Für manchen ist es eine einzige Wunde, klaffende 1500 Quadratmeter groß. 40 historische Automobile zeigt diese Ausstellung vom 1. Mai an in Kassel. Das Außergewöhnliche: Sie stehen hier als ratlose Fundsachen. Es sind weniger Autos, eher Fragmente, verrostet, zerbrochen, zerfleddert. Ihre Funktion und Aufgabe von einst ist längst verloren. Sie fahren nicht mehr, und dass sie einst vom Reichtum ihrer Besitzer kündeten, verbirgt sich nur noch als geheime Ahnung hinter schorfigem Blech und zerrissenem Leder.
"Das sind Kunstwerke", sagen die beiden Initiatoren der Ausstellung. Heinz W. Jordan und Dietrich Krahn, private Enthusiasten aus Kassel. Sie haben den Coup vollbracht, einen Teil des verborgenen Mysteriums der Schlumpf-Sammlung im Elsass für die Öffentlichkeit zu öffnen. Richard Keller, Kurator und Conservateur en Chef, versucht dagegen eine differenziertere Betrachtung: "Es sind keine reinen Kunstwerke", sagt er, "doch es sind Spiegel in die Vergangenheit."
Hunderte Autos des Industriellen Fritz Schlumpf
Ein Hotchiss AM2 (MNA6027) von 1927 (links) und ein Rolls Royce Phantom III (rechts) von 1936 (MNA No.2314/Chassis 3 AZ 196) stehen in der Werkstatt des Automuseums der Sammlung Schlumpf im französischen Mulhouse (Musee National de l'Automobile Collection Schlumpf).
(Foto: dpa)Die Fahrzeuge, die nun in der ehemaligen Spinnerei in Kassel stehen, stammen aus den vollgepackten Lagerhallen im elsässischen Mulhouse, wo die legendäre Sammlung Schlumpf ihren Sitz hat. Hunderte von Autos, mit Schwerpunkt Bugatti, hatte der Textilindustrielle Fritz Schlumpf zusammengerafft, die meisten zwischen 1961 und 1963. Er setzte Strohmänner ein, ließ aus aller Welt Sammlungen gegen Blankoschecks kaufen, kurz: Seine Manie wirbelte in der damals geruhsamen Oldtimer-Szene gehörig Staub auf.
Daheim im Elsass überholten bis zu 30 angestellte Spezialisten seine Autos wie am Fließband. Längst waren damals nicht alle in ihre Werkstätten gerollt, als 1976 die Schlumpfschen Unternehmen unter massivem Protest der Arbeiter implodierten. Erst nach dem Konkurs erhielten Besucher Zugang, und nach langen Rechtsstreitigkeiten übernahm der französische Staat schließlich gegen hohe Entschädigungen die Sammlung - samt der halbzerfallenen Reserve, die rund 200 weitere Autos umfasst.
Das Publikum ist gefordert
Die Selbstauflösung industriell gefertigter Gegenstände zum Thema einer Ausstellung zu machen, fordert vom Publikum neue Blickwinkel. Sie bedient nicht die üblichen Erwartungen, in Oldtimern chromgleißende, blechgewordene Opulenz vergangener Jahrzehnte zu sehen, nicht die demonstrativ schwelgende Ästethik im Sinne von Schönheitswettbewerben auf akkuratem Golfrasen. Diese normierte Altauto-Folklore bedient die Ausstellung in Kassel nicht: Hier hat die Zeit schonungslos genagt, hat die glänzenden Oberflächen gelöscht und mit einer rauen, brüchigen Struktur überwuchert. Und das wiederum zaubert einen großen, autarken Reiz, eine Art Venedig-Effekt. Bröckelnder Putz ist eine der ewigen Zutaten für morbide Schönheit. Wenn Luxus verglüht wie in den von Schlumpf gelagerten Nobelautomobilen, deutet er auf die Kurzlebigkeit aller Dinge. Das ist pure, klassische Vanitas-Symbolik.