Opel: Zukunftstrategie gesucht:Neue Ziele, alte Fehler

GM behält Opel, über Strategie und die richtigen Produkte wird in Rüsselsheim und Detroit aber heftig gestritten.

Georg Kacher

Nach der Krise ist vor der Krise, das gilt für alle Beteiligten. Der Magna-Patriarch Frank Stronach hat seinen Lebenstraum wohl endgültig ausgeträumt, dabei geschätzte 80 Millionen Euro in den Sand gesetzt und seine Mannschaft ein Jahr lang auf einer Phantom-Baustelle aufgerieben. Auch Opel hat zwölf Monate verloren, dazu den Chef, den Glauben an eine bessere Zukunft und die Hoffnung, dass man mit einer 50-Milliarden-Dollar-Spritze aus Washington auch Sinnvolleres tun kann als Marken zu schließen (Pontiac, Saturn), zu verkaufen (Saab, Hummer) oder am langen Arm verhungern zu lassen (Opel, Vauxhall).

Opel: Zukunftstrategie gesucht: Drei für alle: Opel und GM halten bei den Plattformen an der Drei-Säulen-Matrix fest. So stehen beispielsweise Fiat Punto und Alfa MiTo auf derselben Basis wie Opel Corsa und Meriva. Nachteil der Strategie: Die Säulen sind nur teilweise miteinander vernetzt und die Austauschbarkeit von Komponenten ist beschränkt.

Drei für alle: Opel und GM halten bei den Plattformen an der Drei-Säulen-Matrix fest. So stehen beispielsweise Fiat Punto und Alfa MiTo auf derselben Basis wie Opel Corsa und Meriva. Nachteil der Strategie: Die Säulen sind nur teilweise miteinander vernetzt und die Austauschbarkeit von Komponenten ist beschränkt.

(Foto: SZ-Graphik: Ilona Burgharth)

Weil sich die alte GM-Garde unter Fritz Henderson und Bob Lutz mit den neuen Wachhabenden unter Verwaltungsratschef Ed Whitacre offenbar nicht auf eine Vorgehensweise einigen kann, wird die Neuerfindung von Amerikas Nummer eins immer mehr zur Hängepartie ohne klare Ziele und zukunftsträchtige Visionen.

Die Rolle von Opel in diesem Drama erinnert stark an einen tragischen Helden, der im Bruderzwist mit Chevrolet - genauer: GM DAT, ehemals Daewoo - und in der wieder belebten Abhängigkeit von der Konzernmutter zugrunde zu gehen droht. Chevy und Opel, diese komplementäre Zwei-Preisklassen-Welt könnte und sollte so funktionieren wie Škoda und VW. Das tut sie aber nicht. Stattdessen entwickelt sich zwischen den Marken ein immer heftigerer Konkurrenzkampf, der im Kleinwagensegment demnächst eskalieren dürfte.

Konkret geht es um den Opel-Mini, der unterhalb des Corsa auf Kundenfang gehen soll. Während man in Rüsselsheim dieses Auto auf eine verkürzte Corsa-Plattform stellen und in Europa bauen möchte (Eisenach oder Zaragoza), plädiert die Führung in Detroit für eine Fernost-Lösung unter der Regie von GM DAT. Dabei ist an einen Ableger des Chevrolet Spark gedacht, der allerdings kaum die hohen Anforderungen an den Antriebsstrang und die Fahrdynamik erfüllen dürfte, die europäische Kunden mit der Marke Opel verknüpfen. Dass die Korea-Connection als Fahrzeuglieferant nur bedingt funktioniert, beweist bereits der mit dem Chevy Captiva weitgehend baugleiche Opel Antara Geländewagen, der qualitativ deutlich abfällt, dem technischen Fortschritt hinterherfährt und sich entsprechend schlecht verkauft.

