Oldtimer-Jubiläum:Rekordfahrt im Kabinenroller

Rekordfahrt des Messerschmitt Kabinenrollers 1955 in Hockenheim.

Eine Szene der Rekordfahrt des Messerschmitt Kabinenrollers 1955 in Hockenheim.

(Foto: Archiv Kraus)

Vor 60 Jahren stellte ein Messerschmitt mehrere Bestwerte auf dem Hockenheimring auf. Abwechselnd an Bord: sechs waghalsige Fahrer. Jetzt trafen das Kleinstauto und der letzte Zeitzeuge noch einmal aufeinander.

Von Eberhard Reuss

Er ist wieder da. In Hockenheim. Nach 60 Jahren. Der Messerschmitt 200 Super Kabinenroller. Und gleich in dreifacher Ausführung. Allerdings nachgebaut. Das Original steht im Deutschen Museum in München. Allerdings ohne Triebwerk. Nach der Rekordfahrt vom 29. auf den 30. August 1955 ging das 13,8 PS starke 200 cm³-Motörchen wieder zurück an Fichtel & Sachs und gilt seitdem als verschollen.

Messerschmitt-Freunde hat das nicht ruhen lassen. Der "Rekord-KaRo" ist hierzulande in drei Versionen unterwegs, die stolzen Besitzer Peter Dipold, Georg Lenner und Wilfried Vetter haben ihre dreirädrigen, stromlinienverkleideten Schätze herausgerollt. Erstmals sind alle drei Super-Nachbauten vereinigt. Zum Jahrestag der Rekordfahrt - und zu Ehren von Karl Eisele aus Lauffen.

Eisele war damals 22 Jahre jung und ist der letzte lebende Zeitzeuge aus dem sechsköpfigen Fahrerteam der Messerschmitt-Rekordfahrt von damals: "Mit dem 200 Subber ischs oim nedd langweilig gwordde", sagt der Schwabe Eisele und strahlt, als er im Nachbau von Georg Lenner Platz genommen hat. "Mit der Kinderwagenfederung und den Acht-Zoll-Rädern ist der auf dem Weg zur Ostkurve gehoppelt wie ein Hase. Spur und Sturz waren laufend verändert."

Der Messerschmitt-Kabinenroller war als Motorrad zugelassen

60 Jahre zuvor war der Markt für Kleinfahrzeuge hart umkämpft. Glas in Dingolfing hatte gerade sein Goggomobil auf den Markt gebracht. Das sah schon wie ein richtiges Auto aus, kostete aber stolze 3500 Mark. Für 1000 Mark weniger gab es die Isetta von BMW. Und preismäßig noch mal 100 Mark darunter tummelte sich der Messerschmitt Kabinenroller aus Regensburg, seit 1955 nicht mehr in der 175 cm³-Version, sondern auch als 200er erhältlich. Schmale Spur, zwei Sitze hintereinander, aber eine Glashaube über dem Kopf. Das war schon was Besonderes, schwärmt Eisele: "Ich hab mit dem Kabinenroller damals die württembergische Geländemeisterschaft gewonnen, gegen sämtliche Solo-Motorroller."

Ja, der Messerschmitt Kabinenroller war als Motorrad zugelassen. Und mit 200 cm³ reichte damals Führerschein Klasse IV. Erdacht hatte sich das Gefährt Fritz Fend in Rosenheim, nach dem Krieg hatte er Fahrzeuge für Kriegsversehrte konstruiert und schließlich den Kabinenroller gebracht, für den Rüstungskonzern Messerschmitt der Einstieg in den Fahrzeugbau. Zehn Jahre nach Kriegsende und ein paar Tage nach der Rekordfahrt von Hockenheim wirbt man in einer Anzeige mit der martialischen Formulierung: "Von der Nachtjagd zum Weltrekord."

