Oldtimer-Ausstellung in Kassel:Schlafende Schönheiten

Oldtimer, Youngtimer, Klassiker, Patina, Ausstellung

Ein gelber Voisin C7 C von 1928 (MNA No.1315/Chassis No. 18383) steht im Depot unrestaurierter Fahrzeuge des Automuseums Sammlung Schlumpf im französischen Mulhouse (Musee National de l'Automobile Collection Schlumpf). Der Wagen ist unrestauriert.

(Foto: dpa)

Oldtimer in allen Stadien des Verfalls zeigt vom 1. Mai an eine Ausstellung in Kassel. Doch ihr großes Thema sind nicht die Fahrzeuge, sondern die Vergänglichkeit der Dinge und das Verschwinden von Geschichte.

Von Thomas Wirth

Für manchen ist es eine einzige Wunde, klaffende 1500 Quadratmeter groß. 40 historische Automobile zeigt diese Ausstellung vom 1. Mai an in Kassel. Das Außergewöhnliche: Sie stehen hier als ratlose Fundsachen. Es sind weniger Autos, eher Fragmente, verrostet, zerbrochen, zerfleddert. Ihre Funktion und Aufgabe von einst ist längst verloren. Sie fahren nicht mehr, und dass sie einst vom Reichtum ihrer Besitzer kündeten, verbirgt sich nur noch als geheime Ahnung hinter schorfigem Blech und zerrissenem Leder.

"Das sind Kunstwerke", sagen die beiden Initiatoren der Ausstellung. Heinz W. Jordan und Dietrich Krahn, private Enthusiasten aus Kassel. Sie haben den Coup vollbracht, einen Teil des verborgenen Mysteriums der Schlumpf-Sammlung im Elsass für die Öffentlichkeit zu öffnen. Richard Keller, Kurator und Conservateur en Chef, versucht dagegen eine differenziertere Betrachtung: "Es sind keine reinen Kunstwerke", sagt er, "doch es sind Spiegel in die Vergangenheit."

Hunderte Autos des Industriellen Fritz Schlumpf

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Ein Hotchiss AM2 (MNA6027) von 1927 (links) und ein Rolls Royce Phantom III (rechts) von 1936 (MNA No.2314/Chassis 3 AZ 196) stehen in der Werkstatt des Automuseums der Sammlung Schlumpf im französischen Mulhouse (Musee National de l'Automobile Collection Schlumpf).

(Foto: dpa)

Die Fahrzeuge, die nun in der ehemaligen Spinnerei in Kassel stehen, stammen aus den vollgepackten Lagerhallen im elsässischen Mulhouse, wo die legendäre Sammlung Schlumpf ihren Sitz hat. Hunderte von Autos, mit Schwerpunkt Bugatti, hatte der Textilindustrielle Fritz Schlumpf zusammengerafft, die meisten zwischen 1961 und 1963. Er setzte Strohmänner ein, ließ aus aller Welt Sammlungen gegen Blankoschecks kaufen, kurz: Seine Manie wirbelte in der damals geruhsamen Oldtimer-Szene gehörig Staub auf.

Daheim im Elsass überholten bis zu 30 angestellte Spezialisten seine Autos wie am Fließband. Längst waren damals nicht alle in ihre Werkstätten gerollt, als 1976 die Schlumpfschen Unternehmen unter massivem Protest der Arbeiter implodierten. Erst nach dem Konkurs erhielten Besucher Zugang, und nach langen Rechtsstreitigkeiten übernahm der französische Staat schließlich gegen hohe Entschädigungen die Sammlung - samt der halbzerfallenen Reserve, die rund 200 weitere Autos umfasst.

Das Publikum ist gefordert

Die Selbstauflösung industriell gefertigter Gegenstände zum Thema einer Ausstellung zu machen, fordert vom Publikum neue Blickwinkel. Sie bedient nicht die üblichen Erwartungen, in Oldtimern chromgleißende, blechgewordene Opulenz vergangener Jahrzehnte zu sehen, nicht die demonstrativ schwelgende Ästethik im Sinne von Schönheitswettbewerben auf akkuratem Golfrasen. Diese normierte Altauto-Folklore bedient die Ausstellung in Kassel nicht: Hier hat die Zeit schonungslos genagt, hat die glänzenden Oberflächen gelöscht und mit einer rauen, brüchigen Struktur überwuchert. Und das wiederum zaubert einen großen, autarken Reiz, eine Art Venedig-Effekt. Bröckelnder Putz ist eine der ewigen Zutaten für morbide Schönheit. Wenn Luxus verglüht wie in den von Schlumpf gelagerten Nobelautomobilen, deutet er auf die Kurzlebigkeit aller Dinge. Das ist pure, klassische Vanitas-Symbolik.

