Notrufsystem eCall:Wenn das Auto Hilfe ruft

Von 2013 an sollen Neuwagen mit dem automatischen Notrufsystem eCall ausgerüstet werden - Tausende Menschenleben könnten damit gerettet werden.

Von Peter Stelzel-Morawietz

Die Crashsensoren schlagen Alarm, Airbags lösen aus, die Gurtstraffer erledigen in Sekundenbruchteilen ihre Arbeit. Kurz darauf setzt die Bordelektronik einen automatischen Notruf ab, bei dem auch die GPS-Koordinaten übertragen werden.

Grafik zum Notrufsystem eCall

Rettungskette: Das System eCall kostet nur etwa 200 bis 300 Euro pro Auto, kann aber bei einem schweren Unfall dafür sorgen, dass die Hilfe schneller als bisher eintrifft - und damit womöglich das Leben Tausender Menschen retten.

(Foto: SZ-Grafik, Quelle: ADAC)

Polizei und Feuerwehr wissen augenblicklich genau, wo das Fahrzeug verunglückt ist - ohne dass ein Mensch, möglicherweise unter Schock, seine Position beschreiben muss. Ganz zu schweigen davon, dass Opfer schwerer Unfälle oft gar nicht mehr in der Lage sind, den Rettungsdienst selbst zu alarmieren.

Das ist keine Zukunftsvision, im Gegenteil: Mercedes-Benz hat dieses System unter der Bezeichnung Tele-Aid (Telematic Alarm Identification On Demand) bereits 1997 gegen Aufpreis in die S-Klasse eingebaut. Der Notruf wurde zunächst an den Dienstbetreiber geleitet, der die GPS-Daten auswertete und die Rettungsleitstelle verständigte.

BMW offerierte seinen Kunden mit BMW Assist zwei Jahre später ein ähnliches System, andere Automobilhersteller folgten. Mercedes hat sein automatisches Notrufsystem allerdings wieder vom Markt genommen, auf breiter Front hat sich die Technik bis heute nicht durchgesetzt.

Das könnte sich jedoch bald ändern. Die EU-Kommission will voraussichtlich Anfang 2011 entscheiden, ob die Ausrüstung von Neuwagen mit dem europaweit einsetzbaren Notrufsystem eCall verpflichtend vorgeschrieben werden soll. Grundlage der Überlegungen: Etwa 40.000 Menschen sterben pro Jahr in Europa im Straßenverkehr; könnte mit eCall schnell Hilfe angefordert werden, ließen sich dadurch etwa 2000 bis 2500 Menschenleben retten, schätzt die EU.

Ursprünglich sollte eCall schon 2009 eingeführt werden, dann aber wurde der Starttermin auf 2013 verschoben. Für realistisch hält der ADAC nun das Jahr 2014, weil an der Umsetzung eine Vielzahl von Interessengruppen aus Industrie und öffentlicher Hand beteiligt sind. "eCall ist eben ein europäisches Projekt", umschreibt es Sprecherin Katrin Müllenbach-Schlimme vorsichtig.

Sensoren übermitteln alle wichtigen Daten

Die Technik jedoch ist viel weiter fortgeschritten als 1997. Zahl und Empfindlichkeit der Sensoren im Auto haben deutlich zugenommen. Das GPS-Signal ist erheblich genauer, neben den exakten Koordinaten des Unfallortes wird auf Autobahnen auch die Fahrtrichtung einbezogen, damit der Rettungsdienst zur richtigen Fahrbahn fährt.

Prototyp für künftiges Auto-Alarmsystem 'eCall'

Prototyp für künftiges Auto-Alarmsystem 'eCall': Ein Finger drückt den Knopf eines Auto-Notrufsystems. eCall wurde im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes entwickelt. Das Gerät alarmiert auf Knopfdruck oder im Fall eines Unfalls auch automatisch die nächste Rettungsleitstelle, so dass sofort Sanitäter und Notärzte losgeschickt werden können. Die EU wollte eCall schon ab 2009 verpflichtend bei allen Neuwagen einführen - jetzt wird's doch 2013.