Die großen Herausforderungen kommen erst noch

Opel muss sich am unteren Ende der Produktskala relativ kurzfristig neu aufstellen. Die Zusammenarbeit mit Fiat - Corsa und Fiat Grande Punto/Alfa MiTo teilen sich die Gamma-Architektur - darf durch die Übernahme von Chrysler wohl als beendet gelten. Auch die Kooperation mit Suzuki, dem Lieferanten des Opel Agila, könnte bald auslaufen, denn Suzuki soll als elfte Marke in den VW-Konzern integriert werden. Eine Fahrzeuglieferung an direkte Wettbewerber erscheint als unwahrscheinlich.

Anders als bei GM DAT hat man in Detroit wenig Interesse an neuen Modellen unterhalb des Corsa. Entsprechend schwierig war es für die alte Opel-Spitze, Gelder für nötige Technologien (Elektroantrieb, Dreizylindermotoren, kleine Doppelkupplungsgetriebe) loszueisen. Ein hochrangiger Magna-Manager erinnert sich: "Opel hat zwei fast unlösbare Probleme - Aggregate und Module. Es fehlt an beidem und das kann sich eine Marke nicht leisten, die aktuell weniger als eine Million Fahrzeuge pro Jahr produziert. Unter 1,5 Millionen Einheiten ist Opel auch im Verbund kaum überlebensfähig, denn so fressen einen die Entwicklungs- und Stückzahlkosten auf."

Das große Vorbild von Opel ist gleichzeitig das größte Feindbild: VW. Während anderswo gekürzt und gestrichen wird, zieht der Volkswagen-Konzern auf und davon, macht mit rasch wachsenden Stückzahlen und entsprechend attraktiven Synergien Jagd auf Toyota. Im Gegensatz zu VW, das für alle Frontantriebsmodelle sämtlicher Marken eine innovative, hochflexible modulare Querplattform (MQB) konzipiert hat, hält GM/Opel an der Drei-Säulen-Matrix fest.

Das Problem: Die Säulen sind nur teilweise miteinander vernetzt, die Austauschbarkeit der Komponenten ist beschränkt, Entwicklung, Einkauf und Produktion lassen sich nicht über einen einzigen, damit kostengünstigen Kamm scheren. Opel arbeitet zwar an einer Evolution dieses Baukastens, doch auch die neue Architektur (New Small statt Gamma für Corsa, New Midsize statt Delta für Astra und New Fullsize statt Epsilon für Insignia) ist nicht so flexibel wie der Gegenentwurf von VW.

Opel fehlt seit GT, Manta und Monza das Geld reizvolle Nischenmodelle

In der neuen alten Konstellation mit GM als oberstem Strippenzieher ist es außerdem fraglich, ob die in Amerika ungeliebten Kleinwagen überhaupt entsprechend berücksichtigt werden. Opel fehlt seit GT, Manta und Monza das Geld für jene Nischenmodelle, die eigentlich den Reiz der Marke mitbestimmen sollten. Daran wird sich auch unter US-Ägide nicht viel ändern: Der Astra CC bekommt keinen Nachfolger, der Tigra ist tot, der große Opel hat keine Zukunft, die geplanten Coupé- und Cabrio-Varianten auf Insignia-Basis kommen nicht auf die geforderten 20.000 Stück, der als Derivat des Cadillac Alpha-Projekts angedachte neue kleine Heckantriebs-Sportwagen wurde schon in der Vorentwicklungsphase gestoppt.

Damit beschränkt Opel seine Palette im wesentlichen auf relativ brave Brot- und-Butter-Autos wie Corsa/Meriva, Astra/Zafira und Insignia. Zwei Ausnahmen gelten allerdings als fix ausgemacht. 2012 kommt der Corsa SUV/Crossover, ein pfiffiges Hochdachmobil mit völlig eigenständiger Karosserie nach Art des A4 Allroad und des VW CrossPolo. Ein Jahr später wird der glücklose Antara durch den Astra SUV/Crossover ersetzt, der als Tiguan-Konkurrent Furore machen soll. Auch dieses Modell wird neu eingekleidet und ist gegen Aufpreis mit Allradantrieb zu haben.

