Ostsee-Pipeline:Volles Rohr

Wracksuche, Munitionsbergung, Kartografie: Die Vorbereitungen für den Bau der Ostsee-Pipeline laufen auf Hochtouren.

Klaus C. Koch

Aus der Vogelperspektive wirken die Rohre der künftigen Pipeline wie ein Streichholz-Mikado - beinahe fragil. Miteinander verschweißt werden sie sich wie der hauchdünne Faden einer Spinnwebe vom russischen Wyborg bis nach Lubmin bei Greifswald über 1223 Kilometer quer durch die Ostsee hinziehen - eine Rohrleitung, nicht mehr als ein dürrer Strich auf der Landkarte. Von 2012 an soll sie unter Umgehung von Polen, Estland, Lettland und Litauen Westeuropa mit zusätzlichen 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland versorgen.

Ostsee-Pipeline: Startschuss: Während bereits Pipelinerohre angeliefert werden, ...

Startschuss: Während bereits Pipelinerohre angeliefert werden, ...

(Foto: Foto: kck)

Das 7,6 Milliarden Euro teure Projekt geht mit dem Ausbau der Häfen zwischen Rügen, dem schwedischen Karlskrona und Wyborg einher. Auf dem Schienenweg und auf See ächzt die Logistik bereits unter Millionen Tonnen von Stahl. 800 Kilometer Rohrmaterial sollen bereitliegen, wenn im Frühjahr die Verlegung beginnt. Rein rechnerisch werden es mehr als 100.000 Rohre sein, die von gigantischen Kranschiffen wie der italienischen Castoro Sei und einer bis zu 300-köpfigen Crew mit einem Tempo von bis zu dreitausend Meter pro Tag auf dem Meeresboden verlegt werden sollen.

Jedes Rohr - nach Angaben von Transport-Chef Klaus Schmidt 1,1 Meter im Durchmesser, zwölf Meter lang und zwölf Tonnen schwer - wird zudem mit einem Betonmantel versehen, der das Gewicht nochmals verdoppelt. Sonst hätte später die mit Gas gefüllte Pipeline zu viel Auftrieb und würde nach oben drängen. Die Betonhülle, zwischen sechs und elf Zentimeter dick, soll die Röhre außerdem vor Beschädigungen schützen - zum Beispiel dann, wenn Schiffe genau über der Trasse Anker werfen. Der zweite Strang, über dessen Genehmigung gerade verhandelt wird, soll noch einmal dieselben Masse haben. Das wären dann insgesamt 200 000 Röhren. Aber nicht alles rund um den Bau dieser gewaltigen Pipeline ist nur rein rechnerisch zu ermitteln.

Im Report des Instituts für Angewandte Ökologie, das sich mit den Auswirkungen des Pipelinebaus auf die Umwelt befasst, heißt es, dass bei den Arbeiten der Meeresgrund aufgewühlt wird. Dazu bestünde die Gefahr, dass durch Schmutz und Lärm Meeresbewohner wie Seehunde, Fische und zahlreiche Vogelarten vertrieben werden. Für den Pipeline-Betreiber ist das kein Problem - schließlich sei das nur vorübergehend und die Tiere könnten später ja wieder zurückkehren. Während der Verlegearbeiten, so haben es die Wissenschaftler hochgerechnet, werden entlang des 15 Meter breiten Verlegekorridors insgesamt rund 502 Tonnen an Schadstoffen aufgewirbelt. Allerdings sei das, so die Experten, im Vergleich zu einer Million Tonnen an Stickstoffen und 35.000 Tonnen an Phosphaten, die von den Anrainern pro Jahr in das weltweit größte Brackwasser-Binnenmeer gepumpt werden, relativ wenig.

Molche kontrollieren später die Pipeline

Dasselbe gelte für insgesamt die insgesamt 36 Quadratkilometer auf dem Meeresgrund, die umgegraben werden müssen - dagegen stehen insgesamt 15.000 Quadratkilometer, die alljährlich von den Schleppnetzen der Fischfangflotten umgepflügt werden. Kaum jemand zieht diese Zahlen in Zweifel; das Institut erstellt vorrangig Gutachten im Zusammenhang mit dem Bau von Offshore-Windparks, bei Hafenerweiterungen und der Vertiefung von Fahrrinnen im als sensibel geltenden baltischen Meer.

Ostsee-Pipeline: ... suchen Spezialisten entlang der Trasse noch nach Munition.

... suchen Spezialisten entlang der Trasse noch nach Munition.

(Foto: Foto: kck)

Monatelang hatte die Pollux, ein für diese Einsätze umgebauter Kutter, mit hochmodernem Gerät den Meeresboden kartiert, um die ideale Trasse zu finden. Dabei wurden Einkaufswagen und Kühlschränke gefunden, aber auch Schiffsfriedhöfe und Kanonen aus dem 18. Jahrhundert, untergegangene Wälder und Minen. Am Wrack der am 28. September 1994 gesunkenen Estonia führt die Rohrleitung in respektvollen 7,5 Kilometer Abstand vorbei. Und jene Gebiete der Ostsee, in denen über viele Jahrzehnte hinweg Munition verklappt wurde, wurden gemieden. Ohnehin, so heißt es offiziell, seien Minenräumaktionen vor den Küsten des Baltikums "nichts Ungewöhnliches". Immerhin entfernte allein die deutsche Marine zwischen den Jahren 1996 und 2008 mehr als 500 Sprengkörper aus der Ostsee.

Die Betriebssicherheit der Pipeline selbst wird später durch sogenannte Molche kontrolliert - ferngesteuerte Fahrzeuge, die in ihren Abmessungen genau dem Innenmaß der Röhre angepasst sind, werden durch die Pipeline geschickt und übermitteln die Ergebnisse dieser Kontrollfahrten an die Zentrale.

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