Familien-Elektroauto im Test:Für den Alltag reicht es

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Der Preis für den Nissan e-NV200 Evalia beginnt bei 36.500 Euro - in der Einstiegsversion. Denn schon die Klappsitze für die dritte Reihe kosten 670 Euro extra. (Foto: Nissan)

Der Nissan e-NV200 Evalia ist mit sieben Sitzen auch für Großfamilien geeignet. Im Eco-Modus fühlt es sich aber an, als hätte jemand Klebstoff in den nicht vorhandenen Tank gekippt.

Von Nadeschda Scharfenberg

Den Weg von der Arbeit nach Hause wissen wir natürlich auswendig, trotzdem geben wir ins Navi nach der Übernahme des Testwagens als erstes die eigene Adresse ein. Nur zum Spaß. Und was sagt das Navi des Nissan e-NV200 Evalia? "Adresse unbekannt." Echt jetzt? Unser Haus steht seit mehr als zehn Jahren an Ort und Stelle.

Das geht ja gut los. Wie soll man sich bei der Suche nach einer Ladesäule auf das Navi verlassen können, wenn es schon das eigene Zuhause nicht findet? Der Test lehrt: gar nicht, denn auch in Sachen Ladestationen hinkt die Software der Realität hinterher und zeigt zudem nur Säulen des Ladeverbundes "Plugsurfing" an. Der Test lehrt aber auch: Das ist nicht so schlimm, zumindest nicht für Autofahrer wie uns auf unseren alltäglichen Fahrten.

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Eine Großfamilie fährt elektrisch - kann das funktionieren? Das wollten wir herausfinden in zwei ganz normalen Vor-Corona-Wochen, mit Großeinkauf und Sonntagsausflug, Fußballturnier und dem Überraschungsanruf von der Schule: Ihr Sohn hat Fieber, bitte abholen! Kein Problem, das Auto ist aufgeladen.

Wir sind eine Patchworkfamilie mit vier Kindern zwischen drei und 13 Jahren, und wegen der damit einhergehenden Logistik leisten wir uns zwei Autos: einen Kleinwagen für Elterntaxidienste und einen Siebensitzer für Urlaube, Ausflüge und den Einkauf beim Getränkemarkt. 80 Prozent unserer Strecken legen wir im 50-Kilometer-Bereich zurück, ein Fahrverhalten, wie gemacht für die Anschaffung eines Steckdosenautos. Oder?

Kaum Auswahl für Großfamilien

Der Markt für Großfamilienkutschen mit reinem Elektroantrieb ist winzig. Es gibt nur zwei Modelle mit der Option auf sieben Sitze: den Tesla Model X, der mit einem Mindestpreis von fast 93 000 Euro und 3700 Euro Aufpreis für die Siebensitzer-Variante viele Familienbudgets sprengen dürfte, und "unseren" Nissan E-NV 200 Evalia. Der Kastenwagen ist mit 36 500 Euro Basispreis deutlich günstiger, die seitlich wegklappbaren Sitze in der dritten Reihe kosten zusätzlich 670 Euro. Dort können selbst Teenager bequem sitzen, ohne mit den Knien an die Nase zu stoßen.

Auch sonst erfüllt der Testwagen, von der Dreijährigen liebevoll "Der Blaue" getauft, die Anforderungen an ein Familienauto. Auf die mittlere Bank passen ein Kindersitz und zwei Sitzerhöhungen. Praktisch sind die Schiebetüren auf beiden Seiten, Manko: Es gibt keine Kindersicherung, man muss sie stets aufs Neue per Schalter verriegeln. Der Kofferraum ist mit 870 Litern Volumen auf dem Papier groß, der Kinderwagen aber passt nur bei umgeklapptem Sitz rein. Sechs Paar Ski haben wir wider Erwarten untergebracht: einfach unter der Rückbank durchschieben. Die Innenausstattung des E-Evalia ist übrigens nicht allzu hochwertig, was manchem missfallen mag, bei Eltern angesichts der Schmutzgefahr durch Unterwegs-Butterbrezen oder ungeputzte Stollenschuhe aber den Puls schön niedrig hält.

