Süddeutsche Zeitung

Oldtimer:Nur echt mit 21 Fenstern

30 Jahre stand der VW Bulli, Sondermodell "Samba", vollkommen unberührt in einer Scheune bei Hannover - ein Sensationsfund für Fans des VW-Klassikers. Und rasch war klar: Der Schrotthaufen ist ein Vermögen wert.

Von Felix Reek

So richtig schön ist der VW Bulli, Sondermodell "Samba", nicht mehr anzuschauen. Eine der Türen sieht aus, als habe eine Horde Mäuse in einer Fressattacke versucht, herauszufinden, ob Metall genauso lecker ist wie Käse oder andere Knabbereien. Die offensichtliche Antwort: ja. Der komplette Unterboden des Busses schimmert rostrot. Genauso wie die Radkappen oder das Gaspedal. Die Sitzbezüge sind zerschlissen, der Dachhimmel verdreckt und vergilbt. Der Motor läuft nicht mehr. Jeder, der dieses Auto sieht, dem würde nur ein Begriff dafür einfallen: Schrottkarre. Nicht so Lucas Kohlruss, der diesen Haufen Blech vor kurzem an seinen neuen Besitzer vermittelte. Er sagt bloß: "Das ist der Heilige Gral."

Kohlruss muss es wissen, er besitzt selbst acht VW-Busse. Sie tauchen in Werbespots auf, im Fernsehen, in Kinofilmen, er veranstaltet mit ihnen unter dem Firmennamen "Old Bulli Berlin" Stadtrundfahrten und Junggesellenabschiede in der Hauptstadt. Nebenbei sucht und verkauft er klassische VW Käfer und Transporter. Die findet er hauptsächlich in den USA, wo das Klima milder ist. In Deutschland setzen der viele Regen, die harten Winter und das Streusalz auf den Straßen den Oldtimern zu. Einen T1 Samba im Originalzustand in Europa, hergestellt im eigenen Land, das gibt es eigentlich nicht mehr.

Dachte Kohlruss, bis er einen Anruf erhielt. Der Mann am Telefon behauptete, er besäße genau so ein Modell. Einen VW Bulli Samba, Baujahr 1965, mit den charakteristischen 21 Fenstern. Geparkt seit 30 Jahren in einer Scheune bei Hannover mit lückenlosen Papieren, im Originalzustand. Verbriefte 24 904 Kilometer. Selbst die Quittung der Abmeldung gibt es noch: 23. Februar 1987. Der Heilige Gral.

Die Nachricht machte schnell die Runde. "Innerhalb von zwei Tagen wusste die ganze Bulli-Szene, dass es dieses Auto gibt", erklärt Kohlruss. VW-Busse der ersten Generation, die zwischen 1950 und 1967 hergestellt wurden, sind seit einigen Jahren die Oldtimer mit der höchsten Wertsteigerung. Gut erhaltene Fahrzeuge können bis zu 50 000 Euro kosten.

Das Sondermodell Samba, das 1951 auf der Automesse IAA in Frankfurt debütierte, ist besonders gesucht und deshalb noch einmal deutlich teurer. Es unterscheidet sich vom Standard-T1 durch die zweifarbige Lackierung, verchromte Radkappen, das Faltschiebedach und die kleinen Sichtfenster an der Dachkante. Das führte in den letzten Jahren sogar immer wieder dazu, dass einfallsreiche Betrüger den herkömmlichen T1 umbauten. "Die sägen das Dach ab, machen Fenster rein und verkaufen ihn für das Doppelte", erklärt Experte Lucas Kohlruss in breitem Berlinerisch. Mittlerweile gibt es mehr Sambas auf dem Markt, als gebaut wurden. Taucht eines der seltenen Originale auf, zahlen Sammler 100 000 Euro und mehr. Dabei sind die Kosten für eine Restaurierung noch nicht mit eingerechnet.

Ganz so teuer wurde es für den neuen Besitzer des Sambas aus Hannover nicht. Kohlruss stellte den Kontakt zu Martin Dreher her, der das Wrack für einen mittleren fünfstelligen Betrag dann kaufte. Warum der VW-Bus drei Jahrzehnte vor sich hin rottete, weiß er nicht. Vier Halter hatte der 44 PS starke Transporter, der zuerst in Braunschweig zugelassen wurde und zeit seines Autolebens in Niedersachsen blieb. Der letzte Besitzer parkte den VW-Bus in einer Scheune und schenkte ihn irgendwann seinem Neffen, dem das Auto erst wieder einfiel, als er Geld für den Bau eines Hauses benötigte.

Für Dreher ein echter Glücksfall. "Die Leidenschaft zum Bulli war schon von Kind auf da", erzählt er. Sein Vater arbeitete 25 Jahre lang bei VW und leitete zuletzt das Volkswagen-Zentrum in Berlin. Schon früh war ihm klar, dass es unbedingt ein Bulli sein sollte, am besten ein Samba. Ein Auto, das ganze Generationen und Subkulturen geprägt hat. Hippies, Surfer, Musiker, die Anti-Atomkraftbewegung - sie alle fuhren Bulli. Und liebten das Auto für seine Vielseitigkeit und seinen unprätentiösen Auftritt.

Auch der Krankentransportunternehmer Dreher konnte sich dieser Faszination nicht entziehen. Im Moment ist er noch auf der Suche nach einer Werkstatt, die in der Lage ist, seinen Samba zu restaurieren. Dabei wird das Auto komplett zerlegt, aufbereitet und unter Verwendung von so vielen Originalteilen wie möglich wieder zusammengesetzt. Mindestens ein Jahr wird das dauern und zusätzlich zu den Anschaffungkosten noch einmal Zehntausende Euro verschlingen. Wie viel genau, das zeigt sich laut Lucas Kohlruss erst im Laufe der Restauration. Danach soll der VW-Bus im gleichen Zustand sein wie bei seiner Erstauslieferung 1965. Im Gegensatz zu seinem letzten Besitzer wird er die nächsten Jahrzehnte aber nicht in einer zugigen Scheune darben. "Fahren will ich das Auto natürlich auch", sagt Martin Dreher. Und fügt hinzu: "Aber nur bei schönem Wetter." Für einen weiteren Rostbefall ist der Samba seinem neuen Besitzer nämlich viel zu schade.

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SZ vom 05.01.2019
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