Nord-Ostsee-Kanal:Ganz schön eng

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Wegen des havarierten Frachters Siderfly (nicht im Bild) mussten Schiffe auf dem Nord-Ostseekanal im Oktober 2013 tagelang auf die Weiterfahrt warten. (Foto: dpa)

Der Nord-Ostsee-Kanal ist mit 30 000 Passagen pro Jahr der wichtigste Schifffahrtsweg Europas. Seit Jahren schon soll er ausgebaut werden - doch das Projekt zieht sich in die Länge.

Von Peter Burghardt

Die Greetje zum Beispiel, sie kommt aus Hamburg und will nach Schweden. Am Heck hängt die Flagge der Niederlande. Der Rumpf ist weiß-blau-rot gestrichen, 118 Meter lang und 18 Meter breit, 650 Container oder 6800 Tonnen passen drauf. Eine relativ kleine Nummer im großen Geschäft auf den Meeren, aber unverzichtbar, ein sogenannter Feeder. Zubringer wie die Greetje und Millionen Kunden brauchen diese meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt, eine Lebensader Europas. Sie will möglichst schnell durch den Nord-Ostsee-Kanal, Zeit ist gerade im Gütertransport Geld.

So wartet das Containerschiff nun in der Großen Schleuse Nord von Brunsbüttel nahe der Elbmündung neben einem Binnenschiff, die uralten Schiebetore aus Stahl schließen sich. Davor und dahinter stehen bereits die nächsten Schiffe Schlange, ungefähr 100 jeden Tag. Diese vier Kammern sind seit Kaiserzeiten die Verbindung zur Elbe und Nordsee, dann geht es durch den knapp 100 Kilometer langen Kanal, ehe nordöstlich in Kiel in die Ostsee geschleust wird. Oder umgekehrt, den Wasserspiegel des Kanals hält die Mechanik trotz des Tidenhubs der Meere stets auf Niveau. "Baujahr 1912-14" - so steht es auf einem Eisenschild an den Holzbohlen dieser Schleusen von Brunsbüttel. Joachim Abratis ist immer wieder beeindruckt, wenn er an diese Epoche denkt und an die Bauzeit von damals. "Man muss den Hut ziehen, wie damals gebaut wurde", sagt er, ganz ohne Computertechnik und modernste Maschinen. Heutzutage ist manches komplizierter, zu besichtigen auf der riesigen Baustelle nebenan.

In Brunsbüttel reicht es nicht, die alte Schleuse nur zu reparieren. Jetzt muss die große Lösung her

Der Bauingenieur Abratis vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) steht an den drei derzeit funktionierenden Kammern von Brunsbüttel. Eine vierte wird gerade überholt und ist für ein paar Wochen außer Betrieb, nur eine Möwe treibt auf dem braunen Wasser. Das Jahrhundertwerk im deutschen Norden ist schwer in die Jahre gekommen, Schrauben statt Nieten oder andere Nachbesserungen genügen nicht mehr. Die große Lösung muss her, eine fünfte Schleuse. Abratis ist der Programmleiter dieser Schleusensanierung, vor ihm wird auf einer enormen Fläche dieser Insel gebohrt und gegraben. Die neue Anlage wird 360 Meter lang, 45 Meter breit, mit einer sogenannten Drempeltiefe von 14 Metern. Wann ist sie fertig?

Ein Blick auf die Kanalschleuse in Kiel-Holtenau: Jährlich passieren um die 30 000 Schiffe den Nord-Ostsee-Kanal. In etwa jeder dritte Container aus Hamburg kommt hier durch. (Foto: dpa/imago)

Darauf wartet die Branche. Eröffnet wurde der Nord-Ostsee-Kanal 1895 von Wilhelm II., er hieß auch mal Kaiser-Wilhelm-Kanal. Die Abkürzung erspart dem schwimmenden Verkehr seither den Umweg über Skagen an der dänischen Nordspitze. Bei der Ladung haben die Kanäle von Panama in Mittelamerika zwischen Atlantik und Pazifik und Suez in Ägypten zwischen Rotem Meer und Mittelmeer zwar naturgemäß noch mehr zu bieten: Diese Passagen nützen größere Pötte auf ihren Langstrecken zwischen den Kontinenten, sie vermeiden damit die deutlich längere Reise um das Kap der Guten Hoffnung im Süden Afrikas oder von Kap Hoorn am untersten Ende von Südamerika, es sind zwei Hotspots der Globalisierung. Für die deutsche und die europäische Wirtschaft aber ist diese renovierungsbedürftige Route quer durch Schleswig-Holstein entscheidend, die Trasse mit dem Kürzel NOK verbindet Häfen wie die von Bremerhaven und Hamburg mit Skandinavien, Polen, dem Baltikum bis hin nach Russland. Um die 30 000 Schiffe nützen das Nadelöhr jedes Jahr, mehr als 90 Millionen Tonnen Fracht, jeder dritte Container aus Hamburg passiert den NOK. Doch zuletzt gingen die Zahlen zurück, und die Klagen der Wirtschaft nahmen zu.

