Süddeutsche Zeitung

260 Kilometer auf dem Tacho:Oldtimer mit Neuwagengeruch

Der BMW 3er war in den Achtzigerjahren das Lieblingsauto der Yuppies. Jetzt ist ein Exemplar wie aus der Fabrik aufgetaucht. Man riecht es sogar noch.

Von Felix Reek

Die meisten Menschen haben ganz einfache Beweggründe, sich ein Auto zuzulegen. Sie benötigen es für den Weg in die Arbeit, für den Transport der Einkäufe oder wenn sie in den Urlaub fahren. Über die Jahre sammelt sich so ein gehöriges Kilometer-Polster an. 10 000 Kilometer pro Jahr, 20 000 Kilometer, manche Vielfahrer schaffen noch mehr. Deswegen fällt die Anzeige in einem österreichischen Verkaufsportal so aus dem Rahmen. "BMW 3er-Reihe 323i E30 2 Türig, Vergessener NEUWAGEN!!!", steht da mit vielen Ausrufezeichen. Baujahr 1985, Kilometerstand: 260. Wie kann das sein bei einem 37 Jahre alten Auto?

Normalerweise fällt in diesem Zusammenhang immer der Begriff "Scheunenfund". In der Regel bezeichnen so Oldtimer-Experten ein Fahrzeug, dass erst entdeckt wird, wenn der Besitzer schon verstorben ist. Unter all dem Staub und dem Gerümpel in der Garage findet sich auf einmal ein seltener Lamborghini. Oder eine Ente, die als "Reserve" eingemottet wurde. Der Zustand ist meist dürftig. Zerschlissene Polster, platte Reifen und verrostetes Blech sind nur die sichtbaren Mängel. Trotzdem zahlen Sammler je nach Seltenheit des Modells Millionenbeträge.

Gefahren wird der BMW nie

Daniel Meyer will "nur" 119 990 Euro für seine 3er-Limousine. 2019 hat der österreichische Autohändler den BMW 323i gekauft. Er entdeckt im Internet einen Artikel über die Limousine und ist sofort elektrisiert. "Da ich 30 Jahre lang bei BMW gearbeitet habe, war das natürlich etwas ganz Besonderes", sagt er. Seit 2017 ist er selbständig und verkauft in der österreichischen Stadt Klagenfurt Autos, er beschließt: "Den stell ich bei uns in den Ausstellungsraum."

Das "Herumstehen" kennt der 323i von seinen vorigen Besitzern. Wirklich gefahren wurde der BMW nie. Die 260 Kilometer auf dem Tacho absolvierte der Zweitürer bei der Überführung zu seinem ersten Besitzer. Ein deutscher BMW-Händler, der die rote Limousine 30 Jahre lang in seinem Showroom ausstellt. Verkaufen will er das Auto nicht. Der BMW überlebt seinen Besitzer, ein belgischer Sammler ersteht den E30 aus dem Nachlass und stellt ihn in seiner beheizten Garage ab. Von ihm kauft Daniel Meyer 2019 den 323i für 48 000 Euro.

Im Innenraum riecht es noch nach Neuwagen

Der 3er ist eine wichtige Modellreihe für BMW. Hergestellt im Stammwerk München, begründet sie von 1975 an den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens, es ist das meistverkaufte Modell des bayerischen Herstellers. Die zweite Generation wurde zwischen 1982 und 1994 gebaut und ist schon seit einigen Jahren bei Sammlern beliebt. Zwar gibt es viele Exemplare auf dem Markt, ein Modell mit so niedrigem Kilometerstand ist selten. Daniel Meyer behauptet sogar, der BMW 323i rieche im Inneren noch nach Neuwagen.

Die Ausstattung entspricht der sportlichen Orientierung der Marke zur damaligen Zeit. Die zweitürige Limousine wird von einem 2,3-Liter-Reihensechszylinder mit 150 PS angetrieben. Als Extras gibt es ein Fünfganggetriebe, Recaro-Sitze und ein Lederlenkrad. Auf den Felgen sind sogar noch die originalen Reifen. "Das Auto ist wie eine Zeitkapsel", staunt Meyer. "Das ist unglaublich, dass es so etwas gibt." Da der BMW zumindest einmal in Deutschland zugelassen wurde, dürfte der Erhalt des H-Kennzeichens kein Problem sein. "Das ist alles wie von der Fabrik", sagt der Autohändler.

"Man kann den nicht einfach starten und losfahren"

Dass Fahrzeuge nach Jahrzehnten im Neuzustand auf dem Markt auftauchen, kommt immer wieder vor, erklärt Marius Brune von der Oldtimer-Bewertung Classic Data. Einer ihrer Kunden stellte seinen neuen Jaguar XJS im Wohnzimmer ab - als Möbelstück. Nach zwölf Jahren passte er nicht mehr zum Rest der Einrichtung und musste gehen. Die Bremsen waren festgerostet, die Fette verharzt, die Fensterheber gingen nicht mehr, berichtet Brune.

Als vermeintliches Schnäppchen sieht er den 3er-BMW von Meyer nicht. "Man kann den nicht einfach starten und losfahren", erklärt der Oldtimer-Experte. Auch Daniel Meyer gibt zu, dass der BMW neue Dämpfer, Reifen, Öl und einen Zahnriementausch benötigt. Dann aber wäre der 3er bereit für die Straße. Ob jemand dafür wirklich 120 000 Euro bezahlen würde, da ist er sich selbst nicht so sicher. "Das Auto ist schwer zu bewerten, weil es im Prinzip neu ist", erklärt Meyer.

Möglich ist es zumindest, gibt Marius Brune von Classic Data zu. Er nennt das "Auction Madness". "Es gibt immer einen, der das unbedingt haben will", sagt er. Dazu müsse der richtige Käufer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Im Fall des 323i hält Brune das für unwahrscheinlich. BMW 3er dieser Baujahre gäbe es viele. Mit Kilometerleistungen von 20 000 oder 30 000 Kilometer kosten sie im Bestzustand zwischen 25 000 und 30 000 Euro. Trotzdem hat Autohändler Daniel Meyer bereits Angebote. Auch wenn sie noch weit entfernt sind von seiner Preisvorstellung. 70 000 Euro bot zuletzt ein Interessent.

Marius Brune ist überrascht: "Ich halte das für sehr viel", sagt der Oldtimer-Experte. Er rät dem Verkäufer: "Da sollte er lieber zuschlagen." Ob sich Daniel Meyer für diesen Preis von seinem neuen Oldtimer trennen kann, weiß er noch nicht. Eines scheint aber unwahrscheinlich: dass der BMW 323i in seinem 37. Lebensjahr endlich gefahren wird. Schade eigentlich.

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