Das Astra Cabrio auf GTC-Basis ist zwar auf dem Papier längst fertig, aber die Finanzierung funktioniert nur bei unrealistisch hohen Stückzahlen. Der eingangs erwähnte, auch als Elektrofahrzeug ausgelegte Opel Mini könnte als dreitüriges Corsa-Derivat schon Ende 2011 vorgestellt werden - vorausgesetzt, bei New GM hat man überhaupt noch Interesse an diesem Projekt.

In Bezug auf moderne Aggregate fehlt es bei Opel ebenfalls an allen Ecken und Enden. Mangelware sind moderne Dreizylinder (Diesel und Benziner), aufgeladene Benzindirekteinspritzer auch in den kleinen Hubraumklassen, starke Diesel, starke Vierzylinder-Benziner, Elektrotraktion, Hybridantrieb nicht nur für Volt/Ampera und natürlich Doppelkupplungsgetriebe (trocken, hybridfähig). Unter der Regie von Hans Demant entstand zwar ein ziemlich kompletter neuer Motorenbaukasten, doch weil es den leider nicht umsonst gibt, hat GM bereits den Rotstift angesetzt. Der 1,0-Liter-Benzin-Dreizylinder - ein moderner Turbodirekteinspritzer mit Schichtladung steht ebenso auf der Streichliste wie die projektierte nächste Diesel-Generation.

Opels Gesundung hängt leider von GM ab

O-Ton Rüsselsheim: "Detroit finanziert nur das, was auch in Amerika einsetzbar ist." Das sind vor allem Benziner aus den bekannten Baureihen Family One (1,6 und 1,6 Liter) sowie L850 (2,0 und 2,2 Liter). Bei der Evolution der kleinen Family-Zero-Aggregate (1,2 und 1,4 Liter) stoßen die Hessen ebenso auf Widerstand wie beim 1,2-Liter-Dreizylinder-Diesel. Auch die für Europa eigentlich unverzichtbaren größeren 1,6- und 2,2-Liter-Selbstzünder stehen auf der Kippe: "Entweder GM gibt in letzter Minute doch noch das Okay, oder wir suchen uns einen Entwicklungspartner, oder wir kaufen bei Dritten zu. Doch die Zeit drängt - vor allem bei den alternativen Antrieben ist es bereits fünf nach zwölf."

Die Chancen für eine Gesundung von Opel hängen auch davon ab, ob man in Detroit akzeptieren will, dass Rüsselsheim am besten geeignet ist, um für die gesamte GM-Welt alle Kernprojekte von New Mini bis New Fullsize abzudecken. Unter Magna-Regie wäre es denkbar gewesen, Module und Komponenten für Opel gezielt draußen zuzukaufen, doch GM muss dies alleine stemmen - es sei denn, man entscheidet sich wieder für eine Kooperation. Die Frage ist nur, mit wem. Die Frage ist auch, ob Detroit so ohne weiteres die Systemführerschaft für fast alle Volumenmodelle an Opel übertragen will, wo doch Kosten und Komplexität in Bezug auf made in Germany schon immer ein Thema waren.

Die Amerikaner müssten sich in dieser neuen Konstellation nämlich mit diversen Crossover-Varianten, den großen SUVs und Pick-ups, ein paar Exoten wie Corvette und Camaro sowie mit den von sinkenden Stückzahlen bedrohten Cadillac-Modellen bescheiden. Die Demut und die Voraussicht, die es braucht, um den Löwenanteil der Verantwortung freiwillig an die Fast-Abtrünnigen aus der alten Welt zu übertragen, mag man in der aktuellen Gemengelage eigentlich weder Obamas Getreuen noch den Old Boys aus Motown zutrauen.

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