Opel Astra:Bessere Zeiten

Der neue Opel Astra hat das Zeug, dem VW Golf kräftig einzuheizen. Wir sind ihn schon Probe gefahren - noch vor der offiziellen Premiere.

Georg Kacher

Nach Jahrzehnten der automobilen Fadesse trifft Opel plötzlich mitten ins Herz. Zuerst mit dem kompetenten Insignia und zwölf Monate später schon wieder mit dem Astra-Nachfolger. Beim Insignia hat die Anfangs-Euphorie dabei geholfen, kleine Schwächen wie die artifizielle Lenkung, die spröden Dämpfer und die mangelnde Kopffreiheit im Fond zu übertünchen. Der Astra IV gefällt dagegen auf Anhieb ohne wenn und aber. Speziell dort, wo der Insignia schwächelt, zeigt der kompakte Opel Stärke.

Opel Astra: Kräftiges Lebenszeichen: Der neue Opel Astra hat die Kantigkeit seines Vorgängers abgelegt und ist außerdem deutlich geräumiger geworden.

Kräftiges Lebenszeichen: Der neue Opel Astra hat die Kantigkeit seines Vorgängers abgelegt und ist außerdem deutlich geräumiger geworden.

(Foto: Foto: Opel)

Mit 4,42 Meter Länge übertrifft er den Vorgänger um 17 und den Golf sogar um 22 Zentimeter - da ist selbst in Reihe zwei genug Platz für lange Beine und das Haupt. Das neuentwickelte Fahrwerk mit Wattgestänge an der Hinterachse kombiniert präzise Radführung mit sanftem Ansprechverhalten. Die energiesparende elektrische Servolenkung ist direkt, mitteilsam und nicht zu leichtgängig.

Womit wir schon mitten drin wären in der Beurteilung eines ersten Vorserienautos, das auf einer Drei-Stunden-Fahrt kreuz und quer durch den Odenwald zeigen durfte, was in ihm steckt. Zum Beispiel ein sehr gutes Chassis, das mit dem adaptiven Dämpfersystem FlexRide und den ebenfalls optionalen 18-Zoll-Reifen besondere Talente in Richtung Komfort und Sportlichkeit entwickelt.

Die Vernetzung von Fahrwerk, Lenkung und Antrieb schafft mit relativ einfachen Mitteln ein hohes Maß an Agilität, Sicherheit und Geschmeidigkeit. Der Wagen fährt sich spielerisch leicht und trotzdem exakt, er ist wendig, ohne nervös zu sein, man ist unaufgeregt schnell unterwegs und hat Spaß am engagierten Handling. Viel Grip und gute Traktion unterstützen die bis in den Grenzbereich trittsichere Straßenlage. Keine Frage - die fahrdynamischen Talente des neuen Astra werden auch mit den 272 PS der künftigen OPC-Variante problemlos fertig.

Hält stoisch die Richtung, ist spielerisch beherrschbar

Wir fuhren den 1,6-Liter-Turbo-Benziner, der 132 kW (180 PS) und 230 Nm mobilisiert. Das leichtgängige und aufmerksame Sechs-Gang-Getriebe ist in den Gängen eins bis vier relativ kurz abgestuft, was auf kurvigen Landstraßen für mehr Spritzigkeit sorgt. Der fünfte darf als Fahrgang, der sechste als Schongang bezeichnet werden. Ein entsprechend langer Anlauf ist nötig, um auf der Autobahn die Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h zu erreichen. Die Beschleunigung von null auf 100 km/h haben wir mit 7,5 Sekunden handgestoppt. Weil die Typprüfung noch aussteht, sind die Werte für Verbrauch (6,9 Liter) und Abgas (CO2: 169 g/km) als vorläufig zu betrachten.

Endgültig positiv ist dagegen schon jetzt das Urteil zur stoischen Richtungsstabilität, zum weitgehend neutralen Eigenlenkverhalten und zur spielerischen Beherrschbarkeit. Der Astra IV lenkt willig ein, hält brav die Spur, unterdrückt schon im Ansatz unbotmäßige Aufbaubewegungen, verzögert prompt und wirkt ausgesprochen handlich.

Für sich betrachtet leistet sich der gar nicht mehr so kompakte Opel keine gravierenden Schwächen, doch im Wettbewerbsvergleich fällt auf, dass es in Rüsselsheim an Geld gefehlt hat für Technikzaubereien wie ein Doppelkupplungsgetriebe, den Allradantrieb und für eine eng gestaffelte Motorenpalette. Ein starker Benziner und ein besonders kräftiger Diesel sind aktuell ebenso wenig verfügbar wie die EcoFlex-Sparvariante oder irgendeine Form von Hybridantrieb.

Innen fehlt uns der zentrale Dreh-Drücksteller aus dem Insignia, der Ordnung in die unaufgeräumte Mittelkonsole bringen würde. Positiv ist dagegen das erweiterte Angebot an Mehrausstattungen, das vom großen Navi mit Farbbildschirm über das Panoramadach bis zu neuen Assistenzsystemen wie OpelEye (erkennt Verkehrszeichen), AFL+ (steuert unterschiedliche Lichtfunktionen) oder LDW reicht (warnt bei Verlassen der Fahrspur). Ein Sonderlob gibt's für die frei belegbaren Favoritentasten, für die inzwischen kinderleichte Bluetooth-Telefonie und für die genialen, weil wirklich rückenfreundlichen Sitze.

Opel Astra 2010 heißt: keine Risiken

Trotz sieben Zentimeter größerem Radstand ist der neue Astra zwar immer noch kein echter Fünfsitzer, aber ein deutlicher geräumigerer Viersitzer. Das Gepäckabteil über dem dreifach höhenverstellbaren Kofferraumboden fasst 380 Liter. Die Palette der Ausstattungsvarianten bewegt sich von jugendlich (Enjoy) bis gediegen (Cosmo), die Eckpunkte der Farbwelten heißen klassisch-schwarz und fast schon zu rot, die dazu passende Beleuchtung schimmert entweder goldgelb oder glüht orange. Insgesamt wirkt das Interieur großzügiger als in dieser Klasse üblich. Das gilt auch für die sorgfältige Verarbeitung und für die ansprechenden Werkstoffe.

Der viertürige Astra rollt unmittelbar nach seinem IAA-Debüt noch im Oktober zu den Händlern. Erst 2010 folgen der zweitürige GTC und der praktische SportsTourer-Kombi. 2011 komplettiert die dritte Zafira-Generation das Angebot, das künftig wohl kein Coupé-Cabrio mehr enthält. Die Preise werden erst später festgesetzt.

Unser Fazit: Ein Jahr nach dem Golf VI und ein Jahr vor dem neuen Focus hat Opel mit dem Astra-Nachfolger allen Finanznöten zum Trotz ein sehr kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben. Der Astra ist ein wirklich gutes Auto ohne Design-Risiken, Packaging-Kompromisse und Konzept-Experimente. Kein Trendsetter und Innovationschampion, aber der Opel im Golf-Format ist ohne Zweifel geräumiger, gelassener und gediegener geworden, er hat in Bezug auf Komfort und Agilität deutlich zugelegt, und er gibt sich in Form und Inhalt viel emotionaler und selbstbewusster.

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