Pedelecs im Crashtest:Pfeilschnell ins Verderben

Elektro-Fahrräder sind schwer in Mode, doch ein Crashtest entlarvte jetzt gravierende Sicherheitsmängel - lebensgefährliche Verletzungen können die Folge sein.

Daniel Hautmann

Mühelos tritt der Radfahrer in die Pedale. 44 km/h zeigt der Tacho - der elektrische Zusatzantrieb verleiht mächtig Schub. Rund 100 Meter weiter ahnt der Fahrer des gelben Kombis, der in die Straße einbiegen will, nicht, wie schnell der Radler ist. Das reicht dicke, denkt er, genügend Zeit.

Auto 11.04.11

Ohne Knautschzone: Im Crashtest prallt der Radler gegen das Auto, durchschlägt mit den Armen die Fensterscheibe und rammt sich den Lenker ins Becken. Das Ergebnis sind schwere bis lebensgefährliche Verletzungen des Radfahrers.

Doch dann passiert es: Ungebremst kracht der Radler in die Seite des Wagens. Glas splittert, Blech verbeult, Knochen brechen. Zuerst prallen seine Knie gegen die Tür, Sekundenbruchteile später klatscht sein Brustkorb gegen die Kante des Dachs. Schließlich schlägt der Radler mit dem Kopf auf der Frontscheibe auf und bleibt liegen.

Der tödliche Unfall war zum Glück nur gestellt. Der Radler, ein mit Sensoren gespickter Dummy, prallte im gleißenden Licht der Crashtest-Anlage gegen den gelben Kombi - im Dienste der Unfallforschung und gefilmt von Hochgeschwindigkeitskameras. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) demonstrierte auf diese Weise, wie gefährlich die Fahrt auf sogenannten Pedelecs sein kann.

Pedelecs sind Fahrräder mit Hilfsmotor. Sobald der Fahrer in die Pedale tritt, unterstützt ihn ein bis zu 500 Watt starker Elektromotor, der von leistungsstarken Batterien gespeist wird. Offiziell sind Pedelecs, zumindest solche, die maximal 25 km/h schnell sind, Fahrräder. Und die dürfen ohne Helm gefahren werden, das hat die Verkehrsministerkonferenz gerade bestätigt.

Bikes mit eingebautem Rückenwind sind schwer angesagt. 2010 wurden in Deutschland rund 200.000 dieser Räder verkauft, vor allem ältere Menschen wissen den Extraschub zu schätzen.

Aber zunehmend schwingen sich auch Jüngere aufs E-Rad, ziehen ihre Kinder im Anhänger übers Land oder radeln auf dem Weg ins Büro vielfach Strecken, die ihnen ohne Unterstützung viel zu lang wären. Kurz: Pedelecs sind der Renner. Ende des Jahres, so schätzt der GDV, werden rund 600.000 Elektrofahrräder in Deutschland unterwegs sein.

Die traurige Wahrheit ist, dass jedes Jahr etwa 500 Menschen durch Radunfälle sterben - ob mit oder ohne Motor. Und die Unfallforscher des GDV rechnen mit weiter steigendem Risiko durch die Pedelecs. Und das nicht nur für die Fahrer, sondern auch für andere Radler und Fußgänger. Das war der Grund für sechs Crashtests in verschiedenen Konfigurationen: Pedelec gegen Auto, Pedelec gegen Radfahrer, Pedelec gegen Fußgänger.

Herkömmliche Fahrradbremsen sind nicht fürs Gewicht und Tempo von Pedelecs geeignet

Gesteigert wird das Gefahrenpotential auch durch möglich werdende Distanzen, denn: Mit einem Pedelec sind 80-Kilometer-Ausfahrten kein Problem. "Werden mehr Kilometer gefahren, gibt es mehr Unfälle", sagt Siegfried Brockmann. Und problematisch sei auch die gesetzliche Einstufung der Gefährte. Vor allem schnelle Pedelecs, die bis zu 45 km/h erreichen, seien eigentlich als Leichtkraftrad einzustufen.

Die Konsequenz: Helmpflicht, Versicherung, Rückspiegel, Abblend- und Bremslicht. Das allerdings hat mit der Praxis nichts zu tun. "Die bewegen sich eigentlich illegal auf der Straße", sagt Brockmann. Also fordern er und seine Kollegen eine eigene Klasse für die Pedelecs 45, die schnellen E-Räder.

Ob die Fahrradindustrie das begrüßen wird, ist eine andere Frage. Denn sie verdient gut am Radeln unter Strom. "Mittelfristig kann der Anteil der E-Bikes am Gesamtfahrradmarkt in Deutschland zwischen zehn und 15 Prozent liegen, dies entspräche einer Stückzahl von 400.000 bis 600.000 Fahrzeugen", sagt Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV).

Es geht aber noch um weit mehr als die Helmfrage. Denn in der Regel sind die Pedelecs normale Fahrräder mit gewöhnlichem Rahmen und konventionellen Bremsen. Und kaum ein Fahrzeug ist für hohe Geschwindigkeiten und große Gewichte ausgelegt. In eben diese Räder aber bauen viele Hersteller ihre Elektrosätze. Entweder stecken Radnabenmotore im Vorder- oder Hinterrad; andere Konzepte integrieren den Antrieb zentral auf Höhe des Tretlagers. Selbst Nachrüstsätze sind für wenige Hundert Euro zu bekommen.

Durch das zusätzliche Gewicht und das hohe Tempo steigen die Ansprüche an die Bremsen. Aber immer noch kommen manche Pedelecs, die rund 30 Kilogramm wiegen, mit gewöhnlichen Felgenbremsen daher, die bei Nässe kaum wirken. Aber auch Scheibenbremsen sind nicht nur von Vorteil, denn in Paniksituationen neigen Freizeitradler zur ungewollten Vollbremsung. Die Folge: Das Vorderrad blockiert und rutscht weg. Hydraulische Felgenbremsen scheinen die bessere Wahl zu sein.

Auch die Rahmen der meisten Räder sind kaum für die entstehenden Belastungen ausgelegt. "Vibrationen sind generell ein Problem", sagt Brockmann. Dadurch steigt die Gefahr von Rahmenbrüchen - bei Tempo 40 ist das lebensgefährlich. Und besonders bei den vergleichsweise billigen Pedelecs, die oft in Baumärkten verkauft werden, wird die Bedienung des Zusatzantriebs zur Herausforderung: Am Lenker hängen Kabel, Schalter und Displays und sorgen für Verwirrung.

Brockmann und seine Kollegen fordern daher ein Ende des "Einsetzen von Komponenten" in normale Räder. Stattdessen, so ihr Standpunkt, sollten Pedelecs komplette Neuentwicklungen sein.

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