Aufregung in der Autobranche: Das bewährte Kältemittel R134a darf nicht mehr zum Einsatz kommen, weil es schädlich für die Ozonschicht ist. In jahrelangen Abstimmungsrunden hatten sich Autohersteller und Behörden weltweit auf das neue klimafreundliche Kältemittel R1234yf geeinigt. Doch die alternative Befüllung stellt sich nun als brandgefährlich heraus: Bereits geringe Mengen des ausströmenden Gases können sich am motornahen Abgasstrang entzünden. Während der jüngsten Tests von Daimler ging der Vorderwagen einer Mercedes B-Klasse in Flammen auf. Ohne Eingreifen der Feuerwehr wäre das Fahrzeug komplett ausgebrannt.
"Die Daimler-Ergebnisse haben alle Experten überrascht", gibt VDA-Geschäftsführer Ulrich Eichhorn zu. Deshalb will der Verband der deutschen Automobilindustrie die Einführung des neuen Kältemittels R1234yf vorerst aussetzen: "Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Wir brauchen voraussichtlich mindestens ein halbes Jahr, um zunächst die Risiken weiter quantifizieren zu können und entsprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln", erklärt Eichhorn.
Das Kältemittel entzündete sich innerhalb von Sekunden
Im vergangenen Herbst hatten sogenannte Real-Life-Prüfverfahren von Daimler die Diskussion über das neue Kältemittel angefacht. Die Stuttgarter Experten hatten in dieser Testreihe besonders schwere Unfallbedingungen untersucht, die über gesetzliche Prüfvorschriften hinausgehen: Zunächst wurden die Versuchsfahrzeuge mit Volllastfahrten auf Temperatur gebracht. Vollgas auf der Autobahn oder Bergfahrten mit einem Anhänger können den Turbolader bis zur Rotglut erhitzen. Dann wurde eine Leckage der Klimaanlage nach einem Crash simuliert. Innerhalb von Sekunden entzündete sich das Kältemittel und Pumpenöl des Klimakompressors an der glühenden Abgasanlage: Der heiße Motorraum wirkte auf das austretende Gas-Luft-Gemisch wie eine Brennkammer.
Bislang waren Experten davon ausgegangen, dass sich im zerklüfteten und nach unten offenen Motorraum kein zündfähiges Gemisch bilden kann. Zudem ließ sich das Kältemittel R1234yf unter Laborbedingungen erst ab 900 Grad Celsius entflammen. Während der Daimler-Testreihe genügten jedoch Temperaturen von 665 Grad Celsius, um Brände auszulösen.
Gravierend sind nicht nur das drohende Feuer im Fahrzeug, sondern auch der hochgiftige Fluorwasserstoff, der sich während der Brandversuche bildete. Bei dem eingangs geschilderten Test wurde die Windschutzscheibe der Mercedes B-Klasse großflächig verätzt. Die Fahrzeuginsassen oder Helfer würden bei einem realen Unfall schwerste Verletzungen riskieren. Vergleichbare Experimente mit dem bisherigen Kältemittel R134a hatten keine Entflammung oder Bildung von ätzendem Giftgas zur Folge.
Der Hersteller von R1234yf hält die Bedenken für übertrieben: "Umfassende und umfangreiche Studien, die in Europa, den USA und Japan durchgeführt wurden, kamen übereinstimmend zu dem Schluss, dass R1234yf für die Verwendung in Kraftfahrzeugen sicher ist", betont Ian Shankland, der bei Honeywell Performance Materials and Technologies für die Entwicklung des neuen Kältemittels verantwortlich ist.
Aufgrund der alarmierenden Testergebnisse hat das Kraftfahrt-Bundesamt die Autohersteller allerdings aufgefordert, Nachweise für die Unbedenklichkeit des neuen Kältemittels vorzulegen. Mercedes hat die Einführung von R1234yf bereits gestoppt. Weitere Hersteller wie Toyota schließen den Einsatz der Chemikalie bei den meisten Modellen ebenfalls aus. Allerdings erhalten seit dem 1. Januar 2011 nur diejenigen Fahrzeuge eine Typgenehmigung, deren Klimaanlagen mit einem umweltfreundlichen Kältemittel befüllt sind.
Der ADAC spricht sich ohnehin für Kohlendioxid als besonders umweltfreundliche und sichere Alternative zur Kühlung aus. Mit umfangreichen Versuchen hatte der Automobilclub bereits 2008 nachgewiesen, dass CO2 als Kältemittel praxistauglich ist. Allerdings stufen US-amerikanische Behörden Kohlendioxid als atemhemmenden Stoff ein, der in Folge eines Unfalls in den Fahrzeuginnenraum gelangen könnte. Deshalb hatte sich die deutsche Automobilindustrie zunächst dem internationalen Votum für R1234yf angeschlossen.