Auf dem Fahrersitz thront es sich wie in einem VW-Bus, super Übersicht. Der Motor surrt so leise, dass man das Klarinetten-Intro in Tschaikowskys fünfter Sinfonie endlich auch beim Autofahren hören kann und leider auch jede klangliche Facette von "Stups, der kleine Osterhase". Für eine Immer-in-Eile-Mama ist die Motorleistung (109 PS) gewöhnungsbedürftig, im Eco-Modus fühlt es sich an, als hätte jemand Klebstoff in den nicht vorhandenen Tank gekippt. Im Normal-Modus zieht das Auto besser, braucht von Null auf 100 aber immer noch 14 Sekunden. Und es sinkt sogleich die Reichweite, die offiziell 200 und in der Stadt bis zu 300 Kilometer beträgt. Und bei Tempo 123 ist Schluss. Seufz! Aber vielleicht eine gute Erziehung für Eltern mit Hang zum Bleifuß.

Was das Aufladen angeht, sind wir in der komfortablen Situation, einen Stromanschluss in der Garage zu haben. Einfach das Auto bei Bedarf abends an die Steckdose hängen, und das Elterntaxi-Business läuft stabil. Ein kompletter Ladezyklus dauert hier 18 Stunden, mit Wallbox würde er sich auf 8,5 Stunden verkürzen. Ohne Garagensteckdose wären wir in unserem Ort im Münchner Umland aufgeschmissen. Es gibt nur drei Ladestationen, von denen die erste schon mal für Anwohner eines einzigen Viertels reserviert ist. Fehlanzeige auch im Park&Ride-Parkhaus: In die Buchse passt keines der beiden Ladekabel, obendrein bräuchte es eine Kundenkarte. Und wenn man sich vor dem Baumarkt anstöpseln will, muss man erst eine Kassiererin suchen. Auch bei einem Ladeversuch in München per Handy-App sind wir gescheitert, weil trotz Bestätigungsmail kein Strom floss.

Spannend wurde es nur ein einziges Mal, beim Sonntagsausflug zum Skifahren, 120 Kilometer hin und zurück. Eigentlich gut zu schaffen, selbst mit eingeschalteter Heizung. Trotzdem hatten wir für die Rückfahrt einen Stopp eingeplant, mit Schnellimbiss für die Menschen und Schnellladung fürs Auto, angeblich kommt man in 40 bis 60 Minuten auf 80 Prozent. Daraus wurde nichts, stattdessen: Besuch in der Zahnklinik, nach einer kindlichen Begegnung mit dem Liftbügel.

Ungeplanter Umweg, oh weh! Gottlob zeigt die Stadtwerke-App, anders als das ratlose Navi, in der Nähe der Klinik eine freie Ladesäule an. Alles im Griff. Bis das Smartphone den Kältetod stirbt.

"Und wo ist der Blaue?"

Handy-Akku leer, Auto-Akku leer? 22 Kilometer sind es bis nach Hause, die Batterie reicht noch für 35 Kilometer. Was, wenn die Anzeige nicht stimmt? Wir schleichen über die Autobahn, zittrig vor Aufregung - und vor Kälte. Heizung? Lieber nicht. Als wir in unsere Straße einbiegen, liegt die Restreichweite bei zwölf Kilometern. Glück gehabt.

Wahrscheinlich würden wir uns mit dem E-Evalia auch in den Urlaub trauen, als Großfamilieneltern sind wir Logistik-Weltmeister und haben neben Plan A meist Pläne B bis E in der Tasche. Andererseits ist es ja eigentlich das Schönste am Urlaub, nicht permanent planen zu müssen. Elektromobile Familienferien also vorerst lieber nicht. Familienalltag mit dem Strom-Auto: passt! Aber dafür reicht auch ein Fünfsitzer - da ist die Auswahl größer.

Die Dreijährige indes fragt bis heute manchmal: "Und wo ist der Blaue?"

In der Serie "Elektrisch unterwegs" berichten SZ-Autoren in loser Folge über ihre Alltagserfahrungen mit verschiedenen Elektroautos. Die Testfahrten wurden vor den staatlichen Kontaktsperren zur Abwehr des Coronavirus absolviert.

© SZ vom 25.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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