Der Welthandel ist Puzzle, Poker, Politik. Es geht um Logistik, Liegezeiten, Tarife. Jede Verzögerung oder Ersparnis zählt. Hamburg verlor Anteile an Rotterdam oder Antwerpen, nun soll die seit langem umkämpfte Fahrrinnenanpassung alias Elbvertiefung helfen. Von Herbst an soll gegraben werden, trotz fortgesetzter Bedenken von Umweltschützern, nach mehr als einem Jahrzehnt des Streits. Gleichzeitig drängen die Reeder und Spediteure auf die Modernisierung des Nord-Ostsee-Kanals, es gehört ja alles zusammen.

Das deutsche Kriegsschiff SMS Kaiser Karl der Große auf dem Kaiser-Wilhelm-Kanal (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Frage, wann es fürs erste vollbracht sein wird, kann Joachim Abratis nicht beantworten. 2021 war erst das Ziel, das ist nicht mehr zu schaffen. Die Verzögerung erinnert an andere Großprojekte, siehe Berliner Flughafen, Stuttgart 21 oder lange Zeit die erwähnte Elbvertiefung sowie die Elbphilharmonie. Längst ist beschlossen, dass der Ostteil des Kanals ausgebaut wird. Er soll für die größeren Schiffe breiter, die Kurven sollen verbessert werden. Und die ehrwürdigen Schleusen werden erneuert oder erweitert, es gab da immer wieder Probleme. In Kiel-Holtenau krachte im Februar dieses Jahres das Containerschiff Akacia ungebremst in ein Tor, das sorgte für Engpässe und Millionenschäden. Der Neubau der fünften Schleusenkammer in Brunsbüttel wurde 2010 beschlossen, 487 Millionen Euro sollte das kosten. Doch die Sache dauert länger und könnte teurer werden als geplant. Das WSA hat beschlossen, keine Wasserstände mehr über Termine und Kosten heraus zu geben. "Ein Drittel ist umgesetzt", sagt Abratis. Es fehlen also noch zwei Drittel.

Die Sache ist schwierig, es kommt an dieser Stelle in Brunsbüttel viel zusammen. Das Bauwerk entsteht auf einer Insel, das Material für die Schleuse muss mit Fähren hin- und wegtransportiert werden. Der Klei aus den ausgehobenen Gruben, auch für den Dammbau geeignet, wird zwölf Kilometer landeinwärts gelagert. Spezialisten suchten erst mal nach Blindgängern aus dem Krieg, sie fanden bisher nichts. Außerdem muss während der Arbeiten ständig der Hochwasserschutz gesichert sein, auch steht ab dem Herbst die nächste Sturmflutsaison bevor. Gleichzeitig soll möglichst schonend und ohne schlimmere Erschütterungen gebaut werden, weil gleich daneben ja der Schiffsbetrieb durch den Nord-Ostsee-Kanal weiterläuft. Und Fachkräfte sind derzeit auch nicht so leicht zu finden. Abratis spricht von "Optimierungsprozessen" und "intensivem Dialog mit den Baufirmen".

Experten wie er können nichts dafür, dass der Bund solche Infrastruktur lange auf Verschleiß gefahren hat. Man hätte früher anfangen können. Zu sehen ist das ja auch an den Autobahnen, die spät und mit nervigen Dauerbaustellen in Stand gesetzt werden, besonders hier im Norden. Als marode gilt außerdem die Brücke der A 7 bei Rendsburg über den Nord-Ostsee-Kanal, man wird sie in nicht allzu ferner Zukunft ersetzen müssen.

Ein Rundgang über die Schleusen von Brunsbüttel ist faszinierend, übrigens auch für Touristen, der Kanal teilt diese Stadt an der Elbe, der Nordsee so nah. Industriegeschichte, Handelsgeschichte, einst und jetzt. Die neue Schleuse soll wieder mindestens 100 Jahre halten, wie die alten. Die Schiffe sollen mehr Platz haben. Joachim Abratis zeigt auf mächtige Spundwandprofile und Bohrpfähle zwischen Baggern und Kränen, es ist die wohl größte Wasserbaumaßnahme Europas. Die Tore an der Großen Schleuse Nord öffnen sich derweil, die Greetje setzt sich wieder in Bewegung. In den Kanal. Richtung Ostsee.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Online-Artikels haben wir das historische Schwarz-Weiß-Bild des damals so bezeichneten Kaiser-Wilhelm-Kanals fälschlicherweise mit der "kaiserlichen Yacht Hohenzollern Wilhelm II. zur Eröffnung im Sommer 1895" beschrieben. Richtig ist, dass im Bild das Linienschiff SMS Kaiser Karl der Große zu sehen ist.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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