD, mit dem man locker den Wochenendeinkauf nach Hause bringt, sich gut in die hinterste Ecke der Garage oder einem engen Keller verstauen lässt. Der Lenker ist wegklappbar, die Sattelstütze kann mittels zweier Schnellspanner sehr tief versenkt werden. Zudem besitzt der Heckträger vier kleine Stütznoppen, sodass sich das kompakte Tern auch hochkant parken lässt.

Die Preise liegen je nach Ausstattung zwischen 3399 und 5199 Euro. Das von der SZ getestete HSD S8i mit Achtgang-Nabenschaltung und Bosch-Active-Line-Plus-Mittelmotor kommt auf 3999 Euro. Damit ist das Rad auch voll beladen flott unterwegs, der Motor zieht gut und arbeitet relativ leise, die Abstufung der Achtgang-Nabenschaltung ist für die topografischen Anforderungen in und um München ausreichend dimensioniert. Und das HSD ist erstaunlich komfortabel: Die aufrechte Sitzposition sichert einen guten Überblick im Verkehr, gröbere Unebenheiten, welche die kleine Federgabel mit 70 Millimeter Federweg nicht schlucken sollte, gleichen die breiten Ballonreifen aus.

Für Smartphone-Fans

Ähnliches gilt für das Gocycle GX. Auch dieses rollt auf relativ breiten 20-Zoll-Reifen - und bietet so eine ganze Menge an Fahrkomfort. Zudem haben die Gocycle-Entwickler am Hinterrad noch eine zusätzliche Dämpfung mit 25 Millimeter Federweg verbaut. Auch das gleicht vieles aus.

Vor allem aber zeichnet das 3199 Euro teure GX ein gewiefter Klappmechanismus aus. Der funktioniert intuitiv, egal, an welcher Stelle man das Rad anfasst, es entfaltet sich quasi von selbst, am Ende muss man nur eine Verriegelung in der Rahmenmitte schließen, den Lenker hoch- und die Pedalrasten ausklappen - fertig!Das Ganze dauert nur wenige Sekunden.

Wer dann aber gleich aufs Rad springen und losbrausen möchte, wird ausgebremst. Zumindest wenn man das 17,5 Kilogramm schwere Rad mit Motorunterstützung steuern möchte. Denn um den Antrieb zu aktivieren, muss zunächst die Gocycle-App aufs Smartphone geladen und diese via Bluetooth mit dem Rad gekoppelt werden. Das Smartphone selbst lässt sich dann mit zwei Gummibändern am Lenker festschnallen - das Display fungiert dann unter anderem als Tacho. Außerdem lassen sich so während der Tour auch die diversen Fahrmodi anwählen.

Ohnehin bietet die App eine Menge an technischen Spielereien. So kann man Daten etwa zu Durchschitts- und Höchsttempo, Trittfrequenz, Kalorienverbrauch und vielem mehr abrufen. Und neben vier voreingestellten Fahrmodi lassen sich unbegrenzt viele weitere Modi konfigurieren.

Und tatsächlich sollte man damit ein wenig herumprobieren. Denn die ab Werk verbaute Shimano Nexus-Dreigang-Schaltung bietet schon in leicht hügeligem Terrain eine zu geringe Bandbreite, um komfortabel die Steigungen zu meistern. Entsprechend viel Motorunterstützung muss dazugeschaltet werden. Entweder über die App oder über einen Turbo-Knopf am Lenker. Wer den drückt, spürt einen heftigen Rückenwind. Gespeist aus dem im stabilen Rahmen verbauten Akku.

Hinweis der Redaktion

Ein Teil der im "Mobilen Leben" vorgestellten Produkte wurde der Redaktion von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und/oder auf Reisen präsentiert, zu denen Journalisten eingeladen wurden.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2020/reek
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