(Foto: dpa)

Die Zahl der eingerasteten Sicherheitsgurte gibt einen Anhaltspunkt über die Zahl der möglichen Verletzten, die ausgelösten Sensoren lassen Art und Schwere des Unfalls erkennen. Und die Übermittlung einer Fahrzeug-Identifikationsnummer hilft der Feuerwehr, schon auf der Einsatzfahrt die Rettungsblätter des betreffenden Fahrzeugtyps zu studieren.

Technisch ist die europaweite Einführung von eCall vergleichsweise einfach, weil es die einheitliche Notrufnummer 112 nutzt. Ein länderübergreifender Praxistest habe jedenfalls gezeigt, dass die Technik europaweit funktioniere, so das Bundesverkehrsministerium. Zwar könne man Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst in vielen Ländern nach wie vor auch über eigene Notrufnummern erreichen, aber die 112 führe überall zur Verbindung.

Schwierigkeiten wird es aber wohl bei der Verständigung geben, denn eCall erlaubt auch den manuellen Notruf und damit das direkte Gespräch mit der nächstgelegenen Rettungsleitstelle.

Den Aufpreis für das eCall-Modul schätzt der ADAC beim Autokauf in der Basisversion auf 200 bis 300 Euro, erweiterte Systeme mit zusätzlichen Leistungen würden voraussichtlich von 800 Euro an aufwärts angeboten.

Aber anders als bei den von den Autoherstellern angebotenen Notfallservices soll es keine jährliche Gebühr geben. eCall in bereits ausgelieferten Fahrzeugen nachzurüsten, wird voraussichtlich nicht möglich sein, weil der Notruf an die Sensoren der Airbags gekoppelt ist.

Es geht auch ums Geschäft

Wer ein Auto ohne eingebaute eCall- Funktion fährt, muss weiterhin die Notrufnummer 112 wählen. Ruft man mit einem Mobiltelefon an, kann die Leitstelle die ungefähre Position ermitteln. "Das dauert weniger als eine Minute", sagt Florentin von Kaufmann, Chef der Leitstelle bei der Berufsfeuerwehr München.

Allerdings kann die geortete Position erheblich von der tatsächlichen abweichen, sogar in Städten sind 500 Meter Ungenauigkeit der Regelfall. Denn den exakten Standort liefern nur Handys mit eingebautem GPS-Empfänger.

Schneller als das mühsame Aufsagen der GPS-Koordinaten beim Anrufen funktioniert die automatische Übermittlung der Unfallposition mit einem Smartphone wie dem iPhone - vorausgesetzt man hat die geeignete App. In Deutschland funktioniert dies nur mit der App namens AvD-Notfallortung, herausgegeben vom Automobilclub von Deutschland. Der AvD ist derzeit exklusiver Partner der Allianz Ortungs-Services GmbH, die die Ortung für die Leitstellen durchführt, wie Allianz-Pressesprecherin Claudia Herrmann bestätigt.

Dass es also ums Geschäft geht, zeigen auch die zahlreichen Handy-Apps von Versicherungsunternehmen und der Notrufzentrale der Autoversicherer. Deren Notrufnummer 0800-Notfon-D (0800-6683663) ist zwar leicht zu merken, aber bei einem Autounfall geht es eben nicht nur um die Personenhilfe, sondern zugleich um die Vermittlung von Folgeaufträgen wie Abschleppdienst, Reparatur, Mietwagen oder Mitgliedschaft im Automobilclub.

Ein Beispiel für eine Notfall-Applikation ist Pakoo fürs iPhone - ebenfalls vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Der Betreiber nennt Pakoo die mobile Notrufsäule, es geht dabei aber mehr um Unterstützung bei einer Autopanne.

ADAC und Feuerwehr raten deshalb, bei Gefahr für Personen immer 112 zu wählen. Nur bei reinen Fahrzeugpannen reiche auch einer der privaten Hilfsdienste.

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