Neues vom Fahrradmarkt:"Geschlechtsneutrale Tiefeinsteiger"

Das Angebot auf dem Fahrradmarkt ist so individuell und vielseitig wie nie zuvor. Ein Überblick für die gerade begonnene Radl-Saison.

Caspar Gebel

Rennrad, Sportrad, Tourenrad: Vor drei Jahrzehnten war die Fahrradwelt noch überschaubar. Extrawürste gab es bestenfalls für Kinder - die mussten sich nach BMX- oder Bonanzarädern verzehren, anstatt mit ihrem von den Eltern als vernünftig verorteten Dreigangrad zufrieden zu sein. Das war gestern.

Fahrrad

Talente: Das mit 440 Euro preiswerte Staiger Crossroad (links) und das alltagstaugliche Stevens Courier Lite (799 Euro).

Denn so vielfältig wie nie zuvor präsentiert sich die Fahrradlandschaft in diesem Jahr; und so groß wie nie sind die Chancen für jedermann, ein nahezu perfekt auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Rad zu bekommen.

Festzustellen ist, dass sich die altbekannten Fahrradgattungen auflösen, an Stringenz verlieren. Herren- oder Damenrad? - heute spricht man geschlechtsneutral von Tiefeinsteigern, während Rennräder mit Stange selbstverständlich auch von Frauen gefahren werden.

Sport- oder Alltagsrad? - auch hier verschwimmen die Grenzen. Während Cityräder mit Mountainbike-Gangschaltung schon lange ein alltäglicher Anblick sind, sieht man immer mehr zu Fitness-Zwecken genutzte Fahrräder mit wartungsfreier Acht- oder Neungang-Nabenschaltung; eine Technik, die lange Zeit einfachen Gebrauchsrädern vorbehalten war.

Und auch das gute alte Rennrad ist nicht mehr das, was es einmal war, nämlich ein Sportgerät mit äußerst limitiertem Einsatzzweck. Voll im Trend liegen sogenannte Cyclocrossräder - oder, wie man früher sagte, Querfeldeinräder, also Rennräder fürs Gelände, die gleichermaßen für Asphalt wie für Naturpisten taugen. Solche Maschinen lassen sich durch ihren längeren Radstand problemlos mit breiten Reifen und Schutzblechen aufrüsten und verbinden dadurch Alltagstauglichkeit mit Rennrad-Feeling.

"Geschlechtsneutrale Tiefeinsteiger"

Despezialisierung heißt in der Branche der Trend zur Auffächerung des Angebots auf dem Fahrradmarkt; eine Abkehr von scheinbar allein selig machenden Konzepten ist zu verzeichnen. Man denke nur an das preiswerte City-Fully - das vollgefederte Alltagsrad, welches zu Beginn dieses Jahrtausends Furore machte, doch viele seiner Besitzer bald ernüchtert zurückließ: zu schwer, die aufwendige Technik nicht ausgelegt auf nächtelanges Im-Regen-Stehen und weitgehend wartungslosen Dauerbetrieb.

Manche Radfirmen haben die vollgefederten Alltagsmodelle deshalb schon abgeschrieben. "City-Fullys haben wir seit drei Jahren nicht mehr im Programm; aus unser Sicht hat sich das nicht durchgesetzt", erklärt beispielsweise Volker Dormann vom Hamburger Anbieter Stevens.

Wie andere Mitbewerber auch setzt sein Unternehmen stattdessen auf leichte, agile Trekkingräder, die einer aktiven, urbanen Kundenschicht entgegenkommen: Stadtmenschen, die alltägliche Wege auf sportliche Art zurücklegen wollen.

Positiv wirkt sich dieser Trend auf die wenigen Premiumanbieter in diesem Segment aus; dazu gehören dann Hersteller wie Riese und Müller aus Darmstadt, die mit langen Modellzyklen und Preisen von wenigstens 1500 Euro solide Klassiker geschaffen haben.

Riesige Marktanteile lassen sich bei solchen Preisen natürlich nicht erzielen, denn für viele Nutzer muss ein Fahrrad in erster Linie billig sein: Für durchschnittlich 345 Euro gingen die rund 4,5 Millionen letztes Jahr in Deutschland verkauften Fahrräder über die Theke.

"Geschlechtsneutrale Tiefeinsteiger"

Auch wenn sich die Fahrradindustrie immer stärker um den Alltagsnutzer bemüht: Die meiste Innovationskraft wird in die Entwicklung von Rennrädern und Mountainbikes gesteckt, wobei es beim Rennrad vor allem um möglichst geringes Gewicht geht - ein Kilo weniger Gewicht spart am Berg rund ein Prozent Leistung, so die Rechnung.

Mehrere Hersteller bieten inzwischen Carbon-Rennradrahmen an, die weniger als 850Gramm wiegen; ein durchschnittlicher Alu-Rahmen wiegt das Doppelte. Allerdings werden erste Stimmen aus den Reihen der Industrie laut, die sich dagegen aussprechen, weiter an der Gewichtsschraube zu drehen; der Leichtbau-Werkstoff Carbon scheint ausgereizt, will man nicht Einbußen in der Dauerhaltbarkeit hinnehmen.

Bei Highend-Mountainbikes setzt sich Carbon zur Gewichtsersparnis ebenfalls durch; viel Entwicklungsarbeit wird darüber hinaus darauf verwendet, die Fahrwerkseigenschaften der Geländeräder zu optimieren.

Die Herausforderung besteht darin, Federungssysteme weiterzuentwickeln, die bei großem Federweg und gutem Ansprechverhalten weitgehend unempfindlich gegen die störenden Einflüsse des Fahrers, weil dessen Tretbewegungen einfache Federungen kraftraubend zum Wippen bringen. So sind seit mehreren Jahren Federelemente auf dem Markt, die aufgrund spezieller Ventile im Inneren zwar auf Unebenheiten auf der Piste ansprechen, jedoch auch bei unrhythmischem Treten völlig ungerührt und ruhig bleiben.

An Alltagsrädern, gefedert oder ungefedert, wird man Bauteile aus Kohlefasern auch in der Saison 2007 nicht zu Gesicht bekommen. Wo Fahrradrahmen mit kantigen Bügelschlössern an Laternenmasten gekettet werden, mit Packtaschen beladen und mit Kindersitzen bestückt werden, haben schlagempfindliche Carbon-Oberflächen nichts zu suchen. Und abgesehen von Konzeptstudien hält sich die Fahrradindustrie auf diesem Gebiet bislang zurück.

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