Hochtechnologie und improvisierte Lösungen

Hier punktet die Ausstellung. Es ist nicht allein die Verletzlichkeit, die von diesen Klassikern ausgeht, die sich üblicherweise gerne auf unversehrt getrimmt präsentieren. Ein Mercedes-Benz W 154, ein später Vorkriegs-Silberpfeil, steht in Kassel, mit abgenommenen Verkleidungen, die zerbeult von einem Unfall an der Wand lehnen, so, als sei der soeben erst geschehen. Der Blick saugt sich in diese faszinierende Mixtur aus früher Hochtechnologie und schnell und hastig an der Rennstrecke gelösten Problemen. Obwohl sein Motor hier nicht laufen kann, reißt er mit. Dass an seinem Steuer 1939 Manfred von Brauchitsch und Rudolf Caracciola saßen, der mit diesem Auto in Reims siegte, glaubt man ihm. Schlumpf kaufte ihn, das ist dokumentiert, am 8. März 1966 - direkt vom Werk.

Patina hat ihren Effekt, und sie hat ihren Preis. Originale Fahrzeuge sind, trotz schlechteren Zustandes, mittlerweile teurer als noch so exzellent restaurierte Exemplare. Substanz funktioniert zuverlässig als Lockmittel. In Kassel stehen zum Beispiel zwei Alfa Romeo 6C 1750 GS nebeneinander, einer vor Jahrzehnten mit damaligen Möglichkeiten durchrestauriert, der andere blieb so, wie er war: seiner Karosserie beraubt, die vielleicht ein Schrotthändler bereits abgetrennt hatte.

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Authentisch und im Originalzustand belassen: die Exponate der Ausstellung "Schlafende Automobilschönheiten".

(Foto: Heinz Jordan)

Eine Restauration kann die Geschichte zerstören

"Dieses Auto erzählt uns seine ganze Geschichte", sagt Richard Keller, "nur verstehen wir sie noch nicht genau." Dokumente und Unterlagen fehlen bislang, allein die Spuren und Materialien dienen als Zeuge. Ein Auto wie dieses zu restaurieren und fahrfertig zu machen, ist für ihn keine Option: "Das wäre ein irreversibler Akt", sagt Richard Keller. Und Heinz W. Jordan: "Ein guter Restaurateur baut eine Karosserie mit Spaltmaßen wie bei einem Audi A6. Doch dann ist die Geschichte kaputt."

Auch Versuche, einen Königsweg zu definieren, zeigt die Kasseler Ausstellung. Mittendrin parkt ein De Dion-Bouton aus dem Jahr 1922, unauffällig, weil ebenso mitgenommen wie die anderen Fahrzeuge um ihn. Doch das Bild trügt: Seine Oberflächen sind mit großer restauratorischer Expertise gefestigt worden, ohne dabei Substanz zu opfern. Es ist eine Methodik, die aktuell den Weg aus der Gemälderestaurierung zu den Automobilen findet. Sie soll einen weiteren Verfall verhindern, kann dabei jedoch nicht die problemlose Nutzung des Fahrzeugs garantieren, wie es ein Neulack könnte. Der Vorteil: Das Alte kann bleiben, wobei der handwerkliche Aufwand für diese Maßnahmen in der Summe ähnlich hoch ausfällt.

Ist es widersinnig, Patina zu erhalten?

Dieses Konzept markiert heute den Stand der Diskussion, auch wenn es Grenzen kennt. "Diese Patina war von den Konstrukteuren ja einst nicht vorgesehen", sagt Richard Keller. Daraus wächst die Frage: Ist es widersinnig, sie zu erhalten? Zudem gibt es Grenzen: Viele der in Kassel gezeigten Autos haben bereits so viel Substanz verloren, dass es zwischen einem grundlegenden Neuaufbau und einem Nichtantasten kaum noch Wege gibt. Wer mit einzelnen Teilen beginnt, endet oft mit einem runderneuerten Fahrzeug.

Museen haben es da meist leichter: "Wir können ein Auto so belassen, wie es ist, und es als Skulptur betrachten", sagt Richard Keller: "Einen Schaden müssen wir nicht unbedingt beseitigen." Das verhindert zwar die Rückkehr auf die Straße, erhält dafür die Lesbarkeit der vielen ursprünglichen Details. Über allzu große Stückzahlen müssen die Experten dabei nicht nachdenken: Rund 90 Prozent des Bestandes der Schlumpf-Sammlung sind seit ihrem Ankauf vor rund einem halben Jahrhundert inzwischen restauriert worden.

"Wir wollen mit dieser Ausstellung das Nachdenken über den Umgang mit Oldtimern anstoßen", sagt Richard Keller, auch wenn das hochaktuelle Papier zum Thema, die Charta von Turin, in Kassel überraschenderweise ignoriert wird. Dennoch, glaubt Keller, sei die Diskussion in Deutschland über den Umgang mit altem Blech schon deutlich weiter gediehen als in Frankreich. Die Reaktionen der Besucher werden es zeigen.

"Schlafende Automobile", Unternehmenspark Kassel, 1. Mai bis 31. Juli 2013, Eintritt 8 Euro. Kinder bis 12 Jahre frei.

Infos: www.schlafende-automobilschoenheiten.de

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