"Isch bin gfahre, wie mir's gelege isch"

Der Messerschmitt Super 200 im Verkehrszentrum des Deutschen Museums, 2009

Das Messerschmitt-Super-200-Rekordfahrzeug aus dem Jahr 1955 steht im Verkehrszentrum des Deutschen Museums in München - allerdings ohne Motor.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Idee zur werbeträchtigen Weltrekordfahrt stammt von Motor-Journalist Hans-Werner Bönsch. Der hat als Vizepräsident der internationalen Motorradföderation FIM eine Rekorddauerfahrt auf dem Hockenheimring angezettelt. Dreieinhalb Kilometer geradeaus, dann durch die Ostkurve und wieder dreieinhalb Kilometer zurück, durch die Stadtkurve und dann alles wieder von vorn. Und das 48 Stunden lang, mit Fahrerwechsel und Auftanken.

Am Morgen des 29. August 1955 darf sich Bönsch als erster aus der sechsköpfigen Fahrercrew in den Sitz des Messerschmitt 200 Super zwängen. Es ist 5.40 Uhr, als der stromlinienverkleidete Kabinenroller ausgangs der Stadtkurve startet und Bönsch mit 13,8 PS bei 5 500 U/min im Rücken vorbei am Hockenheimer Friedhof in Richtung Ostkurve beschleunigt. Nach drei Stunden übernimmt Konstrukteur Fritz Fend, danach ist Messerschmitt-Ingenieur Hilmar Stumm an der Reihe und gegen 15 Uhr sitzt hinter dem Lenkhebel Karl Eisele: "Isch bin gfahre, wie mir's gelege isch, Spitze um die 130 rum."

Nur zehn Meter Sicht

Helmut Rathjen und Heinz Schwind komplettieren das Sextett. Auch die Nacht über wird durchgefahren. Die Legende besagt, dass Fritz Fend mit Farbe Schaltpunkte und Fahrlinie auf dem Stadtkurs markiert hat. Schließlich soll ein Schnitt von 105 km/h gehalten werden, da seien eher Lokführer als Rennfahrer gefragt. Verbürgt ist hingegen, dass in der Nacht und am frühen Morgen Nebel aufzog: "Zehn Meter Sicht", erinnert sich Karl Eisele, "hinter der Krabbenspitze bin ich fast auf dem Gras gewesen." Um die Sicht zu verbessern, sollen damals sogar Strohballen angezündet worden sein.

Der 200 Super schafft jedenfalls locker die ersten 24 Stunden und hat nach Zählart des heutigen Messerschmitt-Clubs Deutschland dabei 25 Distanz- und Stunden-Weltrekorde aufgestellt. Er hält einen Schnitt von 105 km/h bei einem Verbrauch von 4,8 Liter Zweitakt-Treibstoff, als sich die Befestigungsnieten des Schwungmagneten lösen. Ursachenforschung von Karl Eisele nach 60 Jahren: "Ich denk, der Rathjen war schuld, unser schwerster Fahrer, der wollte die Bremsen schonen und hat immer runter geschaltet, obwohl wir ihm abgeraten hatten."

Wie früher, nur ein bisschen breiter

Nach 28 Stunden rollt der Super 200 aus: "Ich weiß auch nicht, wieso das nicht repariert wurde. Das war nur ein kleiner Defekt", staunt Karl Eisele noch 60 Jahre später, klettert in den Super-200-Nachbau von Georg Lenner und fährt auf den Resten des alten Hockenheimrings die heutige Heidelberger Straße zwischen Friedhof und altem Fahrerlager entlang: "I komm mir vor wie früher, bloß a bissle breiter."

In Erinnerung an das 60-jährige Jubiläum der Rekordfahrt gibt es vom 18. bis zum 20. September 2015 im Rahmen der Hockenheim Classics im Fahrerlager eine große Messerschmitt-Sonderausstellung. Die drei Super-200-Nachbauten sind dort ebenso versammelt, wie serienmäßige Kabinenroller. Und Karl Eisele ist auch dabei.

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