Süddeutsche Zeitung

Tempolimit in Österreich:"Richtige Raser haben wir selten"

In Deutschland wird die freie Fahrt auf der Autobahn leidenschaftlich verteidigt. Aber wie sieht es in Österreich aus, wo seit 45 Jahren ein Tempolimit gilt?

Interview von Christina Kunkel

Ohne Rücksicht auf ein Tempolimit auf der Autobahn Gas geben - das ist für die meisten Autofahrer außerhalb Deutschlands unvorstellbar. Am Donnerstagmittag stimmt der Bundestag über ein Limit ab, der Antrag der Grünen wird aber vermutlich keine Mehrheit finden. Im Nachbarland Österreich darf man schon seit 45 Jahren höchstens 130 fahren. Welche Erfahrungen man dort gemacht hat und warum es trotz der Klimakrise auch in Österreich immer wieder Vorstöße gibt, das Höchsttempo nach oben zu setzen, erklärt Verkehrsexperte David Nosé vom österreichischen Mobilitätsclub ÖAMTC.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie auf deutschen Autobahnen unterwegs sind?

David Nosé: Mir fällt auf, dass das Rechtsfahrgebot in Deutschland eher eingehalten wird als in Österreich. Die linke Spur ist öfter frei, weil dort die Leute schneller fahren. In Österreich fahren zumeist rechts die Lkws und der Rest dann auf den anderen Fahrspuren. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass die meisten auch in Deutschland zwischen 130 und 150 fahren und es nur wenige gibt, die deutlich zügiger unterwegs sind.

Fahren Sie auch manchmal schneller als 130, wenn kein Tempolimit gilt?

Das mache ich tatsächlich, wenn es die Strecke und der Verkehr erlauben. Zum Beispiel auf der Autobahn zwischen München und Nürnberg. Aber ich bin dann eher mit 150 oder 160 unterwegs und auch nur für ein paar Minuten. Es ist auch viel zu anstrengend, wenn man wirklich über eine lange Strecke 200 Stundenkilometer fährt. Man muss sich dann einfach wahnsinnig konzentrieren.

Nervt Sie das Limit in Österreich manchmal?

Ich bin es ja gewohnt und es ist auch an vielen Stellen gerechtfertigt. Aber es gibt auch ein paar sehr gut ausgebaute Autobahnabschnitte in Österreich, wo man schon ein bisschen schneller fahren könnte, ohne dass es gefährlich werden würde.

Wie kam es, dass Österreich ein Tempolimit von 130 km/h eingeführt hat?

Anders als es oft berichtet wird, waren nicht die hohen Unfallzahlen der Hauptgrund für das Tempolimit, sondern die Energiekrise in den 70er Jahren. Anfangs war per Verordnung die Grenze sogar nur bei 100 Stundenkilometern auf allen Außerortsstraßen, das wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben und 1974 per Änderung der Straßenverkehrsordnung auf 130 für Autobahnen hochgesetzt.

Hatte das Tempolimit Auswirkungen auf die Unfallzahlen?

Das ist schwer zu sagen, da die Grenze zu einem Zeitpunkt eingeführt wurde, als es viel weniger Autos auf den Straßen gab als heute. Damals waren es eine Million, heute sind es fünf Millionen. Außerdem sind die Fahrzeuge über die Jahre immer sicherer geworden. 1972 hatten wir in Österreich noch fast 3000 Verkehrstote, letztes Jahr waren es knapp über 400. Die Einführung des Tempolimits auf Autobahnen hatte sicherlich seinen Anteil daran, ebenso allerdings weitere Maßnahmen wie die Gurtpflicht, Promillegrenze, Mehrphasenausbildung, etc.

Haben Sie in Österreich ein Problem mit Temposündern?

Es gibt eher kleinere Überschreitungen, mal zehn oder zwanzig Stundenkilometer. Aber richtige Raser haben wir selten. Tatsächlich ist es auch nicht so, dass deutsche Autofahrer besonders oft als Temposünder auffallen, sondern eher Osteuropäer.

In Österreich wird die Einhaltung der Limits gefühlt auch strenger überwacht als in Deutschland.

Der Kontrolldruck ist vorhanden. Wir haben nicht nur stationäre Radaranlagen und mobile Lasergeräte, sondern auch Blitzer, die über eine bestimmte Strecke die Durchschnittgeschwindigkeit messen. Überhaupt ist die Polizei sehr präsent auf den österreichischen Straßen. Das führt sicher auch dazu, dass weniger Autofahrer eine Strafe riskieren.

Haben sich die Österreicher mit dem Tempolimit arrangiert oder schaut man doch etwas neidisch über die Grenze nach Deutschland?

Der ÖAMTC hat 2015 eine Befragung zum Tempolimit durchgeführt. Tatsächlich haben da 56 Prozent angegeben, dass sie gerne ein höheres Limit hätten, nur sechs Prozent ein niedrigeres. Es gab von Seiten der Politik auch immer wieder Versuche, zumindest punktuell an den 130 zu schrauben. Zum Beispiel läuft auf zwei Autobahnabschnitten der A 1 in Nieder- und Oberösterreich aktuell ein Test, bei dem Höchsttempo 140 gilt.

Und was sind die ersten Erkenntnisse?

Es sind zwar nur Zwischenergebnisse, aber die Unfallzahlen auf diesen Abschnitten sind bisher im Testzeitraum sogar leicht zurückgegangen. Die Emissionen sind dagegen minimal gestiegen.

Könnte es also sein, dass Österreich irgendwann den umgekehrten Weg geht und das Tempolimit wieder nach oben setzt?

Das hängt immer von der politischen Stimmung im Land ab. Die Tests wurden noch unter der schwarz-blauen Regierung gestartet. Gibt es eine andere Machtkonstellation, kann das schnell wieder anders sein. Vor dem Hintergrund der Klimadebatte glaube ich nicht, dass Österreich das Tempolimit jemals wieder komplett abschaffen wird. Es ist in den ganzen politischen Diskussionen auch eher ein Randthema.

Und wie ist Ihre Prognose für Deutschland?

Natürlich ist es schwer, gegen ein Tempolimit zu argumentieren - auch wenn keiner genau sagen kann, wie viel es wirklich für die Verkehrssicherheit und den Klimaschutz bringt. In Deutschland ist das Thema sehr heikel, weil die Menschen es dort nicht anders kennen. In Österreich sind die meisten Autofahrer schon mit dem Tempolimit aufgewachsen und haben deshalb nicht das Gefühl, ihnen wird etwas verwehrt. Wir leben einfach schon lange damit und ich finde, 130 ist für die österreichischen Gegebenheiten ein guter Kompromiss.

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